Europawahl

Ich war heute schon früh wählen. Hoffentlich bringt es was. So falsch kann es nicht gewesen sein. Habe vorher noch recherchiert, welche Parteien meine Themen am besten vertreten: Pro Wolf, Umweltschutz, bloß keine Nazis, Grundeinkommen. Wahl-O-Mat war dann zur Überprüfung und zum Vergleichen auch wieder online. Vor dem Wahllokal hab ich mir erst mal den Wahlzettel angesehen, damit es in der Kabine nicht so stressig wird. Wir waren auch nicht die Einzigen, die gleich morgens wählen gingen. Ich merkte aber schon, dass ich das nächste Mal meine Lupe mitnehmen muss. Das ständige Fernsehen und am PC auf die Mattscheibe starren, macht mich irgendwann blind. Es strengt die Augen auch so an.

Ich gehe zwar oft in den Garten, aber da muss ich wieder aufpassen wegen der Sonne. Der Arzt fragte mich letztens, ob ich denn auch immer schön meine Sonnencreme benutze. Hüstel. Brauch ich auch noch Hautkrebs? Ich glaube nicht. Mir gings nicht gut. Jetzt fangen die Schmerzen wieder an. Dachte schon, ist ne zweite Zyste. Aber mein Arzt meinte, wenn der Schmerz von unten nach oben wandert, dann ist es noch das Gas, dass aus meinem Körper zu entweichen versucht. Wie lange man doch mit so einer minimal-invasiven Operation zu tun hat, ist unglaublich. Der neueste Schrei in Sachen Krebstherapie sind Parasitenmittel, die zu Krebsmitteln umfunktioniert werden. Hier gibts sogar ne Studie dazu: Wurmmittel gegen Krebs? Studie!

Und dass es schon öfter mal so gewesen ist, dass Anti-Parasiten-Mittel für unsere Tiere plötzlich als Antikrebsmittel verkauft werden (und anscheinend manchmal sogar wirken!) steht in diesem Artikel: Verbindung zwischen Parasiten und Krebs.

Sonst gibts nichts Neues, glaube ich. Hab meine erste Kröte fotografiert.

Hab wieder mal paar Tage Schreibübungen ausgelassen und mich über mich selbst geärgert. Nicht nur deswegen, sondern auch, weil ich ständig wieder Süßes esse, obwohl ich eigentlich die dicke Speckschwarte an meinem Bauch mal abarbeiten wollte. Ist zwar schon weniger geworden, aber immer noch Grund, sich zu ärgern. Ach ja, Sylt ist voller Biker. Interessanter Anblick. Für mich wäre das nichts. Ich kauf ja keine Sachen aus Leder mehr.

Diese Schreibübung war wieder so wie die anderen. Nichts passiert, doch fünf Seiten geschrieben. Im Prinzip sitzt eine Person mit blutiger Wunde am Kopf im Gebüsch und versteckt sich. Das wars. Tja: fünf Seiten, keine Handlung. Mittlerweile fällt mir das als Muster in all meinen Texten auf. Falls ich irgendwann daraus doch mal was machen will, muss ich mir überlegen, wie ich das umschreiben kann. Vielleicht sollte ich gleich so schreiben, dass es auch verfilmt werden könnte. Dann hat man einzelne Szenen, Rückblenden, sinnvolle Dialoge. Aber wenigstens hab ich heute mal wieder eine Übung gemacht.

