Ich saß da mit meinem Netbook und wollte schreiben, aber ich hab mich von so vielen Sachen ablenken lassen, rein mental. Da es wieder mal überall zwickte, dachte ich wieder zu viel über Krebs nach und über die ganze Therapiescheisse.
Da hab ich gedacht, es muss raus, und schrieb drei Seiten. Ich hab es so geschrieben, als wäre es ein Roman. Aus der Meta-Position heraus, wie Andreas sagte. Es wurde immer länger und mir fiel auf, dass ich einige Inhalte drin hatte, die ich mir auf meinem Blog gewünscht, die aber bisher nirgendwo gepasst hatten.
Irgendwann war das Ganze dann 17 Seiten lang und ich setzte Zwischenüberschriften ein. Jetzt ist es veröffentlicht. Ich fühle mich erleichtert, dass ich den ganzen Mist endlich in Worte fassen konnte. Ich dachte, ich könnte dann meinen Roman weiter schreiben, aber konnte ich nicht.
Mir wurde bewusst, dass ich den Anfang nicht richtig durchgeplant habe. Den Anfang in der Zwischenwelt. John soll erst allein sein und darunter leiden (Emotionen). Dann kommt Melli und sie fangen an, sich gegenseitig zu helfen. Sie finden heraus, wie die Zwischenwelt funktioniert, dadurch können sie in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von jedem Wesen schaun, dass jemals gelebt hat oder leben wird. Das muss für John eine Offenbarung sein (Emotionen).
Der Plan, dass Moni schon so einen Zeitreisesimulator gebaut hat, bevor er dort landet, war falsch. Sie sollte den erst bauen, wenn John es geschafft hat, Kontakt zu ihr aufzubauen. Und genau das hab ich auch nie geplant. Darum sitzt ich im Moment nur rum und denke nach, lasse mich aber auch viel ablenken.
Um wieder auf anderen Gedanken zu kommen, las ich dann noch was anderes von Octavia Butler.
In der Parabel vom Sämann geht es um eine Flucht. Es ist aus der Ich-Perspektive erzählt. Am Anfang ist die Erzählerin ich glaube 14 und sie kennt die Welt, als einen düsteren Ort. Draußen liegen Leichen, Häuser werden abgebrannt, Menschen verhungern, plündern oder werden ermordet. Es gibt eine gefährliche Droge, welche die Menschen dazu bringt, alles anzuzünden.
Die Konfliktsteigerung besteht darin, dass sie erst nur Sachen sieht und versucht, ihr Einfühlungsvermögen zurückzuschrauben. Dann verlässt ihr Bruder die Sicherheit der Gemeinde mit einer Waffe. Als er zurückkommt, verprügelt der Vater ihn und danach verschwindet er für immer. Seine Leiche wird gefunden. Etwas später wird der Vater ermordet, seine Leiche wird aber nie gefunden. Dann kommen Einbrecher, dann die Feuersüchtigen und die Plünderer. Ihr zu Hause wird zerstört und alle, die sie kannte, bis auf zwei aus der Gemeinde, werden getötet.
Das ist ungefähr das halbe Buch. Das restliche Buch handelt von der Flucht durch die Wildnis, nach Norden, wo alle anderen auch hinwollen. Dadurch, dass ihre kleine Gruppe anderen Menschen hilft, wird die Gruppe größer. Sie treffen jemanden, der ein Stück Land besitzt. Sie nehmen sich vor, dort eine neue Gemeinschaft aufzubauen.
Die Konfliktsteigerung besteht hier darin, dass sie ständig angegriffen werden und zuerst nichts passiert. Später sterben Menschen aus der Gruppe. Sie hören Schüsse, dann kommen die Schüsse näher, dann werden sie überfallen. Sie sehen Feuer,dann kommt das Feuer näher, dann ist das Feuer bei ihnen. Das Feuer würde ich als den Höhepunkt betrachten, auch wenn niemand aus der Gruppe stirbt. Aber bei einer Verfilmung wäre das der absolut optische Höhepunkt, wenn auch nicht der emotionale Höhepunkt. Das ist, wenn jemand aus der Gruppe stirbt.
