Wir bekommen tatsächlich neue Aufträge fürs Fensterputzen auf dem Festland. Hoffnung für meine Pläne, neue Hardware zu kaufen. Aber in der Krise ist es wohl besser, ich spare alles was ich habe. Ja genau, als ob ich es schon jemals geschafft hätte, einen Monat lang nichts zu kaufen. Und gerade heute, am 22 März, waren morgens Eiskristalle am Fenster. Was soll ich davon halten? Im Moment scheint die Sonne, aber es ist nur 3 Grad kalt. Das ist fast schon wieder zu kalt zum Fenster putzen. Urlaubern ist es immer noch untersagt, auf die Inseln zu fahren, womit der größte Teil meiner Arbeit wegfällt. Ohne die Saison können wir dieses Jahr wohl einpacken. Und dieses Jahr hat nur Corona Saison. Es wird über eine Ausgangssperre nachgedacht.
Ich sitze auf meinem Bett und schreibe. Die Katze liegt auf der Fensterbank. Ich habe Kathrins Lampen an. Das warme Licht ist tatsächlich gut für die Stimmung. Ich habe Halsschmerzen. Ein möglicher Impfstoff wird gerade noch getestet. VPM 1002 ist eine Weiterentwicklung eines alten Tuberkulose-Impfstoffs und soll gegen Influenza A Viren, Virusinfektionen allgemein, Infektionen der Atemwege, Herpesviren und Krebs helfen. Da fragt man sich doch, ob man nicht früher hätte drauf kommen können.
Aber ich muss die Außenwelt ausblenden, um zu schreiben. Gestern habe ich einen schlechten Anfang für die neue Struktur geschrieben. Und heute einen guten Anfang. Johns Heldenreise ist die Rahmenhandlung. Er hat erst Visionen, die Ausschnitte der Geschichte zeigen, dann begreift er, dass er sich nicht mehr in einer Simulation befindet, dann versucht er Melli zu helfen und sieht schließlich in der Zukunft den Ausweg, ohne zu wissen, wie er da hin kommt. Veronikas Heldenreise ist in diese Rahmenhandlung eingebettet. Was John will ist natürlich eine Zeitmaschine zu bauen. Veronika will nur akzeptiert werden. Obwohl beide Plots auch Enthüllungsplots sind.
Vom dem halbseitigen Anfang, der mich so sehr zum Schreiben motiviert hat, dass ich am Ende sogar 224 Seiten geschafft habe (persönlicher Rekord), muss ich mich wohl trennen. Es passt nicht mehr.Zur Erinnerung:
Der Zeitreisende (Romananfang)
Der Super-Revisor stand vor dem Simulator und beugte sich so weit vor, dass John das Glitzern in den Augen des alten Mannes auffiel. Dort spiegelte sich das Fenster des Klassenraumes noch. Bald wäre die Tür geschlossen und es wäre dunkel, bis John die Bilder des Simulators verinnerlichen würde. Seine Hände waren feucht und krallten sich in den Emotions-Handschuh. Sein ganzer, eher kompakter Körper, war in einen schweren Anzug verpackt, damit er die Simulation so erleben würde, als wäre alles echt. Er hatte Angst, aber wenn er Zeitreise-Agent werden wollte, musste er diesen Test absolvieren. Der Super-Revisor hatte schüttere Haare, war sehr klein, stand da etwas krumm, vielleicht hatte er sogar einen leichten Buckel. John fragte sich, warum sein Lehrer nicht schon lange eine genetische Verbesserung hatte vornehmen lassen. Die Brille rutschte ihm andauernd, so dass er – auch jetzt wieder – ständig beim Sprechen inne hielt, um sie sich auf die Nase zurückzuschieben. Seine Stimme war zittrig und sanft. Man konnte diesen alten Mann sehr leicht unterschätzen, wenn man ihn nicht kannte. Er war nicht nur der weiseste Mann auf diesem Planeten, oder der mit dem meisten Wissen über die Zeit und Zeitreisen allgemein, sondern beherrschte auch mehrere Kampfkünste perfekt.
„Haben sie alles verstanden, was ich ihnen erklärt habe, Rekrut John Zeitvogel?“
„Ja, Meister Gunna!“
„Sind sie sich des Risikos bewusst, emotional traumatisiert zu werden?“
„Ja, Meister Gunna!“
„Sind sie trotzdem und immer noch damit einverstanden, diesen Test zu absolvieren, um die Prüfung zum Zeitreise-Agenten zu bestehen?“
„Ja, Meister Gunna!“
„Gut, dann geht es jetzt los. Ich wünsche ihnen viel Glück. Geben sie alles, mein Sohn, denn eine zweite Chance gibt es nicht!“
John wollte wiederum antworten, aber der Super-Revisor hatte schon die Klappe geschlossen und der Simulator drang in Johns Gehirn ein.
