Ich habe seit einigen Tagen versucht, an meiner Geschichte (Schreibübungen drei Romane vermischt) zu arbeiten. Ich habe aber kein langes Kapitel hinbekommen. Was dachte ich denn? Dass jedes Kapitel länger wird? Das wäre nicht gut, denn das würde ja den Rahmen von Schreibübungen sprengen. Ich hab zwei unveröffentlichte Übungen zu dem Schweinehirten-Märchen. Und heute hab ich die dritte Übung dazu gemacht. Da ich letztes Mal wieder den Zeitreisenden hatte, passt das jetzt. Und ich hab gemerkt, dass die drei Übungen zusammen ca. 8 Seiten ergeben. Und man kann sie kombinieren.
Das mache ich dann auch. Teil 1:
Freunde aus dem Wald
Als die ersten Sonnenstrahlen durch die Baumkronen des Waldes in ihr Gesicht schienen, erwachte Katharina langsam. Ihr war wohlig warm, ihr Kopf schmerzte weniger, und das Fieber schien auch zurückgegangen zu sein. Ihr Magen knurrte. Als sie sich den Bauch reiben wollte, bemerkte sie das dicke Fell, dass jemand des Nachts über sie gelegt haben musste. Sie berührte es. Es war so unglaublich weich. Und es atmete! Erschrocken zog sie ihre Hand zurück und versuchte, sich aufzurichten. Doch quer über ihr lag eine große weiße Wölfin. Katharina konnte nicht erkennen, wo Kopf und wo Schwanz war, aber sie wollte weg, konnte sich nicht rühren und geriet immer mehr in Panik. Schließlich wand sie sich mit aller Kraft aus der Umarmung des riesigen Tiers und stolperte wackelig ein paar Schritte von der Stelle fort, wo sie gelegen hatte. Doch ihr wurde schnell schwindelig. Sie war noch nicht ganz gesund. Erschöpft sank sie wieder zu Boden. Nun würde sie wohl gefressen werden! Die Wölfin drehte sich verschlafen zu ihr um und schien freundlich zu lächeln. Was für ein großer Kopf! Sie streckte sich. Mein Gott, sie war so groß! Das Tier trottete langsam auf Katharina zu, bis ihre Nasen sich fast berührten. Katharina war zu schwach, um sich zu wehren. Dann war es nun vorbei. Von einem Wolf getötet zu werden, war noch tausend Mal besser als von der Meute aus dem Dorf. Katharina schloss ihre Augen und ergab sich ihrem Schicksal. Die Wölfin beschnupperte sie gründlich, dann fing sie an, Katharinas Wunden am Kopf zu lecken. Katharina verstand langsam. Die Wölfin wollte ihr helfen. Sie hatte es ihr zu verdanken, dass sie diese Nacht nicht gefroren hatte. Welche Wirkung Wolfsspucke wohl auf ihre entzündeten Wunden hatte? Sie versuchte die Wölfin ganz vorsichtig, mit ihrer Hand von sich wegzuschieben, doch diese lies sich nicht beirren und säuberte weiter ihre Wunden. Katharina seufzte. Jetzt hatte sie auch noch eine aufdringliche Wölfin am Hals. Vielleicht konnte man sie ja trainieren? Sie brauchte schließlich einen Ersatz für den Adler. Dann ein Geräusch. Ein lautes Knacken. Die Wölfin war verschwunden. Aus der anderen Richtung näherte sich jemand. Es war Zenobius, der freundliche Händler, den sie schon kannte. Sie überlegte eine Sekunde, ob sie sich überhaupt bemerkbar machen sollte. Warum war die Wölfin vor ihm geflüchtet aber nicht vor ihr? Und warum hatte sie sich nicht gefressen? Irgendetwas Merkwürdiges passierte hier. Doch sie hatte Hunger und Zenobius hatte meistens etwas zum Essen dabei.
„Hallo, ich bin hier!“
Er kämpfte sich durch das dicke Gestrüpp, dass sie sich als Versteck ausgesucht hatte. Als er sie sah, erschrak er.
