Erster Tag

Heute ist der erste Tag im neuen Jahr 2020 und ich schreibe. Ich habe gedacht, dass es gut wäre, gleich am ersten Tag zu schreiben und es nicht ewig vor mir her zu schieben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich erst überarbeiten soll und dann erst den zweiten Teil schreiben, aber nun hab ich es einfach entschieden. Ich schreibe weiter an der Rohfassung. Und den ersten Teil werde ich erst mal so überarbeiten, dass es eine bessere Rohfassung wird. Katharina wird die Königin der Wölfe. Sie ist Tierzähmerin, aber diese Fähigkeit wird in der Handlung nicht genutzt. Veronika muss entführt und ins Kinderheim gebracht werden. Alles andere wäre unlogisch. Und ihr Vater braucht eine neue Familie, denn kein Bergmensch ist lange alleine. Manche haben sogar mehrere Frauen. Das Käferschiff muss früher ins Spiel und Meister Gunner muss mehr Raum bekommen, denn er ist ein guter, ambivalenter Bösewicht ohne zu viel Klischee.

Es geht weiter, wo es aufgehört hat. Also ich mache beides. Ich überarbeite die Handlung in Teil 1, wo es notwendig ist, und schreibe trotzdem einfach weiter. Der Feinschliff kommt dann später. Ich überlege, was mein Geschreibe von dem anderer Leute unterscheidet. Vielleicht sollte ich mal wieder einen Roman lesen, damit ich es besser erkennen kann. Meine Kapitel wirken auf mich manchmal wie Polizeiberichte, nicht wie Romanprosa. Aber dafür lernt man ja. Dafür lerne ich. Ich lerne dazu. Ich lerne, wie man das macht. Erst schreiben, dann die Handlung flicken, dann überarbeiten.

Ich hab zwar nicht mehr viel Geld, aber ich musste mir noch im letzten Jahr das Upgrade zu Papyrus 10 besorgen. Das war sicher kein Fehlkauf. Es hat sich einfach richtig angefühlt. Ich werde versuchen, jeden Tag etwas zu tun, nicht nur einmal die Woche. Mehrmals die Woche. Genau das gilt auch für den Sport. Der Rehasport ist ausgelaufen, wenn ich noch hin will, muss ich selbst bezahlen oder mich noch einmal bemühen. Ich hab zu Hause extra ein Sportzimmer. Ich kann jeden Tag früher aufstehen und meine Übungen machen und jeden Abend vor dem Schlafen meditieren. Ich kann und ich sollte mir das angewöhnen. Es wäre gut für mich. Und öfter mit dem Hund laufen. Das Fahrrad endlich zur Reparatur bringen.

Auch meine Zuzahlungsbefrehung habe ich nicht noch einmal verlängert. Ich habe nicht vor, noch einmal ins Krankenhaus zu gehen. Mein Port lasse ich mir ambulant entfernen. Und für die Sachen, die ich nehme, die Nahrungsergänzugen oder das CBD-Kaugummi, bekomme ich ohnehin keine Ermäßigung. Also sind die ca. 200 Euro, die ich dafür im Voraus an die Krankenkasse bezahle, eher ein finanzieller Verlust, als dass es mir wirklich hilft. Außer, wenn ich Wochenlang im Krankenhaus liegen und viele Medikamente oder gar Chemotherapie kriegen müsste, was ich nicht mehr will. NEIN DANKE.

Ich habe beschlossen, dass ich versuche, nur noch Bio-Lebensmittel zu kaufen. Mir ist aufgefallen, dass Biolebensmittel sehr viel Raum lassen für Betrug. Die Äpfel, die es lose zu kaufen gab, unterschieden sich nur durch einen simplen, winzigen Demeter-Aufkleber von den anderen.Ich erinnere mich an damals, die Geschichte mit dem Gammelfleisch. Mitarbeiter des Supermarktes haben einfach neue Etiketten auf abgelaufenes Gammelfleisch geklebt. Und immer denke ich: Was wäre wenn?

Viele Biolebensmittel sind in winzigen Portionen in Plastik abgepackt, wo man nicht sieht, wenn sie vor sich hin rotten. Ich hatte drei rotte Tomaten in einer Packung und frage mich, wie mir das entgangen sein kann. Die Pappe war durchgeweicht. Das hätte ich sehen müssen. Aber es war sehr stressig und voll und mein Vater war genervt, wir sollten uns beeilen. Ein Mann, der hinter mir an der Kasse stand, hat mir seinen Wagen ständig an meinen Hintern geschoben, damit ich weiter gehe. Aber da war kein Platz. Es war sehr voll. Ich bin dann einfach irgendwann stehen geblieben. Stalker im Kaufladen. Auch ein guter Buchtitel. Und tatsächlich gibt es bei Netflix eine ganze Serie über einen Stalker, der aber auch ein Mörder ist. Ich hab mir Bio-Apfelchips gekauft. Dieses Jahr keine Kartoffelchips-Orgie. Die sind bestimmt auch voller Keimhemmungsmittel und andere Kanzerogene.

Das Jahr der Ratte. Ich glaube ja eigentlich nicht mehr an Horoskope, aber der Gedanke, dass man alle zwölf Jahre ein besonders tolles Jahr hat, das lässt mich hoffen. Die letzten drei Jahre waren aber auch super-schrecklich, also kann es eigentlich jetzt nur besser werden. es müsste nur normal sein, um eine enorme Verbesserung zu sein. Immerhin habe ich die letzten drei Jahre viel geschrieben. Das hat mich über Wasser gehalten. Mein Chemobrain wäre nicht nur ohne die Reha und den Rehasport viel schlimmer, sondern auch ohne das Schreiben und nachdenken über meine Schreibideen. So gesehen war 2019 doch ganz gut, wenn man nur das Schreiben betrachtet. Aber die Geschichte soll nicht in der Schublade landen. Darum muss ich dieses Jahr mehr schreiben. Noch mehr. Wer weiß, was nächstes Jahr los ist. Aber wenn ich eins über mich gelernt habe in all der Zeit, dann das, dass ich keinesfalls Pessimistin bin, wie alle immer behauptet haben. Ich bin Optimistin, aber halt nicht so verblendet, dass ich das Schlechte nicht sehen kann oder Probleme einfach ignoriere. Realistische Optimistin.

Hat mich der Krebs stärker gemacht? Nein. Schwächer. Ich habe nun viel mehr gesundheitliche Probleme, als vorher. Allergien, Unverträglichkeiten gegen Medikamente, Nebenwirkungen, Gelenkschmerzen, Probleme mit den Augen, Kopfschmerzen, labile Eingeweide, Narbenschmerzen, Chemobrain, Probleme, mich zu konzentrieren. Und ich ärgere mich viel mehr darüber, wie es alles in dieser beschissenen Welt so abläuft.

Aber ich war dazu gezwungen, einige der Überlebensmechanismen, die ich kenne, anzuwenden. Denn wenn ich das nicht getan hätte, dann hätte es mich zerstört. Und nun versuche ich, klarzukommen.

Ich versuche zu existieren. Und das geht nicht, ohne zu schreiben. Was in der Zukunft aus mir wird, kann ich nicht wissen. Es macht mir manchmal Angst, aber ich kann nicht mehr im voraus planen. Ich lebe nun im Hier und Jetzt, denn das ist der einzige Ort und Zeit, an dem ich etwas beeinflussen kann.

 

 

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