Harte Arbeit

Schreiben ist harte Arbeit. Worte sind manchmal schwer zu finden, besonders die richtigen Worte und es ist genauso hart, diese Worte dann zu interessanten Sätzen zu formen. Ich bin keine Virtuosin. Ich drücke mich eher einfach aus. Manchmal möchte ich Dinge genauso beschreiben, wie ich sie sehe oder wie ich sie mir vorstelle, aber ich scheitere an meiner eigenen Unzulänglichkeit. Ganz abgesehen von der ganzen Sache mit Zeichensetzung, Grammatik und Rechtschreibung. Was das Schreiben angeht, bin ich noch ein Embryo. Aber ich will versuchen, diese Geschichte zu etwas zu machen, was man wirklich lesen kann.

Monate wie der letzte November erinnern mich auch immer wieder daran, wie meine finanzielle Situation aussieht. Nicht, dass man mit Büchern viel Geld verdienen könnte. Das kann man sicher nur, wenn man berühmt ist, woran ich keinerlei Interesse habe, oder wenn man einen Bestseller schreibt, was man als Autoren-Embryo vergessen kann.

Und mit dem Alter wird sich das finanzielle Problem immer weiter verschlimmern. Zum Glück habe ich mir rechtzeitig noch eine große Dose MSM mit Vitamin C gekauft, es sind 365 Stück darin, das hält bis nächsten November. Und ohne das Zeug bin ich aufgeschmissen. MSM ist nur nur ein Bestandteil im menschlichen Knorpel, sondern auch eine Art Antiallergikum. Das hält die Autoimmunreaktionen etwas in Schach. Die, die ich vorher schon hatte und die, die ich von der Therapie habe.

Eigentlich bin ich Journalistin, aber auch damit verdiene ich kein Geld. ich versuche schon seit Monaten, den nächsten Artikel auf meinem Gesundheitsblog zu schreiben. es gelingt mir nicht. Ich habe tausendmal die Anfänge von Irgendwas geschrieben, aber nichts schien mir gut genug oder auf den Punkt. Und ich will etwas schreiben, was dazu führt, dass andere Menschen (und ich selbst) bestimmte Zusammenhänge besser erkennen und verstehen. Dafür muss ich nun mal viel Zeit mit Lesen oder Recherche verbringen. Nächstes Jahr sollte ich das auch so machen, wie dieses Jahr mit dem Roman. Jede Woche einmal dran setzen. Irgendwann wird sich dann schon etwas ergeben. Und es wäre eine gute Gewohnheit, jeden Tag ein Kapitel zu lesen. Das ist nicht zu viel, man kann es schaffen. Dieses Jahr hab ich immerhin mehr gelesen, als letztes Jahr, aber lange nicht genug. Nächstes Jahr mache ich mir das wirklich zur festen Gewohnheit. Schreiben und Recherche muss für mich genauso selbstverständlich werden wie Sport.

Ich schätze, dass mein Sciencefiction meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und die Überarbeitung wird auch harte Arbeit werden. Mir wird immer stärker bewusst, wie sehr Rohfassung das alles ist. Heute hab ich wieder ein Kapitel fertig gestellt. Daran hab ich mehrere Tage gearbeitet. Normal schreibe ich ein Kapitel in einem Zug durch. Aber das geht halt nicht immer. Es ist das Vorletzte Kapitel in diesem Jahr. Ob ich heute noch eins schaffe, weiß ich nicht. Es ist erst Mittag, aber ich fühle mich schon ziemlich ausgelaugt. Ob das Kapitel wirklich schon zu Ende ist, weiß ich auch nicht. Ein paar offene Enden müssen schätzungsweise übrig bleiben für Teil zwei.

Übung 51

Der Start des Leuchtkäferraumschiffes nach der Katastrophe

Veronika starrte gebannt auf das magische Portal. Man konnte eine ganze Menge mit den Kristallen machen und diese alte Frau wusste, wie es geht. Veronika hatte die Zauberbücher gefunden, die in der Ecke lagen. Sie wollte gerne schweben, aber sie traute sich nicht, den Spruch alleine auszuprobieren. Ihrem Vater ging es wieder gut und sie vermisste ihre Mutter kein bisschen. Sie vermisste aber das Gefühl, eine Mutter zu haben. Sie hatte keine Ahnung, was mit ihr war, ob sie grausam ertrank oder immer noch irgendwo am Leben war und sie suchte.

Dann kamen Massen von Leuten aus dem Portal. Es startete kurz nach Sonnenuntergang und war auch noch im Gange, als die Sonne wieder aufging. Echsen und Elfen und hier und da noch ein vereinzelter Mensch, kamen durch das Portal. Am Anfang gingen sie noch langsam, aber die am Morgen rauskamen, rannten. Dann endlich, kam die Seherin mit einer anderen alten Frau heraus, eine Echse in einem wunderschönen Kleid.