„Katharina! Was ist mit Dir passiert?“
„Ich war in dem kleinen Fischerdorf westlich von hier. Ich wollte etwas Geld verdienen. Zuerst lief alles gut, doch dann drehten sie durch…“
„Hast Du sie provoziert?“
„Ich habe nur meine Mütze abgenommen!“
„Dummes Kind. Weißt du denn nicht, was für Ohren du hast?“
„Ohren? Ich habe ganz normale Ohren!“
„Nein Kind, deine Ohren sind spitz, ihre Ohren sind rund. Deine Haare sind rot, ihre Haare sind dunkel. Verstehst du?“
„Ich habe meine ganzen Sachen verloren. Mein Adler ist weg. Mein Geld ist weg. Meine Laute ist verbrannt. Auch meine Uniform. Ich habe nur noch das, was ich am Leib trage und auch das ist halb verbrannt.“
„Was für ein Jammer. Steh auf und komme erst mal hier weg. Ich glaube, es halten sich einige wilde Wölfe in der Nähe auf.“
Katharina streckte Zenobius ihre Hand entgegen, der sie hochzog. Sie überlegte, ob sie ihm von der Wölfin erzählen sollte, aber sie tat es lieber nicht. Sie wusste, dass er auch mit Pelzen handelte. Und der Pelz dieser Wölfin war mindestens 300 Taler wert, wenn nicht mehr. Aber ihr konnte diese Wölfin mehr Taler bringen, wenn sie mit ihr ein paar Kunststücke und Tricks einstudieren würde. Irgendwann in der Zukunft. Erst mal musste sie gesund werden. Sie schaute zu, wie Zenobius ein Lager aufbaute. Er packte etwas Essbares aus und macht ein Feuer. Katharina bemerkte im Schatten des Waldes ein auffällig leuchtendes Augenpaar, das sie heimlich beobachtete.
„Was hast du nun vor?“, fragte Zenobius sie.
„Ich gehe zurück nach Syven.“ Er schüttelte sofort den Kopf.
„Der Weg ist zu weit. Das schaffst du noch nicht. Die Wunde kann sich entzünden. Du solltest erst mal zu einem Arzt gehen!“
„Siehst du hier einen Arzt?“, fragte sie mürrisch.
„Im Dorf gibt es einen.“
„Was? Dahin gehe ich nicht zurück!“
Er zuckte mit den Schultern: „Du hast wohl keine Wahl!“
Sie wickelte sich tiefer in die Decke, die er ihr gab.
„Niemals!“
„Dir ist unrecht getan worden. Du kannst zum Dorfältesten und Gerechtigkeit verlangen. Dann muss der Täter dir vielleicht sogar die Arztkosten erstatten! Vielleicht auch mehr!“
„Du meinst es gibt ein Gesetz in diesem Dorf, dass es verbietet, Leute anzuzünden?“
„Das Gesetz gilt überall.“
„Aber sicher nicht in diesem Dorf!“
„Auch in diesem Dorf. Ich denke, du hattest einfach nur Pech. Du bist der falschen Person begegnet!“
„Es waren mehrere. Sie haben mich in kleinen Gruppen bis in den Wald verfolgt. Fast ganz bis hierher. Dann bekamen sie Angst!“
„Das glaube ich. Vermutlich haben sie die großen Spuren gesehen. Hier muss irgendwo eine riesige Bestie herumrennen. Alleine darum würde ich lieber heute als morgen ins Dorf gehen!“
„Ich habe keine Angst. Wilde Tiere sind mir lieber, als diese Leute. Wie du weißt, kann ich wilde Tiere zähmen.“
„Das glaube ich dir, aber du hast alles verloren. Was willst du denn machen? Wir gehen zurück und holen zumindest deine Sachen. Dann holen wir eine Salbe beim Arzt. Ich mache meine Erledigungen und den Rest kannst du dir ja immer noch überlegen.“
„Ich kann da nicht hin zurück. Die bringen mich um!“
Zenobius schüttelte verdrossen den Kopf.
„Du kannst dich nicht ewig verstecken. Du musst dein Recht einfordern, zeigen, dass du da bist und dass du dich wehren kannst!“
„Ich kann mich aber nicht wehren!“
„Nun esse erst mal was. Ich muss spätestens morgen ins Dorf um neue Vorräte zu kaufen. Ob du nun mitkommen willst oder auch nicht. Ich habe keine Wahl, denn sonst habe ich auch nichts mehr zu essen.“
Mit diesen Worten reichte er ihr einen Holzteller mit einem Gemisch aus Fleisch und Wurzeln. Gierig fing sie an zu schmatzen.