Katharina
Katharina Elemas saß im Gebüsch und lauschte den Geräuschen, die aus diesem verfluchten Dorf kamen. Die Stimmen waren wieder leise, niemand klapperte mit einer Waffe oder brüllte: „Tot den Auswärtigen!“
Die Meute hatte es zum Glück nach einigen Stunden aufgegeben, sie zu suchen. Der Schaden war groß. Das Blut lief über ihr Gesicht. Ihre Kopfhaut war teilweise verbrannt. Ihre gesamte Ausrüstung war noch auf dem Marktplatz, die Bälle zum Jonglieren, die Kegel, ihre Laute, das Schreibzeug, die Geldbörse mit den restlichen 15 Talern. Aber nicht nur das, ihr Rucksack mit der Schlafmatte und auch ihr Proviant und das Futter für Noa, den Adler, alles lag dort noch, wenn sie es nicht schon lange verbrannt hatten.
Sie ärgerte sich furchtbar, weil sie daran dachte, wie sie wochenlang durch die Wildnis gewandert war, nur um in diese verdammte Einöde zu gelangen. In dieses verdammte, fremdenfeindliche, rückständige Dorf. Die waren genau wie die Leute, die ihre Eltern damals töteten. Wo war der grauhaarige Händler in dem weißen Gewand, von dem sie den Rucksack und die Schlafmatte geschenkt bekam? Sie war ihm im Wald begegnet. Er saß dort an einem Lagerfeuer auf einer kleinen Lichtung und lud sie sogar ein, mit ihm zu speisen. Das war das letzte Mal, dass sie eine warme Mahlzeit gegessen hatte. Drei Wochen war es her. Er hatte mit dem Finger in diese Richtung gezeigt und gefragt, ob sie ihn nicht lieber auf seinen Reisen begleiten würde. Sie hatte abgelehnt. Nun verfluchte sie sich dafür. Was würde sie alles dafür tun, um jetzt nicht allein hier zu sterben?
Tränen liefen über ihr Gesicht und vermischten sich mit dem Blut, das über ihr Gesicht lief und dem Ruß, der immer noch auf ihrem Gesicht klebte. Ihr gesamtes Hab und Gut, alles war nun fort. Sogar Noa hatte sie vermutlich für immer verlassen. Hatte er überlebt? Sie hatte Federn durch die Luft fliegen sehen. Was für grässliche Leute machen so etwas? Sie hatte versucht, ihn zu retten, dann nahm jemand eine Fackel und zündete sie an.
Wäre sie doch bloß in Syven geblieben. Das war nur eine mittelgroße Stadt, aber immerhin eine bunt gemischte Hafenstadt. Von hier aus hätte sie überall hinkönnen, sogar ins Königreich der Echsenmenschen, Nared. Die waren sehr gastfreundlich und versuchten nicht, jeden Auswärtigen zu töten. Aber auch Syven wäre ein gutes Dauerhaftes zu Hause gewesen, wenn sie denn zufrieden damit gewesen wäre.
Sie verfluchte sich. Warum hatte sie das sichere Syven nur verlassen? Ihr Traum von einem eigenen zu Hause war übermächtig und trieb sie immer wieder dazu an, mehr Geld verdienen zu wollen und immer größere Städte aufzusuchen. In Syven verdiente sie an einem guten Tag um die 20 Taler. Die Übernachtung in einer Gaststätte kostete 10 Taler, ein Essen pro Tag kostete 5 Taler. Wer draußen schlief, wurde eine Nacht eingesperrt und zahlte eine Strafe von 25 Talern. Für ein Grundstück am Stadtrand hätte sie 20000 Taler gebraucht, für eine kleine Farm 10000 Taler und für eine herunter gekommene Bruchbude im Armenviertel oder eine Hütte im Wald immerhin auch noch 5000 Taler. Doch dafür hätte sie sich einbürgern lassen müssen, was wieder 5000 Taler kostete. Dafür hätte sie monatelang, vielleicht Jahre lang Tag und Nacht in Gaststätten und auf Marktplätzen ihre Kunststücke vorführen, tanzen, spielen und singen müssen. Vielleicht hätte sie es nie geschafft, aber wenigstens hätte sie Hoffnung gehabt auf ein Leben in Sicherheit.
Sie hörte Geschichten. Das machte sie neugierig. Hätte sie bloß nicht hingehört. Die Leute, die mit den großen Schiffen ankamen, erzählten von einem Ort, einem Staat, der aus lauter einzelnen Inseln und kleineren Kontinenten bestand. Sie nannten es Ozeanossis. Dort sollten mächtige Wesen leben, die halb Mensch und halb Fisch waren. Sie hatten zweifelsohne magische Kräfte. Man hatte ihr gesagt, dass sie von diesem Fischerdorf aus über das große Meer nach Ozeanossis käme. Ein Boot kostete zwischen 500 und 2500 Taler. Wo sollte sie die hernehmen, wenn sie nun nicht einmal mehr das einzige Dorf weit und breit betreten konnte, ohne umgebracht zu werden?
„Nur immer dem Kompass nach Richtung Süden“, hatte ein Reisender ihr erzählt und mit dem Finger in eine Richtung gezeigt.
„Was ist ein Kompass?“, fragte sie und der Fremde lachte sie nur aus. „Tanze weiter, Kind! Stell mir keine dummen Fragen mehr, tanze!“
Einen Kompass hatte sie nicht. Trotzdem ging ihr Ozeanossis nicht mehr aus dem Kopf. Am nächsten Tag verließ sie Syven und wanderte wochenlang durch die Wildnis, nur um dann hier fast getötet zu werden.
Ozeanossis. Das sagenhafte Reich der Inselmenschen. Dort bauten sich die Wesen ihre Häuser halb auf dem Land und halb im Wasser. Sie bauten sie aus purem Gold und Edelsteinen. Es war das Königreich der Kunst, der Musik und der Kultur! Dort achtete man Menschen genau wie die Tiere, denn die Wesen waren ja beides, halb Mensch, halb Fisch. Es war ein Königreich mit vielen Prinzen und Prinzessinnen. Vielleicht würde einer der zahlreichen Prinzen sich ja in sie verlieben? Von der Landstreicherin zur Prinzessin! Sie spürte das Fieber steigen, gleichzeitig wurde ihr kalt. Sie versuchte, sich mit ihren Gedanken an den warmen Inselstaat warm zu halten. Selbst wenn sie arm bleiben würde, dort war es warm und gab das ganze Jahr über üppige Früchte. Alles war tausendmal besser, als hier zu sein, wo die Winter zu kalt und die Sommer zu kurz sind. Und die Menschen dumm und feindselig.
Schon wieder auf der Flucht, dachte sie. Genau wie damals.

