Meine Idee von vor fast 10 Jahren kommt jedes Mal wieder an die Oberfläche geschwommen, wenn ich mir das Leben in meinem Teich anschaue. Der Fischmenschen-Planet-Roman. Mehrere Anfänge. Unvollendeter Datenmüll. Alle Ideen durcheinander. Kein Fokus.
Ich hab es heute mal wieder versucht. Was mir daran nicht gefällt ist, dass die Handlung zu dünn ist und die Erklärungen zu groß. Show, don’t tell. Ich mach immer das Gegenteil. Ich erkläre, nehme Dinge vorweg. In dem ersten Kapitel läuft sie im Grunde genommen nur von ihrem Quartier bis zum Labor und kehrt dann um, um doch zum Hangar zu gehen und einen Tauch-Roboter zu starten. Mehr passiert da nicht und ich schreibe trotzdem 4-5 Seiten. Ich höre schon die Leute, wie sie laut schreien: “Langweilig!”
Aber abgesehen davon ist das ein besserer Anfang, als ich bisher geschafft habe. Und ich kann froh sein, dass ich heute überhaupt mal wieder geschrieben habe. Jeden Tag schaffe ich nicht. Gelesen hab ich auch wieder nur im Internet. Studien, Infos über angebliche Heilung für Krebs. Wer ist gestorben, wer lebt noch? Warum tue ich mir das nur an? Wie schnell haben die Leute mich wohl vergessen, wenn es bei mir erst so weit ist? Mein Tee haut ganz schön rein. Ich hab den Sud gekocht. Jeden Tag nimmt man 30 ml und verdünnt sie wieder mit Wasser. Danach trinke ich noch meinen normalen Tee und esse meistens auch noch was. Man soll danach viel trinken. Der Tee macht müde. Das Herz bummert ein bisschen mehr. Manchmal fühlt es sich wie Schwindel an. Aber die Schmerzen an den Hüftknochen sind fast ganz weg. Seitdem die Schwellung weg ist, hab ich rechts und links keine Stiche mehr, aber das mit der Hüfte schien immer schlimmer zu werden. Ist nun weg. Hilft also. Kann auf die Niere gehen, aber besser, als noch eine Chemo, oder? Also schreib Dein Zeug weiter und nimm Deine Medizin.
Also für eine Rohfassung ist das gut genug. Ich schraube meine Ansprüche zurück und entscheide mich, zufriedener zu sein:
Der Fischmenschenplanet: der Anfang
Dr. Violetta Bail sprang noch vor dem ersten Klingelton ihres automatischen Weck-Alarms euphorisch aus dem Bett und warf sich ein paar der Frühstückspillen ein, die sie selbst entwickelt hatte. Inhaltsstoffe: Algen, Ferment, weiterverarbeiteter Klärschlamm, Pflanzenreste aus dem hydroponischen Garten, gekeimte Leguminosen-Samen, sowie selbst gezüchtete Insektenlarven. Lecker.
Das war alles an Nährstoffen, was sie an einem ihrer langen Arbeitstage hier benötigte. Nur die Ballaststoffe fehlten, für die sie eine weitere Nahrungsergänzung, ein Pellet, entwickelt hatte. Der quoll bis zu seiner zwanzigfachen Größe auf, wenn er mit Wasser in Berührung kam. Ein Stück davon entsprach dem Ballaststoffgehalt und dem Sättigungsgefühl einer Mahlzeit. Man konnte das Pellet vorher in Wasser einweichen und dann den Brei essen oder aber trocken zerkauen, schlucken und dann viel Wasser hinterher trinken.
Nach einer ausgiebigen Schalldusche nahm sie gleich drei Ballaststoff-Pellets, um eine längere Zeit ihren Hunger zu stillen. Heute begann sie mit einem neuen großen Forschungsprojekt und sie war bereit, bis spät in die Nacht dafür zu arbeiten. Das war ihre Aufgabe: Forschen. Dinge erfinden, die den Menschen auf der Erde halfen, ökologischer, sparsamer, effizienter und mit weniger Abfall zu leben.
Was sollte sie hier auch sonst tun? Sie trank nur einen Liter Wasser, später mussten noch zwei Liter folgen, da sie sonst an einem Darmverschluss sterben würde. Kurz darauf merkte sie schon wie die warme Flüssigkeit das Pellet in ihrem Magen quellen lies und sich ein angenehmes Sättigungsgefühl einstellte. Was für eine schöne Methode für einen perfekten Mord, dachte sie. Es quillt und quillt und dann stirbt man an den eigenen Exkrementen, weil alles vor lauter Trockenheit verstopft. Sie grinste vergnügt. Bald würde die Fähre wieder neue Folgen ihrer Lieblingskrimiserie bringen.