Ich habe es durch die Rechtschreibprüfung geschickt und gleich noch mal den Namen geändert. So ein fahrender Händler in einer mittelalterlichen Märchenwelt sollte nicht Teddy heißen. Wahrscheinlich hatte ich zu viele Zeichentrickfilme geguckt. Er heißt nun Zenobius. Ich hab schon eine Menge geplant, was mit ihm passiert und wie ich dann auch das Märchen mit dem Zeitreiseroman kombinieren könnte. Irgendwie geht es immer weiter. Man muss nicht jeden Tag was machen. Ich finde es selber spannend, wie mein Gehirn funktioniert und welche Ideen mir kommen. Ich bin in meinen Gedanken sehr häufig in der Geschichte. Ich spinne es in Tagträumen weiter. Auch den zweiten Teil:
Der besondere Fisch (Alternativ: Freunde aus dem Wasser)
Veronika wanderte am Fluss entlang, wie sie es sich vorgenommen hatte. Ihre Füße waren zerschunden und blutig gelaufen. Die drei Schweine hatten jeden Widerstand aufgegeben und trotteten willenlos hinter ihr her, immer noch an dem Seil festgebunden. Veronika wollte so viel Entfernung wie möglich zwischen sich und ihre sogenannten Eltern bringen. Doch irgendwann, es mochten zwei oder drei durchgelaufene Tage und Nächte gewesen sein, hörte sie ihren eigenen Magen knurren und machte halt. Der Fluss rauschte an ihr vorbei. Unaufhörlich. Ihr Kopf pochte laut und tat weh. Ihrem Gehirn fehlte die Energie. Auch das hatte sie in der Schule gelernt. Sie musste an ihre Mutter denken, die dafür gesorgt hatte, dass sie am Tage ihrer Flucht keinen einzigen Bissen gegessen hatte. Sie wünschte, sie wäre ein Fluss. Dann käme sie vorwärts und bräuchte nichts zu essen, müsste niemals schlafen und würde auch nichts fühlen. Sie ließ das Seil fallen, um das sich ihre Hand die ganze Zeit so verbissen geklammert hatte und kniete sich ans Ufer, um zu trinken. Ihre Schweine taten das gleiche. Kasimir stand direkt neben ihr. Gutmütig beobachtete er sie. Sie schloss die Augen und wusch sich das Gesicht. Das Wasser war eiskalt. Sie würde zum Ursprung dieses Flusses laufen, sie würde…
Sie erschrak, als sie plötzlich ein Gesicht aus der Tiefe anstarrte. Es war nur eine Sekunde, aber sie hatten sich Auge in Auge angesehen. Da war etwas. Ein Fisch mit solchen Augen? Mit so einem Gesicht? Das sah fast aus, wie ein winzig kleiner Mensch mit Flossen. Dann war es wieder weg. Veronika stand auf und beobachtete den Fluss. Da schwamm etwas unter Wasser davon, flussaufwärts gegen den Strom. Und Kasimir rannte hinterher. Und was Kasimir tat, das taten Kaspar und Milli ebenfalls, denn sie waren immer noch durch das Seil miteinander verbunden. Und Veronika, die gerade merkte, wie sehr sie eine Pause brauchte und wie sehr ihre Füße schmerzten, musste ebenfalls hinterher, denn hier gab es viele Gefahren für ihre drei Schweine. Sie könnten ins Wasser fallen und ersaufen, sie könnten in den Wald davonlaufen und sich an dem Seil aufhängen oder sie könnten von wilden Tieren gefressen oder von hungrigen Wanderern gejagt werden. Veronika rannte, so schnell sie konnte, obwohl bei jedem einzelnen Schritt ihre Füße wie Feuer brannten. An einem Felsvorsprung blieb Kasimir abrupt stehen. Von hier aus konnte man fast sehen, wo der Fluss entsprang. Wenn sie weiter dem Fluss folgen wollte, musste sie klettern. Das Ding blieb ebenfalls vor der Barriere stehen. Es gab keine Fische, die einen Wasserfall nach oben schwimmen konnten und auch dieser besondere Fisch konnte das nicht. Also war es wohl kein magisches Wesen. Kasimir verfolgte das Wesen interessiert und schaute geradezu verliebt ins Wasser. Vorsichtig näherte sich Veronika und wollte das Seil greifen. Doch bevor sie es erreichen konnte, sprang