Sie dachte an das Kinderheim. Als sie vier Jahre alt war, tötete ein ähnlicher Mob ihre beiden Eltern. Man beschuldigte sie kurzerhand der Hexerei. Doch das waren nichts als Lügen, weil man für den Ausbruch einer Seuche ein paar Sündenböcke brauchte. Ihre Mutter war Ärztin und Hebamme, ihr Vater ein fleißiger Ackerbauer, der Rüben, Getreide und Heilkräuter anbaute. Außerdem dressierte er Tiere und legte blühende Gärten für zahlende Kunden an. Ihre Eltern bekamen nicht mal die Chance auf einen fairen Prozess. Man brannte kurzerhand ihr Haus nieder, während sie schliefen. Katharina war gerade auf der Toilette, die sich in einem kleinen Häuschen im Garten befand, als sie das Holz unter den Flammen bersten hörte und die Schreie ihrer Eltern und ihres Bruders ihr durch Mark und Bein gingen. Der Geruch vom damals steckte auch jetzt wieder in ihrer Nase. Verbranntes Fleisch. Sie musste würgen, als sie sich daran erinnerte.

Als man sie schließlich völlig verwahrlost fand, war ein neuer Dorfvorsteher gewählt worden, der für Ruhe sorgte. Das rettete ihr das Leben. Man brachte sie in ein Heim. Doch das war mehr wie ein Gefängnis. Drei Jahre hielt sie es aus. Die erste Gelegenheit, um zu fliehen, war eine Gruppe darstellender Künstler, die von der Heimleiterin weggejagt wurden. Katharina sah sie, als sie gerade einen Korb Silbergestein ablieferte.
„Wer sind die?“, fragte sie die Aufseherin, ein ehemaliges Heimkind.
„Das sind Künstler. Sie betteln um Geld und tanzen dafür, machen Kunststücke! Nun arbeite weiter.“
Katharina schaute ihnen nach. Sie hatten Tiere dabei. Einen Esel, einen Hund, eine Katze und eine Ziege. Das erinnerte sie an ihr zu Hause.
„Ich muss mal!“, log sie die Aufseherin an. Die zeigte in Richtung Wald.
„Hier gibt es keine Toilette, das weißt Du! Also ab in den Wald. Pass auf, dass Dir die Wölfe nicht dein Hinterteil abbeißen und beeile dich!“
Und Katharina rannte davon. Doch bald merkte sie, dass sie nur ein Übel gegen das andere ausgetauscht hatte und rannte abermals davon. Seitdem schlug sie sich alleine durch. Sie kannte hunderte kleiner Dörfer und Dutzende Städte. So gut wie in Syven war es nirgendwo gewesen. Wäre sie doch nur dortgeblieben!

Sie wischte sich das Blut vom Gesicht und versuchte zu ertasten, wie viele Haare sie noch auf dem Kopf trug. Ein stechender Schmerz durchzuckte sie. Da war mindestens eine kahle Stelle, auf der sich auch noch eine Brandblase gebildet hatte. Daneben die offene Wunde, aus der das Blut langsam nach unten tropfte, über ihr Gesicht. Jetzt, wo sie es berührt hatte, wurde sie sich bewusst, dass da ein andauernder, schrecklich wütender Schmerz von ihrem Schädel ausging. Vielleicht würde sie an dieser Verletzung sterben.
Hier im Gebüsch war sie erst einmal in Sicherheit. Doch ohne ihre Schlafmatte würde die Nacht sehr kalt werden. Wenn sie nicht verblutete, dann würde sie mit Sicherheit erfrieren oder wilde Tiere anlocken. Ob es hier wirklich Wölfe gab, wusste sie nicht. Sie hatte noch nie welche gesehen.
Ihr Durst machte sie wahnsinnig. Außerdem brauchte sie frisches Wasser, um ihre Wunden zu reinigen. Sie spürte, wie das Fieber immer stärker wurde und sich die offene Stelle am Kopf zu entzünden drohte. Sie brauchte Medizin. Aber zurück ins Dorf konnte sie nicht. Sie würden sie töten.
Ohne Hoffnung zog sie ihre Beine ganz nah an ihren Körper. Noch ein paar Stunden, bis die Sonne unterging. Sie versuchte, sich zu konzentrieren, um den Schmerz zu unterdrücken. Diese Technik der Schmerzunterdrückung lernte sie in ihren Jahren im Kinderheim, um ständige Prügel und Misshandlungen zu ertragen. Im Kinderheim lernte sie, hart zu arbeiten, keine Schwäche zu zeigen, sich von Dreck zu ernähren, in der Kälte zu schlafen und sich auf niemanden zu verlassen, außer auf sich selbst.