Sie fühlte einen gewissen Stolz auf alle ihre Erfindungen, doch weil sie so allein war, war das nur ein leeres und unbedeutendes Gefühl. Sie lebte hier zwar autark, doch einmal pro Semester brachte eine Fähre ihr Nachschub an Dingen, die sie selbst nicht herstellen konnte, die sie aber schmerzlich vermisste: hauptsächlich Menschen, Hygieneartikel, Forschungsutensilien, Werkzeuge, Maschinen, Roboter und Videofilme. Für sich und ihre Besucher hatte sie sich sogar ein winziges Kino eingerichtet.
Heute würde ein langer, aber guter Arbeitstag werden, das spürte sie. Äußerlich war sie zwar euphorisch und voller Elan, aber innerlich waren ihre Nerven kurz vor einem Zusammenbruch. Wenn jemand dort gewesen wäre, dann hätte er keinesfalls auch nur eine winzige Spur ihrer inneren Zerrissenheit bemerkt oder ihr ihre seelische Verzweiflung angesehen. Doch diese Gefühle befielen sie immer öfter und drohten, sie eines Tages zu überwältigen. Die Fähre! Die Heimat! Das brachte ihre eiskalte Gefühlswelt alle drei Monate wieder zum Kochen. Und besonders jetzt, da die letzten Studenten ihren Planeten früher als geplant „verlassen“ hatten.
Wie sehr sie es vermisste, in die Ferne zu schauen und etwas anderes zu sehen, als nur Wasser am Horizont, so weit das Auge reichte! Wasser überall. Diese Leere, diese Stille. Nur das ewige gleiche Rauschen und Plätschern des Wassers und das leise klatschende Geräusch der Brandung, wenn die niedrigen Wellen auf die Mauern der Forschungsinsel knallten. Dieses sanfte aber allgegenwärtige Geräusch machte sie aggressiv. Es brachte sie zur Weißglut, wie ein tropfender Wasserhahn, an den sie nicht herankam.
Und zu allem Überfluss bewegte sich ihre kleine künstliche Insel, mit der Forschungsstation darauf, sich ständig. Zwar unmerklich, aber bei ihr löste es inzwischen immer wieder heftige Schwindelgefühle aus. Da war kein Land. Nirgends. Tiefes Wasser überall. Manchmal bei Ebbe tauchten Sandbänke auf. Sie sahen aus wie kleine unbewohnte Inseln. Kahl und leblos, aber Land! Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, ihre Pausen so zu legen, dass sie diese Inseln stundenlang sehnsüchtig anstarren konnte. Unten in der Tiefe brodelte ein Vulkan, der neben Sonne, Wind und Wasserkraft einen Teil der Energie für ihre Forschungen lieferte. Manchmal wünschte sie sich nichts mehr, als dass er ausbrechen würde, um aus Lava und Stein einen Kontinent zu formen. Das war es, was diesem Planeten fehlte: das Land.
Drei Wochen galt es noch zu überstehen, dann würde die nächste Fähre endlich diesen abgelegenen Ozean-Planeten „Pi Viol Baila 13“ erreichen würde und diese Zeit musste sie irgendwie mit einem besonderen Projekt überbrücken, denn sonst drohte der Wahnsinn.
Nach der Dusche zog sie sich ihren Overall an, darüber den weißen Kittel. Sorgfältig klemmte sie ihr Namensschild an die rechte Brusttasche und schlüpfte in ihre Schuhe. Auf dem Weg in ihr Labor nahm sie noch eine Packung Gummihandschuhe mit. Die hatte sie auch selbst entwickelt. Sie waren kompostierbar.
Ja, sie hatte den Planeten nach sich selbst benannt. Da sie hier größtenteils ja auch alleine war. Natürlich war sie mit der Erforschung der Flora und Fauna noch lange nicht fertig, aber so etwas wie Meerjungfrauen oder Fischmenschen hatte sie hier noch nicht gesehen. Und genau das störte sie. Die Studenten kamen und gingen und nutzten die Zeit, um wertvolle praktische Erfahrungen zu sammeln. Jeder Student verfolgte eigene kleine Projekte. Die wurden dann zu Praktikumsberichten, Forschungsarbeiten, Studien, Hausarbeiten, Diplomarbeiten, Doktorarbeiten, Dissertationen oder sonstigen Veröffentlichungen.