Ich hab die ganze Zeit erwartet, dass Aliens kommen und einige der guten Menschen auf andere Planeten bringen. In Sicherheit. Aber in dieser Welt gibt es keine Sicherheit mehr. Die Parabel vom Sämann zeigt, wie unsere menschliche Gesellschaft reagieren würde, wenn nahezu Anarchie herrscht. Wenn sich niemand mehr um die Politik schert und die Politik sich nicht mehr um die Menschen schert. Gesetze scheint es noch zu geben, aber das ist egal. Es ist nichts, was nicht so passieren könnte oder in Einzelheiten noch nie passiert wäre. Und das ist das Schlimme daran.
All die schlechten Eigenschaften des Menschen, die jetzt noch durch Gesetze, Polizei, Androhung von Strafen und moralische Vorstellungen meistens unterdrückt werden, treten dann wieder stärker hervor: Sklaverei, Folter, Menschenhandel, Spaß an der Zerstörung, Plünderungen und Diebstahl, Vergewaltigung, Kinderschändung, Kannibalismus und jeder denkt nur an sich selbst. Während die Plünderer, Sklavenhändler und Feuerteufel oder die korrupten Politiker und rassistischen Polizisten mächtige Gruppen sind, sind die normalen Menschen zu einem großen Flüchtlingsstrom geworden, in dem aber jeder für sich bleibt. Niemand hilft dem anderen, außer in der kleinen Gruppe.
Ich wollte auch mal was über Flucht schreiben. In „fünf Frauen auf der Flucht“ verändern sich die Gesetze und fünf Frauen fliehen mit einem blauen Kleinwagen, aber ich bin ins Stocke geraten, weil ich dachte, man kann nicht nur die ganze Geschichte über die Flucht schreiben. Kann man also doch. Hätte ich früher mehr Sciencefiction gelesen, hätte ich das gewusst. Meine Selbstzweifel hätten mich nicht gestoppt.
Und ich hatte auch eine Geschichte, in der ein Mädchen durch den Wald rennt und dann gefangen, umgekrempelt wird und fast ihre eigene Freundin tötet. Nie fertig geworden, nie richtig angefangen. Das waren beides keine Sciencefiction am Anfang. Ich weiß nicht, was es war, aber ich würde daraus echt gerne Sciencefiction machen. In der einen Geschichte kam später ein Zeitreisender vor, aber keine Ahnung, welche Aufgabe er in dem Plot haben sollte. Und dann hatte ich sowas wie Kampfroboter in Käferform und ein Inselreich mit einer Prinzessin. Es scheint sich also alles in meinen Gedanken periodisch zu wiederholen.
Ja, das sind Dinge, die ich in meinem Hirn recycelt habe. Ich hatte keine richtige Prämisse, hatte kein Ziel, keinen roten Faden. Manchmal ist das Mixen von Ideen die Rettung und manchmal ist es der Anfang vom Ende. So auch bei „Keine Liebe für Mirabella“. Ein Roman mit so einem Titel muss ein Liebesroman sein. Es geht ja gar nicht anders.
Und eine Idee dazu hatte ich auch. Mirabella ist Jos Muse, aber nur eine von vielen. Das ist das Problem. Zudem malt sie selbst, aber niemand beachtet das, besonders nicht er. Und wenn doch, dann wird er eifersüchtig, genau wie die anderen Musen. Die andere Geschichte handelte von einem Trauma und wie man es besiegen kann, indem man die Leute besiegt, die es ausgelöst haben. Dadurch, dass ich beides vermischt und keines davon richtig durchgeplant habe, hab ich mich selbst behindert. Es könnte also zwei Bücher daraus werden. Eins aus Sicht der einen Freundin und eins aus der Sicht der anderen Freundin.
Bei der jetzigen Geschichte passt die Vermischung. Veronika ist auf dem anderen Planeten, der erst durch die Ereignisse in der Vergangenheit so sein wird, wie er jetzt ist. Und John ist geheimnisvoll, weil niemand weiß, was er ist. Er will seine Zeitmaschine bauen, um die Welt zu verändern. Ich stoppe immer wieder mit dem Schreiben, weil ich über die Handlung nachdenken muss. Aber die Idee über einen Zeitreisenden zu schreiben, hatte ich schon oft. Nur hatte ich keinen Plot dafür. Jetzt schon. Die beiden Ideen haben sich also gegenseitig befruchtet.
