Heute war das Wetter mal wieder unglaublich gut. Hab viele Sachen erledigt, War beim Arzt, hab gearbeitet, hab am Teich gesessen. Ich bin zur Zeit sehr oft sehr müde und weiß nicht, wieso. Die Schmerzen halten sich immerhin in Grenzen. Ich hoffe, dass die Nahrungsergänzungen mir noch lange dagegen helfen.
Und endlich hab ich es mal wieder geschafft, eine Schreibübung zu machen. Die Idee dazu hatte ich schon seit einigen Tagen. Ich hab ja schon lange darüber nachgedacht, wie ich die ganzen Romananfänge miteinander verbinden kann.
In der merkwürdigen Zwischenwelt
Da war eine Art Vakuum entstanden zwischen dem Reich der Lebenden und dem Reich der Toten. Eine merkwürdige Zwischenwelt, in der alles indigoblau schimmerte. Dort im Nebel zwischen den anderen verirrten Seelen trieb Johns Bewusstsein auf einem Strom aus Verzweiflung und Angst. Er verstand nicht, wo er war. Er hatte vergessen, was und wer er war. Er trieb dahin, wie ein Floß auf einem Fluss des Todes. Leblos, bewegungsunfähig, hilflos und mit leeren Gedanken. Er war wie eine leere Hülle geworden, ein Lumpen, der von der Wäscheleine einer vollschlanken Frau geweht wurde, die aussah, wie seine Mutter. Oder wie er sich seine Mutter immer vorgestellt hatte. Er war wie ein Blatt vom Baum gefallen und segelte nun in einem Teich aus Unbewusstem hin und her. Er schaute nach oben. Er blickte in den Himmel, der ebenfalls indigoblau und voller Sterne und Planeten war. Er wunderte sich. Da wo er vorher war, konnte er die einzelnen Planeten gar nicht sehen. Man wusste wohl von ihrer Existenz, aber man sah sie doch nicht mit bloßem Auge!
Wo er vorher gewesen war? Jetzt fiel es ihm wieder ein. Zeitvogel war sein Name. John Zeitvogel. Und zuletzt war er in der Zeitreiseakademie gewesen. Meister Gunna hatte die Maschine angestellt. Etwas war schief gelaufen. Er hatte den Test nicht bestanden. Traurig schloss er die Augen. Er hatte den gewaltigen Anblick dieser gigantischen Schönheit des Universums nicht verdient. Er war unwürdig. Dies hier muss die Hölle sein. Nutzlos schwamm er im Vakuum dieses Universums von einem Ende des Teiches zum anderen und wieder zurück. Er war schon eine Unendlichkeit hier und es gab keinen Ausweg. Das machte ihn traurig. Ab und zu stieß er mit anderen verirrten Seelen zusammen. Manchmal riefen sie ihm etwas zu. Er meinte, Monika erkannt zu haben, doch sie erkannte ihn nicht. Sie hatte leere, traurige Augen und schrie die ganze Zeit nur. Andere suchten etwas. Wieder andere wollten ihn angreifen oder ihm etwas nehmen, was er gar nicht mehr besaß und wurden dann weggeschwemmt. Er beobachtete das alles nur. Wie lange würde er hier treiben, bis auch er so verwirrt sein würde, dass er nur noch schrie? Ab und zu wurde ihm bewusst, dass sein Körper irgendwie noch lebte. Er hörte Meister Gunnars Stimme: „Du Tölpel, du dummer Junge! Warum bist du mir nur auf den Leim gegangen? Warum könnt ihr jungen Leute die Welt nicht so lassen wie sie ist?“
Er hörte den Erklärungen des Meisters aufmerksam zu. Dann kam wieder eine arme Seele vorbeigeschwommen. Sie geriet in einen Strudel und wurde in die Tiefe gezogen, noch bevor John ihr Gesicht erkennen konnte. Meister Gunna wurde wieder lauter:
„Du bist mein Schicksal. Wegen dir wurde mir mein Fehler überhaupt bewusst. Du bist meine Strafe…“
John überlegte, von welchem Fehler Meister Gunna wohl sprach. Ein Fehler in der Kalibrierung der Zeitreisemaschine? Da tauchte vor ihm der leblose Körper einer jungen Frau aus dem Wasser auf. Die Sterne und Planeten spiegelten sich in tiefblauem Ozean. Ihr Gesicht war jung. Ihre Haare zerzaust. Überall am Körper hatte sie grässliche Narben. Doch John spürte, dass ihr Herz pulsierte. Er legte seine Hand auf ihren Brustkorb, um ihren Atem zu überprüfen, da riss sie mit einem mal ihre Augen auf und brüllte:
„Fass mich nicht an! Du sollst mich nicht anfassen!“
„Tut mir leid, ich wollten wissen, ob du noch lebst…“
Ihr Gesicht entspannte sich sogleich wieder und war für einen kurzen Augenblick versöhnlich. Dann wechselte es zu einer unendlich tiefen Traurigkeit, was Johns Herz zerbersten lies. Sie lies sich willenlos im Wasser treiben und fing an, leise zu wimmern.