Kasimir einfach ins Wasser. Und die anderen beiden sprangen hinterher. Ohne ihre Schweine aber, war Veronika ganz alleine auf der Flucht. Ganz alleine ohne Freunde, ohne Gesellschaft. Also sprang sie hinterher. Sie hatte einfach keine Wahl. Doch eine Sache hatte Veronika niemals gelernt. Eine Sache, die Schweine instinktiv beherrschten: Das Schwimmen! Sie ging unter, wie ein Stein. Luftblasen stiegen aus ihrem Mund auf. Das Wasser war klar, aber sehr kalt. Ihre Finger drohten zu erfrieren. Sie wand sich und versuchte alles, um wieder an die Oberfläche zu kommen, doch sie schaffte es nicht. Sie hörte Kasimir quieken. Es war ein gedämpftes fernes Geräusch. Er tauchte zu ihr hinunter auf den Grund und biss in den Stoff ihrer dünnen Jacke, um sie an die Oberfläche zu ziehen. Bald darauf taten es ihm die anderen beiden Schweine nach, aber sie konnten Veronika nicht helfen, sie war einfach zu schwer. Sie schnappte nach Luft. Wie lange dauerte es wohl, bis sie ertrunken war? Sie versuchte, die Luft weiter anzuhalten, und zappelte in Panik, doch ihr Körper schien einfach zu schwer zu sein. Da sah sie vor sich das kleine blaue Wesen. Die Schuppen glänzten bunt metallisch in der Sonne. Es war ungefähr ein Viertel so groß wie sie. Der Unterkörper ein Fisch, die Arme dünn und von der Hüfte bis zu den winzigen Händen mit Schwimmhäuten bewachsen. An der Seite verkümmerte Beinchen, ebenfalls mit Schwimmhäuten. Kurzes, krauses Haar. Haut, Haare und Augen dunkelblau. Das Wesen machte ihr die Bewegungen vor, wie man nach oben schwimmt. Es dauerte eine Weile, bis sie es begriff. Veronika versuchte es. Die Schweine zogen weiter mit vereinten Kräften an ihr und plötzlich bewegte sie sich langsam nach oben. Als sie wusste, wie es geht, steckte sie alle Kraft in die Bewegungen und war in Sekundenschnelle wieder an der Oberfläche. Ihre Lunge bäumte sich auf und füllte sich mit Luft. Geschafft! Doch nun wurde sie von der starken Strömung weggerissen. Mit aller Kraft kämpfte sie dagegen an. Immer nur einen Gedanken im Kopf: „Ich will nicht wieder zurück! Ich will nicht den ganzen Weg wieder zurück!“ Da fühlte sie, wie etwas sie von hinten ans Ufer zog. Dort blieb sie liegen und schlief völlig erschöpft ein. Ihre Schweine legten sich neben sie. Das Wesen blieb im Wasser und wartete darauf, dass Veronika wieder erwachen würde. Der Name dieses Wesens war Noona.
Auch nicht so lang geworden. Aber darum ja nicht wertlos. Wann lerne ich endlich, dass ich mich nicht mehr selbst unter Druck setzen soll? Es zählt nicht, wie viele Worte man schreibt, oder wie schnell das passiert. Es zählt nur, dass man die richtigen Worte schreibt. Ich habe heute wieder heftigen Cardio-Kraft-Sport gemacht. Ich versuche nun, zweimal die Woche, damit mein von Chemotherapie geplagtes Herz nicht doch noch schlapp macht. Es sind immer nur 20 Minuten, aber die sind hart durchzuhalten. Das hab ich nun aber schon zweimal geschafft. Normal macht man es ja täglich und nicht einmal die Woche, aber ich spüre trotzdem, dass mein Bauch flacher wird. Und dann hab ich auch wieder genug Sauerstoff im Gehirn, um den letzten Teil dieser Serie zu schreiben:
Der Verräter