Pepe Gunnar ist für John kein anonymer Professor mehr. Er ist sein Adoptivvater. Und Moni (ehemals Monika) ist seine Schwester. Doch der erste Versuch, Emotionen in meinen Anfang zu kriegen, schlug fehlt:
Erst als der Mond verschwand und die Morgendämmerung einen rötlichen Lichtschein durch das Fenster warf, wurde Jo müde. Heute war der Tag. Er kletterte benommen aus dem Bett und schlurfte in Richtung Badezimmer. Abgeschlossen! Monika besetzte das Bad.
Normalerweise war sie so früh noch nicht auf. Jo war der Frühaufsteher in der Familie. Er hörte jemanden duschen und machte sich eine Schüssel Müsli. Sein Vater bzw. Adoptivvater erwartete ihn zeitunglesend am Frühstückstisch. Jo nannte ihn Pepe. Er schaute kurz hoch und blätterte dann seine Zeitung um.
„Bereit für Heute? Wir können es verschieben!“
„Nein, ich teste es. Wir müssen wissen, wie gut es ist und wo man nachbessern muss.“
„Du siehst nicht so aus, als würdest du dich darauf freuen!“
„Ich mache es. Monika braucht die Daten.“
Jo bemerkte seine Bauchschmerzen, seine kalten, feuchten Hände, seine zittrigen Knie. Und er fühlte, dass jegliche Blut aus seinem Gesicht in seine Füße geflossen war. Sein Kopf fühlte sich kalt und betäubt an. Es war fast wie damals im Heim. Er versuchte, auf seinem Müsli herumzukauen, aber er biss sich dreimal auf die Zunge.
Schließlich stellte er seufzend die Schüssel beiseite.
„Ich habe keinen Hunger. Ich geh im Labor duschen.“
„Wir fangen um 9 Uhr an, wenn deine Schwester fertig ist. Du weißt ja, wie sie ist. Vielleicht wird es auch zehn Uhr werden!“
„Meinetwegen können wir sofort anfangen!“
Monika stand in der Tür.
„Ich konnte nicht schlafen und habe Gestern Nacht alles noch einmal
kontrolliert und vorbereitet.“
„Ich will mich erst anziehen!“
„Spielt für den Simulator keine Rolle, aber okay. Ich warte im Labor.“
Jo änderte seine Richtung und steuerte das Bad an. Das heiße Wasser gab seinem Körper die normale Temperatur zurück. Dann zog er sich an, atmete einmal tief durch und betrat das Labor.
Langweilig. Schlecht. Nichtssagend. Emotionslos trotz aller Versuche. Ich habe dann mal in meinen Ratgebern gestöbert. Das Kapitel “Der Anfang und der erste Satz” im Teil “Bau und Elemente einer Geschichte” in Birgit Stobbes Ratgeberserie “Schreiben – Ein Ratgeber für Anfänger” und einige Kapitel aus Stephan Waldscheidts Ratgeber “Schreibcamp: Emotionen: Die 29 Tage Fitness für ihren Roman” haben dann zu den Änderungen geführt. Und ich muss sagen, dass diese vier Seiten bisher das Beste ist, was ich an meinem Roman bisher fertig gekriegt habe.
Der Zeitreisesimulator
„Endlich, die Post!“
John sprang so hastig auf, dass sein Buch über die Vielweltentheorie unsanft auf den Boden knallte. Verzweifelt versuchte er das entstandene Eselsohr wieder glatt zu streichen. Drei Sekunden später bedauerte er seine Hektik, denn Moni war schon nach draußen gerannt, um dem Postboten das Päckchen aus der Hand zu reißen. Der reagierte ungewohnt unhöflich. John beobachtete, wie der Mann mit Wut verzerrtem Gesicht und geballten Fäusten wilde Flüche in Richtung seiner Schwester ausspuckte. Das sah dem netten Herrn Ebertsen gar nicht ähnlich. Moni ignorierte das völlig und nahm das Päckchen lachend in Empfang.