Er erwartete, dass sie, wie all die anderen, von ihm fortgespült wurde, doch sogleich wollte er es verhindern, und griff nach ihrer Hand, die sie locker im Wasser hängen lies. Das Wasser reichte ihr bis zur Unterlippe. Aus den großen runden Augen mit den kecken Augenbrauen rannen Tränenbäche, die sich dann mit dem Ozean aus Materie und Verzweiflung vereinten.
„Ich hab doch gesagt, du sollst mich nicht anfassen!“, wimmerte sie und zog kraftlos ihre Hand aus seiner.
„Ich wollte doch nur…“
„Ich lebe nicht!“, jammerte sie drauf los, „Sie hat mich umgebracht. Wir leben hier alle nicht!“
„Ich glaube, ich lebe. Ich glaube nicht, dass Meister Gunna mit meiner Leiche sprechen würde…“, überlegte John. Der Gedanke war ihm ja auch schon gekommen, er versuchte es aber lieber, zu verleugnen.
Im Hintergrund hörten beide nun Meister Gunna flehen:
„Können sie denn gar nichts für ihn tun, Doktor?“
Eine unbekannte Stimme antwortete:
„Nein, ihr Student scheint in einer Art Wachkoma zu sein. Wie ist das denn bloß passiert?“
„Ich habe ihn so gefunden…“, log Meister Gunna.
Moment mal, warum log er denn?
„Siehst du? Er lügt!“, sagte die junge Frau, die im Schein der Planeten in dem blauen Licht plötzlich unglaublich wach und lebendig aussah. Warum wusste sie, was er dachte?
„Warum sagt er nicht, dass etwas mit seiner Zeitreisemaschine schief gelaufen ist?“, fragte John laut.Eine Pause entstand.
„Mein Name ist übrigens Meline Habenich. Du kannst mich Melli nennen“, sagte die junge Frau und spuckte etwas Wasser aus. Immerhin weinte sie nicht mehr. Er hatte sie mit seiner eigenen Geschichte von ihrem Kummer abgelenkt.
„John Zeitvogel“, murmelte er. Nun war er also nicht mehr allein. Doch wie lange noch, bis seine neue Freundin vom nächsten Strudel verschlungen, von der nächsten Welle mitgerissen wurde?
„Wir sollten uns fest an den Händen halten, damit wir nicht voneinander weggespült werden“, schlug er vor und griff wiederum nach ihrer Hand, die Melli aber blitzschnell wegzog.
„Ich hab doch gesagt, nicht anfassen, Herrgott! Männer! Sie sind einfach überall gleich!“
„Wie du willst“, sagte John beleidigt und brachte sich in eine aktivere Position, vom auf-dem-Rücken-treiben-lassen zum aktiven Brustkraulen.
„Der nächste Strudel kommt bestimmt!“, warnte er sie.
„Der Strudel hat mich gebracht.“
„Er hat auch schon Leute weggeholt.“
Sie schwiegen eine Weile. Melli schaute ihn neugierig an.
„Wer ist Meister Gunna?“, fragte sie dann.
„Er ist mein Professor von der Akademie.“
„Warum muss man ihn Meister nennen? Dann nennt man ihn Professor, oder nicht?“
„Er hat den schwarzen Gürtel in Karate und einigen anderen Kampfkünsten und unterrichtet auch, darum nennt er sich halt Meister. Er hat die Akademie gegründet, dann kann er sich auch aussuchen, wie man ihn nennen soll.“
„Stört dich das nicht? Ich meine, wenn jemand ständig Meister genannt werden will, dann stimmt ganz offensichtlich etwas nicht mit ihm, oder?“
„Kann sein. Irgendwas muss ja falsch gelaufen sein, sonst wäre ich nicht hier.“
„Wo sind wir hier wohl?“
„Ich weiß es nicht. Wenn ich im Wachkoma bin, dann ist das nicht der Tot. Vielleicht sind wir beide im Wachkoma?“
„Nein. Ich bin mit Sicherheit tot.“
„Woher weißt du das so genau?“
„Sie hat mich getötet. Ich weiß es.“
„Wer denn?“
„Dr. Violetta Bail. Wenn du so willst, meine Professorin.“
„Du bist Studentin? Welches Fach?“
„Ich wollte Meeresbiologin werden. Es war nur ein Vorpraktikum. So viel Pech muss man mal haben, während seines Vorpraktikums umgebracht zu werden. Und du? Was war das für eine merkwürdige Kampfkunstakademie, auf der du warst? Oder wars ein Kloster?“
„Zeitreiseakademie. Kampfkunst war nur Wahlfach bei mir.“
„Zeitreise? Das gibts doch gar nicht. Bin sicher, er ist für deinen Zustand verantwortlich.“
„Da war eine Maschine. Eine Maschine zum Zeitreisen…“
„Wie soll das funktionieren? Und warum hab ich noch nie davon etwas gehört?“
„Naja, er hat es nie erklärt…“
John wurde langsam etwas bewusst. Aber er war noch nicht ganz bereit für die Wahrheit.
„Das ist unlogisch. Wenn ich eine Maschine erfinde, mit der man Zeitreisen kann, dann werde ich erstens ein Patent darauf anmelden, damit mir niemand die Idee stiehlt. Dann werde ich dafür sorgen, dass jeder weiß, dass ich es erfunden hab, um meinem Ruhm voll auszukosten. Jemand, der die Angewohnheit hat, sich Meister zu nennen, würde das besonders so machen. Und schließlich würde ich dafür sorgen, dass jeder, der die Maschine benutzt, sie auch reparieren kann, also ganz genau weiß, wie sie funktioniert.“
„Ja schon, aber vielleicht hat er es geheim gehalten, denn er war der Meinung, dass man mit Zeitreisen auch viel Schaden anrichten kann. Darum war die Prüfung auch so hart.“
„Was für eine Prüfung? Soll das heißen, du bist schon mal in der Zeit gereist?“
John zögerte. Ihm war unwohl bei dem, woran er nun erinnert wurde:„Ähm, nein. Ich bin in die Maschine, dann ist mir die Luft ausgegangen und ich bin hier gelandet.“
Melli war wie eine Detektivin, die eine heiße Spur verfolgte und dafür einen Zeugen verhörte.
„Wann war das?“, fragte sie zielsicher und bestimmt, während sie versuchte, sich mit leichten Paddelbewegungen auf Position zu halten.
„August 2999. Abschlussprüfungen.“
Sie zog die Augenbrauen hoch, erklärte ihm aber noch nichts. Stattdessen fragte sie ihn weiter hartnäckig aus.
„Und wie lange bist du schon hier?“
„Das weiß ich nicht. Hab meine Fitnessuhr irgendwann verloren.“
John wurde mulmig. Er tauchte etwas weiter in den Ozean und spürte, wie seine eigene Angst darin Vibrationen erzeugte. Melli sprach weiter:
„Also ich wurde im Juni 3072 geboren und starb 3090 im März nach drei Monaten Praktikum.“
Der Ozean war ruhig geworden. Niemand tauchte auf, kein Strudel war zu sehen und keinerlei Schreie tönten durch die endlose Nacht. Die Stille war unheimlich. Stimmte das, was Melli sagte? Konnte das wahr sein? Aber dann kam sie aus der Zukunft und er aus der Vergangenheit. Doch eine Zeitmaschine? Meister Gunna hatte nicht gelogen! Das bedeutete es doch oder?
„Er hat nicht gelogen, es funktioniert!“, flüsterte er.
„Doch, er hat gelogen“, sagte Melli selbstsicher.
„Ich sage es Dir, er hat gelogen!“
Plötzlich rauschte eine riesige Welle herbei aus dem Nichts und spülte Melli so schnell wieder fort, wie sie gekommen war, ohne dass John etwas dagegen tun konnte. Er starrte lange und geschockt in die Stille, die danach entstand. Wieder allein. Als er den ersten Schreck überwunden hatte, wurde ihm bewusst, wie einsam es nun wieder werden würde. Frustriert hörte er einfach auf, sich zu bewegen, und versuchte in seiner eigenen unendlichen Traurigkeit zu ertrinken. Wie er feststellen musste, war das jedoch völlig unmöglich. Es wurde sehr einsam. Niemand tauchte auf, niemand schrie, niemand weinte oder redete mit ihm. Keine Welle, kein Strudel, kein Licht, kein Wind. Er lehnte sich zurück und starrte direkt in das Antlitz des grausamen Universums, das ihn hierher gebracht hatte. Dann ließ er sich wieder reglos treiben.
Das ist nun also meine Lösung für die Verbindung zwischen “Der Zeitreisende” und “Der Fischmenschenplanet”. Finde ich gelungen. Wozu gibt es eine merkwürdige, indigoblaue Zwischenwelt, in der das Universum sich in einem riesigen Ozean aus Materie und Verzweiflung spiegelt? Ganz genau, damit zwei Personen aus zwei verschiedenen Geschichten sich treffen können. Und wieder passiert in der Geschichte nichts weiter, als das zwei Leute im Wasser treiben. Eine Person kommt, eine Person verschwindet wieder. Immerhin ein langer Dialog. Eigentlich geht es noch etwas weiter in der merkwürdigen, blauen Zwischenwelt, aber für eine Schreibübung wurde das langsam zu lang. Ich fühl mich heute emotional nicht so gut und diese Schreibübung spiegelt das in perfekter Weise wieder.