Rudolf Schauer wartete, bis seine Frau Klementine eingeschlafen war und schlich sich dann zu seinem geheimen Vorrat Gerstenwein, den er selbst gebraut hatte. Er konnte dieses Leben eben nicht ohne Alkohol ertragen. Eine Frau, die sich mit Auswärtigen einließ, war ja schon schlimm genug, aber einen Bastard zu gebären und nicht sofort zu töten, das war ihm total unverständlich. Dann hätte sie ihrem exotischen Liebhaber gleich seinen Balg in die Hand drücken sollen. Es wäre besser gewesen, als dieses scheinheilige Geplänkel. Dieses drum herum reden und so tun, als ob man sie als Familienmitglied behandelte. Nein, das war sie nicht. Diese Bergmenschen waren zwar groß und stark, aber unglaublich dumm. Er hatte sie geduldet, weil sie keine Gefahr darstellte, weil sie ihm nicht in die Quere kam, weil sie ab und zu für etwas Vergnügen und Abwechslung gesorgt hatte und weil sie eine gute Sklavin war. Aber mit zunehmendem Alter würde sie stärker und stärker werden. Bergmenschen waren doppelt so groß wie die Menschen aus dem Fischtal und selbst die Echsenmenschen waren noch drei Köpfe kleiner als sie. Bergmenschen waren wilde Barbaren. Sie züchteten diese grässlichen Schweine und gruben die ganze Zeit Tunnel in den Berg, um wertvolle Metalle herauszuschlagen. Egal, wie viele Mienen das Fischervolk auch errichtete, die Erträge und die Reinheit der Metalle waren nicht gut. Man war auf den Handel mit diesen riesigen Idioten angewiesen. Diese nahmen das unsaubere Metall und gaben ihnen reine Metalle dafür. Außerdem verkauften sie eine Menge Trockenfleisch, das hierzulande sehr beliebt war. Zu ihrer Größe und Hässlichkeit kam hinzu, dass manche von ihnen nur ein Auge besaßen. Andere wiederum, so erzählte man sich, hatten an ihrem Hinterteil eine Art Schweif. Klementine hatte es ihm bestätigt. Einfach abartig. Er würde warten, bis Klementine das nächste Mal zum Arzt ging, dann würde er Veronika davonjagen. Vielleicht würde er sie auch unter einem Vorwand in den Wald locken und dort festbinden, wenn er es irgendwie zustande brachte. Sie war erst sieben Jahre, aber schon genauso groß wie er. Er hätte nicht so lange damit warten sollen. Er trank immer mehr von seinem Wein und seine Gedanken wurden immer aggressiver. Da er sich Mut antrinken musste, war es schon fast morgen. Vielleicht wäre es besser, sie im Schlaf zu töten und dann in den Fluss zu werfen? Aber wie? Ein Schlag mit einem dicken Knüppel auf ihren Kopf, dann ein Seil um ihren Hals, zugedrückt und ab in den Fluss…
Er schlich sich in den Stall, etwas torkelnd, aber zu allem bereit. Es war dunkel. Hier gab es keine Lampe. Die hatte er ihr ja weggenommen. Er wühlte vorsichtig mit den Füßen im Stroh. Nichts. Nicht mal die Schweine. Wo war sie? Nun wollte er es wissen. Er riss die Tür auf und ließ den Schein der aufgehenden Sonne hinein. Das Lager war leer. Weder Schweine noch dieser widerliche Bastard waren hier. Sie war ihm zuvorgekommen. Diese kleine Kröte. Und sie hatte die Schweine mitgenommen.
„Verdammt!“, brüllte er. Dann sackte er im Stroh zusammen und vergrub sein Gesicht in seinen geballten Fäusten. Wie konnte das sein? Hatte sie ihr Gespräch belauscht? Das sah ihr nicht ähnlich. So schlau war sie nicht. Und mit ihren dicken Füßen wäre sie auch niemals in der Lage gewesen, sich leise anzuschleichen. Wann immer sie zum Haus trampelte, sah und hörte er sie immer schon von weitem. Er spürte regelrecht die Erschütterungen ihrer riesigen Füße! Nein. Das war sie, Klementine, gewesen. Sie hatte ihren Bastard gewarnt. Das war die einzige Erklärung.
Diese undankbare Ziege! Diese Hure von Auswärtigen! Ein Bergmenschenflittchen! Das war sie. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, mit dem neuen Kind eine normale Familie mit ihr zu gründen, nachdem der Bastard endlich weg war. Diese Tochter eines wohlhabenden Fischers, der leider über Bord gehen musste, hatte ihm damals nur als Notlösung gedient. Wer zehn Jahre im Straflager war, alles verloren hat und obdachlos ist, der hat eben keine Wahl. Er hatte zähneknirschend alles geduldet, aber nun war Schluss!