Ja, sie alle benutzten Violetta, um sich auf der Erde dafür feiern zu lassen und ihre Karriere voranzutreiben. Dafür lies auch jeder von ihnen etwas hier für sie zurück. Nämlich eine DNA-Probe. Die meisten von ihnen dachten sich gar nichts dabei. Kaum einer stellte mal eine Frage. Was für ein Fehler. Aber sie war sich sicher, dass sie nichts Verbotenes tat. Die Erdregierung hatte ihr viele Freiheiten gelassen, mit was sie sich beschäftigte. Und sie hatte ihnen schon so viel geliefert, dass sie sich zwischendurch immer öfter mit ihren eigenen, geheimen Forschungen beschäftigen konnte.
Jedes Semester kamen mindestens drei Studenten. Die Praktikanten bewarben sich zahlreicher. Sie waren unterschiedlichen Alters, Bildungsgrades, und Herkunft. Soll heißen, die Bewerber stammten nicht nur von der Erde. Doch meistens waren es Studenten vom ersten bis zum dritten Semester. Manchmal waren auch Journalisten oder Politiker zu Besuch. Mit der nächsten Fähre würde eine Kommissarin kommen, die das Verschwinden ihrer letzten Praktikantin untersuchen sollte. Nun stand sie vor dem Labor. Hier, wo das alles passiert war. Hier, wo sie sich ihre Lügenmärchen für ihre Vorgesetzten zurechtgelegt hatte. Sie bemerkte, dass ihre Hände zitterten. Eine Kommissarin. Was würde sie herausfinden? Was für Fragen würde sie stellen? Würde man ihr glauben?
Violetta kehrte plötzlich um und lief in Richtung Hangar. Sie würde heute doch noch den letzten Tauch-Roboter losschicken. Irgendetwas da unten zerstörte seit Monaten ihr Equipment. Den Bildern nach könnte es ein riesiger Oktopus sein. Mindestens zehn Meter lang. Er fraß ihre Tauch-Roboter zum Frühstück. Doch heute nicht, das fühlte sie. Er war heute nicht da. Wäre doch gelacht, wenn wir nicht endlich etwas Schönes finden, was man mit Menschen-DNA kreuzen kann, dachte sie. Sie spürte, dass sie heute einen Durchbruch landen würde. Das war der Tag, auf den sie so lange gewartet hatte. Nach unzähligen Fehlschlägen und vielen unglücklichen missgebildeten Kreaturen, die sie schnell wieder entsorgte, würde sie es endlich schaffen: Die perfekte Mischung aus DNA-Bausteinen, um ein Wesen zu erschaffen, dass im Ozean überlebte. Ein Wesen, dass menschenähnlich war: den Bailschen Fischmenschen.
Hatte sie einmal die richtige Kombination gefunden, wäre es möglich, einen normalen Menschen mit Hilfe einer Gen-Therapie zu einem solchen Wesen werden zu lassen. Entweder für immer oder nur zeitweise. Bei der Masse an Wasser, welches es auch auf der Erde gab, wäre das die Lösung vieler Probleme. Die zahlreichen Ozeanplaneten, die seit dem zwanzigsten Jahrhundert entdeckt worden waren, könnten mit der neuen Menschenart besiedelt werden, ohne teure Inseln oder Unterwasserkuppeln bauen zu müssen. Und die Motivation der Bevölkerung, die Meere nicht mehr zu verschmutzen, wäre auch viel größer.
Das war ihre rationale Begründung, warum sie an diesem Projekt arbeitete. Irrational aber wünschte sie sich Gesellschaft, aber auch Schutz. Schutz vor der großen Leere in ihrem Herzen. Eine Armee von Fischmenschen wollte sie erschaffen, die für sie mit dem Oktopus in der Tiefe dieses endlosen Ozeans kämpften.
Und insgeheim hoffte sie, dass so eine Erfindung alle ihre Fehler, ja sogar ihre Verbrechen, wieder gut machen würde. Dass diese armen Kreaturen als ein Opfer zum Wohle der Menschheit aufgefasst werden würden, genau wie ihre Praktikantin. Wie war noch gleich ihr Name? Jedenfalls musste sie irgendetwas Außergewöhnliches zustande bringen, bevor die Kommissarin mit der Fähre hier ankäme.
Das ist jetzt auch der dritte Romananfang.
Der dritte Romananfang.
Nein, nein. Nur eine Schreibübung. Kein Stress.
Irgendwann wird was daraus. Du hast schon mehr geschafft.
Und denk immer daran: