Ich habe die wieder mal ultralange Wartezeit beim Frauenarztbesuch dazu genutzt, um das Buch “Ich hasse meinen Krebs” weiter zu lesen. Von 60% auf über 90% geschafft. Den Rest habe ich heute im Bett gelesen. Die Autorin nimmt sich am Ende des Buches vor, das alles nicht noch einmal durchmachen zu müssen und für Sterbehilfe in der Schweiz zu sparen. Dass heißt wohl, dass ich mit jedem Kauf von einem ihrer Bücher diesen Plan indirekt unterstütze. Nun ja, vielleicht überlegt sie sich das ja noch einmal. Diese Stärke muss man haben, aus so schlimmen Erfahrungen mit so vielen langfristigen Nebenwirkungen ein konstruktives Produkt zu machen, woraus andere Menschen dann auch noch etwas lernen können.
Krebs ist scheiße. Das kann sich jeder denken. Aber die meisten, wie auch ich früher, denken, dass die Scheiße aufhört, wenn man sich endlich entschließt, sich therapieren zu lassen. Wie vielen Menschen habe ich im Laufe meines Lebens wohl gut zugeredet, sie sollen bloß zur Therapie gehen, weil ich Angst hatte, dass sie sterben. Ohne zu wissen, was diese Therapie dann wieder mit den Menschen anstellt, was es bedeutet. Was es wirklich bedeutet, diese Therapie zu machen. Und danach ist man nicht automatisch völlig gesund. Nein, es wird einem gesagt, der Krebs kann wiederkommen. Auch die Therapie kann wieder Krebs auslösen. Und die langfristigen Nebenwirkungen sind zum Teil so stark, dass man danach chronisch krank oder sogar für den Rest seines Lebens behindert ist.
Ich fühle mich trotz meiner Arthrose relativ gesund. Chemobrain-Anfälle habe ich nur noch manchmal. Wenn ich Phasen mit viel Stress habe und mich zu wenig ausruhen kann. Auch wenn mir die meisten Leute das nicht ansehen oder anmerken, aber so wie früher ranklotzen geht einfach nicht mehr. Werde ich irgendwann mal ein Buch über meine sämtlichen Krebserfahrungen schreiben? Ich meine auch das von ganz früher, was jetzt nur noch als lose Erinnerungsfetzen in meinem Gehirn herumschwebt? Würde das irgendjemandem etwas bringen? Ich weiß es nicht. Würde es mir irgendetwas bringen? Weiß ich auch nicht.
Bisher lasse ich die Erinnerungen so durchlaufen, wie in einem endlos-Kino. So komme ich am besten damit klar. Es ist wie beim Fernsehen, als würde man noch gleichzeitig ein Buch lesen. Das Buch ist die bewusste Arbeit, die man zu erledigen hat. Und in den Verschnaufpausen, wo man aufblickt und versucht, über das Gelesene nachzudenken, schaue ich mir die Filme an, ohne mich dabei großartig anzustrengen. Es läuft und läuft, ohne Unterbrechungen. Immer läuft einer dieser Filme in meinem Gehirn. Das ist auch nicht krank, das ist normal. Mein Gehirn verarbeitet die Dinge immer noch, die vor Jahrzehnten passiert sind. Ob das meine geistigen Leistungen behindert oder fördert, darüber kann man nachdenken.
Ich glaube, dass das Gehirn immer arbeitet. Egal welche Inhalte, auch Alltägliches wird ständig verarbeitet. Und problematische Dinge dauern dann eben länger. Es ist gut. Wer möchte denn schon so viele unverarbeitete, problematische Erinnerungen in seinem Kopf haben? Dadurch macht man sich das eigene Gehirn zu großen Teilen ja zu einer Sondermüll-Deponie. Es ist nun mal nicht alles Friede-Freude-Eierkuchen auf dieser Welt. Dinge passieren. Dass auch Menschen mit Trauma irgendwann sagen können, was ihnen passiert ist, dass ist die Leistung ihres Gehirns, welches all diese Dinge im Hintergrund verarbeitet hat.
Im Oktober fange ich wieder an zu schreiben. Vielleicht dehne ich den Schreibmarathon auf drei Monate aus. Vielleicht kriege ich so endlich mal etwas fertig. Aber was mache ich mit den drei Monaten?
- Den alten Romanversuch auf Biegen und Brechen zu Ende schreiben?
- Den alten Romanversuch auf den Zeitreisenden um-münzen?
- Einen meiner anderen Roman-Ideen umsetzen?
- Mehr Umweltsciencefiction Kurzgeschichten schreiben?
- Aus den Umweltsciencefiction einen Fortsetzungsroman machen?
- Aus dem Zeitreisenden einen Fortsetzungsroman machen?
- Über meine Krebserfahrungen ein Buch zu schreiben versuchen?
Diesen Monat kann ich mir das noch genau überlegen. Eigentlich wollte ich ja die Übungen zur Selbsterfahrung machen, aber mir wäre es lieber, wenn ich schon mal etwas fertig hätte. Außerdem kann ich das ja diesen Monat machen. Es sind verschiedene Aufgaben. Und ich könnte auch diesen Monat meine Sportangewohnheiten noch verfestigen.
Und mehr lesen. Wieder wars der Erfahrungsbericht einer Frau, den ich durchgelesen kriege. All die anderen Bücher, Fachbücher und Ratgeber, da lese ich immer nur den Anfang oder bis zur Hälfte. Ich muss jedenfalls mehr lesen. Es geht ja.