Wutentbrannt rannte er ins Haus und brüllte laut seine Schimpfworte. Klementine kam aus dem Bett, rieb sich die Augen, starrte verwundert auf ihren betrunkenen Mann und fragte: „Ist wieder was mit Veronika?“
„Ja, es ist etwas mit ihr!“, brüllte er, „Stell dir vor, sie ist weg! Mit unseren Schweinen! Sie hat die verdammten Schweine mitgenommen!“
„Weg? Das kann nicht sein! Wo soll sie denn hin?“
„Ich weiß es nicht! Sag Du es mir! Du hast sie doch gewarnt!“
„Gewarnt? Wovor?“
„Das ich sie…“
Er stotterte. Er spürte, dass er sich um Kopf und Kragen redete, aber er war zu betrunken, um sich zu kontrollieren.
„Das ich sie, das ich sie wegjagen wollte. Das wollte ich. Jawohl.“
Gerade noch mal gut gegangen. Klementine schaute ihren Mann nun streng an und verschränkte die Arme. Sie blieb ganz ruhig. Er konnte es nicht ertragen, wenn sie ihn so anstarrte, und sank kraftlos auf einen Stuhl.
„Nun, wenn du sie wegjagen wolltest und sie ist weg, dann ist es doch gut, oder?“
„Verstehst du nicht? Wir haben kein Geld für das neue Kind! Klementine, wir müssen sie jagen! Sie hat die Schweine gestohlen!“
Klementine seufzte.
„Die Schweine gehören ihr. Das hat damals jeder im Dorf mitbekommen. Er hat es auf dem Marktplatz laut verkündet und es in einem Vertrag sogar bei einem Notar hinterlegt. Ich durfte die Schweine darum nicht verkaufen und auch nicht schlachten. Sie gehören ihr. Und sie sind schon so alt, dass das Fleisch zäh wäre und vermutlich wird das mit der Zucht auch nicht mehr klappen. Also reg dich nicht auf.“
„Aber das neue Kind? Wie bringen wir es durch?“
Sie setzte sich ruhig zu ihm an den Tisch.
„Ich habe ja noch die Erbschaft von meinem Vater. Er hat mir viel mehr vererbt, als diesen Hof. Alles, was er gespart hat, liegt in einer Truhe, die ich draußen unter dem Eichenbaum begraben habe. Ich habe es nie gezählt, denn ich nehme mir nur etwas heraus, wenn es wirklich notwendig ist.“
Nun wurde Rudolf hellhörig. Taler über Taler hatte diese Frau im Garten begraben, hier vor seinen Augen und ihm nie davon erzählt? Na endlich kam das Geheimnis ans Licht! Darauf hatte er so lange gewartet.
„Warum weiß ich davon nichts?“, fragte er mit einem fiesen Unterton.
„Das musst du verstehen“, antwortete sie ebenso streitlustig, „Mein Vater war gerade tot und ich bekam eine Menge Heiratsanträge. Von viel besseren Männern, als von dir. Mein Vater hatte sein Leben lang alles gespart. Er war sehr sparsam. Und von jeder seiner Reisen kam er mit noch mehr Gold zurück! Die Männer fingen an, mir den Hof zu machen, da war er noch nicht mal ganz kalt. Das war alles nur wegen des Geldes. Das wusste ich. Um dem ganzen ein Ende zu machen, log ich allen vor, dass ich arm sei. Und ich ließ ich mich mit dem Bergmann ein, weil ich plante, diese Gegend für immer zu verlassen. Ich wollte den Hof verkaufen.“
„Also hast du ihn nie geliebt?“
„Ziliax war nur Mittel zum Zweck. Allerdings mochte ich ihn sehr. Er war Besonders.“
Sehnsüchtig starrte sie auf das alte Holz der Tischplatte und lächelte sanft. Dann fuhr sie provozierend fort:
„Ein Echsenmensch hätte den Zweck vermutlich auch erfüllt.“
Rudolf schaute sie angewidert und erschrocken zugleich an.
„Ja, Rudolf. Du hast richtig hehört. Um hier wegzukommen hätte ich mich auch mit einem von ihnen eingelassen. Ich konnte das Leben hier einfach nicht mehr ertragen. Als Frau ist man hier doch nur eine Sache. Die Menschen sind dumm und voller Vorurteile. Erst als ich dich traf, wollte ich bleiben.“
Traurig blickte sie ihn an.
„Was hätte dein Vater dazu gesagt? Zu diesem Bergmenschen?“
„Er hatte nach dem Tod meiner Mutter selbst unzählige Geliebte. Er traf sie auf seinen Reisen und lies mich allein zu Haus. Manchmal Monatelang.“
„Also liegt es in der Familie! Auch dein Vater war eine Hure!“, lachte er.
„Ich wünschte, du würdest jetzt deinen Mund halten“, fauchte sie scharf.
Rudolf beachtete sie nicht. Er sah sie nicht mehr an. In seinem Hirn zählte er schon die Taler. Die Waffe hatte er fest umklammert auf dem Tisch vor sich liegen. Dann fing er an, laut zu denken, aber immer noch, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen:
„Ich schlage vor, wir graben nun das Geld aus und zählen, wie viel es ist. Vielleicht können ein weiteres Stück Land kaufen und die Farm erweitern? Vielleicht können wir die Hütte abreißen und uns ein richtige Haus bauen, so eins aus Stein! Vielleicht können wir uns ein Schiff kaufen und auf Reisen gehen, wie dein Vater, und uns dann auf diesen Reisen abwechselnd mit Auswärtigen einlassen. Was hältst du davon, Liebling? Dann werde ich etwas gegen meine Vorurteile tun…“
Er sagte das Wort Liebling, als wäre es ein Schimpfwort. In Wirklichkeit wollte er Hure sagen.
„Wo hast du eigentlich den Wein versteckt?“, fragte sie, die immer noch unglaublich ruhig blieb. Ihre Mundwinkel zuckten.
Er stand auf, wackelig auf den Beinen, und holte die Flasche Gerstenwein aus dem Versteck. Als er zurückkam, zielte sie mit dem Gewehr auf ihn. Verdutzt setzte er sich vorsichtig wieder auf seinen Platz. Seine Hand griff ins Leere. Er lächelte kurz, überlegte, mit welchen Sprüchen er sie früher hatte um den Finger wickeln können, doch er gab es bald auf. Er spürte, dass es nicht mehr funktionieren würde. Er musste die ganze Zeit an diesen Goldschatz denken, der da die ganzen Jahre unter einem Baum begraben auf ihn gewartet hatte. Unerreichbar war er nun geworden. Seine Frau starrte ihn mit einer Boshaftigkeit an, wie er sie noch nie gesehen hatte. Oder doch, aber nur im Umgang mit Veronika. Als sie dann sprach, presste sie die Worte wütend heraus: „Du wolltest auch nur mein Geld. Du hast mich niemals wirklich geliebt!“
Dann drückte sie ab.
Geplant war das Kapitel nicht so. Ich hatte geplant, dass er seine Frau wutentbrannt umbringt und dann Jagd auf Veronika macht. Er sollte im Dorf die Lüge erzählen, dass sie das gesamte Geld gestohlen, die Schweine entführt hat und dann weggelaufen war. Aber seine Frau hat es ja gesagt: Hätte ihm niemand geglaubt. Die Schweine gehören ihr. Dafür gibt es Zeugen und Dokumente. Er wollte es nur nicht wahrhaben. Und seine Frau hatte ihr Geld die ganze Zeit auch vor ihm versteckt, wegen der Umstände, unter denen sie sich kennen gelernt haben. Und er deutet in seinen ekelhaften Gedanken an, dass er ihren Vater sogar umgebracht hat, um an sie heran zu kommen. Er muss also den Schuss überleben, damit diese Wahrheit noch ans Licht kommen kann, oder? Ist es wichtig? Ist das nicht zu viel Vergangenheits-Müll? Die beiden sind nur Nebendarsteller.
Ich hab mir überlegt, wer ist eigentlich mein Bösewicht? Sind es die Eltern oder ist es Meister Gunna? Letzterer ist alt und Gebrechlich. Wie soll er noch was ausrichten in seinem Zustand? Aber er plant den Arzt, der ihn erpresst, zu töten. Böse. Ich habe darüber nachgedacht, was er noch alles anstellen könnte. Aber da muss ich erst noch hinfinden. Klementine eignet sich wohl nicht so als Bösewichtin, denn sie ist ja schwanger, oder? Und Rudolf wurde gerade angeschossen. Veronika jedenfalls hat sich geschworen, das neue Kind irgendwann zu retten. Sie will zurück kehren und die beiden bestrafen. Es ist noch ein weiter weg, aber ich bin froh, dass ich nichts wegwerfen muss. Alles passt irgendwie zusammen.