Sie war genauso aufgeregt wie John. Er fühlte sich wieder wie damals im Heim, wenn er Montags auf die Lieferung einer neuen Ausgabe seines Lieblings-Comics „Roboter-Man“ wartete. Dieses Gefühl des aufgeregten, erwartungsvollen Glücks entschädigte ihn einfach jedes Mal für alles, was in jener Zeit passierte.
Diese Comics pflanzten ihm die Idee ein, Maschinen bauen zu wollen. Mächtige Maschinen. Hauptsächlich Roboter. Aber natürlich auch die obligatorische Zeitmaschine. Das erste, was er für Pepe Gunnar, seinen neuen Vater baute, war eine künstliche Pflanze für sein Gewächshaus. Danach baute er eine Roboterkatze für seine neue Schwester. Die funktionierte immer noch. Dann einen Reinigungsroboter, damit die Kinder nicht mehr so viel putzen mussten. Und nun lag die Blaupause für die Zeitmaschine fertig in seiner Schublade! Unglaublich. Alles nur wegen eines Comics.
Ob John später seine Zeitreisemaschine bauen würde, hing jedoch von diesem Testlauf ab. Das war die Abmachung zwischen den Dreien. Doch er fühlte es, er würde sie bauen. Es war sein Schicksal. Mehr als das. Es war seine Bestimmung. Es war das, wofür er geboren wurde. Sein einziger Zweck in dieser Welt. Nur er konnte das. Denn er war nicht ganz normal, wie die anderen Kinder im Heim ihm immer wieder erklärten. Und auch der Heimleiter, Herr Angerer, hatte das zu Pepe Gunnar gesagt: „Der Junge ist Besonders. Was ihm an sozialen Fähigkeiten fehlt, hat er in anderen Bereichen zu viel. In der richtigen Umgebung kann etwas aus ihm werden.“
Und das war das, was John versuchte, solange er denken konnte. Seine besonderen Fähigkeiten zu nutzen, um seine Fehler auszugleichen und etwas zu werden, was die Menschen in seiner Umgebung akzeptieren konnten. Etwas oder Jemand, auf den seine neue Familie stolz war.
Pepe Gunnar hatte den Zeitreisesimulator nach Monis Vorstellungen gebaut. Und er würde auch John letztendlich helfen, die Blaupause für die echte Zeitmaschine in die Realität umzusetzen. Alles, was es dafür brauchte, war ein positiver Testlauf in ihrem Simulator, um zu beweisen, dass es möglich und sicher war. Dann galt es nur noch, genügend Sponsoren zu finden.
Der Simulator war fast fertig. Nur ein Teil fehlte noch: Ein schwarzer Kristall. Moni wedelte mit dem Päckchen herum, rannte ins Haus und rief enthusiastisch:
„Es ist da, es ist da!“
John eilte ins Labor, wo der Simulator stand. Im Grunde sah dieser aus wie eine große schwarze Liege mit viel Technik dran. Natürlich hatte John geholfen, mit guten Ratschlägen. Doch der Simulator war Monis Projekt. Damit reagierte sie auf die ständigen Streitereien der beiden Männer über das Thema Zeitreisen. In Sachen Maschinenbau war Johns Vater genauso gut wie er. John dachte oft darüber nach, dass er auch Pepe Gunnars leiblicher Sohn sein könnte.
Moni war eine sehr gute Software-Programmiererin, die nicht nur mit dem „Walburga-Preis für Frauen in der IT-Branche 2025“ ausgezeichnet wurde, oder Gewinnerin des Programmierwettbewerbs moderne Wissenschaft in 2029 war, sondern auch seit Januar mit einem Voll-Stipendium für die Hochschule für wissenschaftliche Programmierung in ihrer Tasche herum lief! Ihr Simulator sollte Zeitreisen simulieren. Einfach toll. Sie übertraf sich ständig selbst. John war froh, dass Pepe ihn damals bei sich aufnahm.
In keine anderen Familie passte er besser hinein. Sie waren verrückte Erfinder, Visionäre, ehrgeizige Sonderlinge. Pepe gründete die Zeitreiseakademie, um sein Labor zu finanzieren, Moni entwickelte den Zeitsimulator und John würde die erste Zeitmaschine in der Geschichte der Menschheit bauen und benutzen!
Pepe war es, der die verbotenen Kristalle in den Simulator integrieren wollte. Diese außerirdischen Artefakte von der Heimatwelt der Echsen sollten die Erfahrung so real wie möglich machen. Es gab Gerüchte, sie hätten eine besondere Art von Macht. In den letzten 20 Monaten besorgte Pepe sich die Kristalle einem nach dem anderen vom Schwarzmarkt. Einer von jeder Farbe: weiß, gelb, orange, rot, violett, blau, grün, schwarz.
Als John dort stand und auf das wundersame Gerät blickte, dass seine Schwester erfunden und sein Vater gebaut hatte, hörte er den typischen schlurfenden Gang auf dem Flur und schaute sich um. Der von Hüft-Arthrose geplagte alte Herr war wohl wieder im Gewächshaus gewesen, denn er trug noch seine Gartenhose.
„Gib mir den Kristall!“, befahl er und Moni reichte ihm das Päckchen.
„Jo, mach dich fertig! Du wirst das Gerät gleich testen!“
Dann verschwand er für mehrere Stunden in seinem Büro. Das passierte nach jeder Kristall-Lieferung. Er testete den Kristall auf seine Fähigkeiten, sowie auf Risiken und Nebenwirkungen. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen, behielt er im Detail immer für sich. Er begnügte sich nur damit, zu behaupten, es sei sicher.
Die Nutzung der Kristalle war auf der Erde verboten. Es war verboten, sie zu importieren. Es war mit Sicherheit auch verboten, sie in eine Maschine einzubauen. Daher hatte Moni eine Blende über die acht Slots gebaut, in welche die Kristalle eingesetzt wurden. Was wäre ein Zeitreisesimulator ohne außerirdische Artefakte? John war sich nicht sicher, was sie bewirken sollten. Vielleicht waren sie nur Dekoration. Jedenfalls waren sie nicht radioaktiv. Zum Glück besaß er seinen eigenen Geigerzähler. Moni starrte ihn nun verkrampft grinsend an und kreischte hysterisch: „Gleich geht es los, gleich geht es los! Ich wünschte, ich könnte ihn selbst testen!“
Wie ein kleines Kind hüpfte sie auf der Stelle.
John lächelte: „Ich werde dir alles haarklein erzählen. Aber jetzt sag mal, was hast du programmiert?“
„Ich hab nichts programmiert. Es ist ja kein Computerspiel. Es ist ein Simulator, der die Zeit simuliert. Er errechnet Ereignisse, die in der Zukunft wahrscheinlich passieren werden. Es ist ein dynamisches Programm. Es kann unendlich in die Zukunft gehen, aber natürlich wird es mit der Entfernung zur heutigen Zeit immer ungenauer. Es errechnet die Ereignisse auf der Grundlage aller heute verfügbaren Daten. Der Gedankensensor kombiniert das dann mit deinen eigenen Vorstellungen und deiner Persönlichkeit.“
„Was bedeutet das?“, fragte John irritiert und verstand langsam, warum die Kinder im Heim ihn damals merkwürdig fanden. So hörte sich das also an, wenn jemand etwas sagt, was du nicht verstehst. Moni seufzte.
„Das bedeutet, du wirst die Zukunft sehen, die allgemein auf der Grundlage der heute zur Verfügung stehenden Informationen am wahrscheinlichsten ist und davon den Teil, der für dich aufgrund deines Wissens und deiner Erfahrung relevant ist!“
John spürte plötzlich ein Kribbeln an der Spitze seiner Ohren. Das passierte immer, wenn er besonders aufgeregt war oder ein besonders spannendes Buch las. Seine Schwester hatte etwas gebaut, wodurch er die Zukunft sehen konnte, die er sich wünscht? Seine eigene Zukunft? Das war der beste Tag seines Lebens! Er würde bald wissen, was sein zukünftiges Ich wissen würde. Er würde wissen, ob er die Zeitmaschine gebaut hatte oder nicht und ob sie funktionierte.
„Ich geh mich umziehen! Ich trete diese besondere Reise nicht in diesen Klamotten an!“
Die nächste Szene wird dann schon der Simulator sein. Hab ich alles andere nun umsonst geschrieben? Nein. Ohne das alles geschrieben und darüber nachgedacht zu haben, hätte ich diese vier Seiten auch nicht schreiben können. Es gibt wohl immer etwas Ausschuss. Nur wenn man Jahrelang tausende von Seiten schreibt, ohne jemals etwas fertig zu bekommen, was einer Lesen kann, dann muss man sich Sorgen machen. Ob es die endgültige Fassung des Anfangs ist, kann ich noch nicht sagen, aber ich denke, dass es das so ziemlich wird. Jetzt hat jeder ein Ziel. Johns Ziel war offensichtlich. Warum hab ich das vorher nicht erkannt?