Ich verstehe nicht, wie ich jemals so detailliert schreiben können soll, dass man denkt, man wäre dabei gewesen, wie bei der Parabel vom Sämann. Dann war das Buch zu Ende und ich hab den zweiten Teil gesucht, aber die deutsche Übersetzung, die ich vorbestellt habe, kommt erst nächstes Jahr raus. Also hab ich es in englisch gekauft und auch schon angefangen, es zu lesen.
Dann kam ich auf die Seite, wo der Angriff auf eines der Häuser beschrieben steht. Die Hauptperson ist inzwischen tot, aber der Sohn liest noch ihr Tagebuch. Ich hab richtig bedauert, dass ich nicht bei den fünf Jahren dabei war, in denen es gut ging.
Jedenfalls gibt es einige Überlebende und die berichten, dass es Uniformierte waren. Soldaten, die mit weißen Kreuzen durch die Gegend laufen. Dann schreibt sie von dem Präsidenten, dessen Wahlspruch lautet “Make amerika great again”. Mir stand der Mund offen.
Dann hab ich etwas recherchiert und fand den gleichen Wahlspruch auf Plakaten einer Klan-Demo von 1920 auf dieser History-Seite. Ich fand einen Bericht von 2015, wo es heißt, “German magazin ‘Stern’ criticizied for ‘Nazi’ Trump cover”. Und ich finde “Artist’s Facebook disabled after posting ‘MAGA hat collection'”.
Und zu guter Letzt finde ich einen Artikel mit dem Foto des Klan-Magazins mit genau dem Spruch ‘make america great again’ bei den ‘Jewish business news’ und vielen anderen Online-Magazinen.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich immer, wenn ich von weißen Privilegien lese, dazu tendiere, zu sagen, diese Person weiß gar nichts über mich, über meine Probleme mit verdrängten Erinnerungen, über den Krebs, über meine Versuche, etwas aus mir zu machen oder irgendwas zu werden oder zumindest nicht unterzugehen.
Aber mit weißen Privilegien ist genau das gemeint, dass man solche Vorkommnisse so schnell wieder beiseite legt, dass man sie vergißt oder gar nicht erst bemerkt und mehr oder weniger fröhlich, wenn auch mit Krebs und anderen Problemen, weiter leben kann.
Es ist außerdem egal, wie schlecht es mir geht, es gibt immer irgendwo eine Person, die mich beneidet, aus welchen Gründen auch immer. Es gibt auch immer eine Person, die alles besser kann, als ich oder schneller. Ich beneide Leute, wenn ich denke, sie müssen sich nicht genug anstregen und bekommen trotzdem alles geschenkt. In den meisten Fällen ist das gar nicht so, man sieht es nur nicht.
Ich hab immer daran geglaubt, dass Minderheiten oder Außenseiter die Gesellschaft besser beurteilen können, als welche, die von ihrer Macht und ihren Erfolgen in dieser Gesellschaft geblendet werden. Warum sich beschweren, wenn man es geschafft hat? Die Frage ist, werde ich auch so verblöden und ignorant werden, wenn ich irgendwann tatsächlich Erfolg habe, oder bin ich es am Ende jetzt schon?
Heiko hat mich gewarnt, ich soll in meine Geschichten keine Stereotype einbauen. Nett vom ihm. Ich habe ein blondes Mädchen, das in Wirklichkeit eine Käferlarve ist und einen Karamelfarbenen langohrigen Alien, der Roboter baut. Ich denke außerdem darüber nach, die Handlung in meinem Roman auseinanderzuziehen, damit ich mehr Platz dafür habe. Und ich will den Personen Sprüche oder Gewohnheiten geben, die sie ständig wiederholen.
Mich hätte sehr interessiert, was Octavia Butler über den Coronavirus gedacht und geschrieben hätte.