„Wir werden sofort ein Reinigungsritual starten, da wir jetzt alle kontaminiert sind. Und du baust das besser alles ab, bevor das schwarze Loch die reale Welt auch noch verschlingt. Und kontrolliere deine Metallkiste. Werde jeden schwarzen Kristall los, den du hast, dann kannst du zu uns kommen und am Ritual teilnehmen, wenn du willst. Ich würde es dir wirklich empfehlen.“

Milva sah schuldbewusst aus. Sie bückte sich und sammelte die Kristalle aus dem magischen Kreis, das Portal verpuffte mit einem lauten Knall.

„Das war höchste Zeit. Wir hätten es beinahe nicht geschafft! Geh nur vor, ich komme gleich zu dem Ritual“

Sie nahm eine Metallkiste in die Hand und prüfe den Boden. Es waren tatsächlich Rostlöcher darin. Sie nahm den schwarzen Kristall und warf ihn ins Meer.

Veronika beobachtete, wie Tombom mit jemandem über ein Funkgerät sprach. Melli, Robert, John und einige anderen ehemaligen Fischmenschen, hatten sich draußen in einem Kreis hingesetzt und warteten auf die Abreise. Katharina setzte sich dazu und auch Zenobius, nach dem er Veronikas Vater endlich den Brief gegeben hatte.

Die Echsen hatten sich einen Platz am Hafen für ihr Reinigunsgritual gesucht und begannen zu singen und irgendeine Echsengottheit anzubeten. In ihrer Mitte hatten sie einen größeren weißen Kristall platziert. Milva ging dorthin und nahm am Ritual teil.

Veronika würde warten, bis sie damit fertig war, dann würde sie die alte Frau fragen, ob sie einen Lehrling aufnimmt. Veronika wollte alles lernen über Kristalle und wie man sie benutzt. Noona kam und setzte sich zu ihr auf das Gras. Sie sah traurig aus.

„Wirst du mit denen mitgehen, auf euren Heimatplaneten?“

„Dies ist mein Heimatplanet!“

„Ich hab die Leute miteinander sprechen hören, die aus dem Portal gekommen sind.“

„Es ist unfreundlich Leute zu belauschen!“

„Sie haben gesagt, Elfen oder Menschen, das ist alles das gleichet.“

„Ich gehe dahin, wo die Seherin hingeht. Ich will bei ihr alles über Kristalle lernen.“

„Der Oktopus hat dir alles beigebracht, was du wissen musst über sie. Die Käfer glauben, dass die Kristalle lebendige Wesen sind. Dass heißt, du kannst irgendwie mit ihnen sprechen, ihnen sagen, was du willst.“

Veronika dachte nach. Genau das hatte sie bei den beiden Heilungen gemacht. Sie hatte den Kristallen genau gesagt, was sie von ihnen wollte.

„Siehst du, das wusste ich nicht. Es gibt noch viel zu lernen.“

„Aber die Seherin ist auch ein Mensch. Sie hat alle angelogen und mit einer bösen Wissenschaftlerin zusammengearbeitet, die jetzt ein böser Vogel ist.“

„Was redest du da?“

„Es stimmt. Ich habe sie alle sprechen hören. Du glaubst mir doch, oder?“

„Ich glaube dir, aber es klingt trotzdem ziemlich unglaubwürdig.“

„Wenn ihr alle weg seid, gehe ich zurück in den Ozean, zu meinem Volk und meinem König. Ich vermisse sie alle, aber ich werde dich auch vermissen.“

„Warte erst mal ab, vielleicht bleibe ich hier. Dein König hat mir versprochen, meinen Bruder und meine Mutter zu retten und ich hab sie bisher nicht gesehen. Hast du auch darüber was gehört?“

Noona schaute verlegen auf die Erde.

„Was? Du musst es mir sagen, wenn du was gehört hast?!“

„Ich hörte die Käfer darüber reden, dass sie ein leuchtendes Kind in einem Käfig in ihrem Raumschiff haben!“

Veronika wurde blass.

„In einem Käfig?“

„Es ist ein Junge! Unser König meint, es ist dein Bruder.“

Veronika hörte auf, die Gruppe Echsen zu beobachten.

„Warum haben sie ihn in einem Käfig?“

„So wie ich das verstanden habe, glauben die Käfer, dass es eine mutierte Larve ist. Normalerweise sterben mutierte Larven ab.“

„Aber das ist ein Missverständnis. Ich gehe hin und sage ihnen, dass es mein Bruder ist, dann lassen sie ihn frei!“

„Gute Idee, ich komme mit.“

Die beiden gingen zu TomBom, der gerade den Landeplatz freiräumte und mit Hilfe einer Kordel abzusperren versuchte.

Veronika blieb vor ihm stehen und starrte ihn an, bis er es bemerkte und sie ebenfalls ansah.

„Was wollt ihr Kinder?“, fragte er.

Veronika schluckte.

„Stimmt es, dass ihr auf eurem Schiff einen Jungen in einem Käfig habt, der mir ähnlich sieht?“

Noona nickte. Gute Idee.

„Eine mutierte Larve, kein Junge“

„Kennst du den König des Ozeans?“

„Nein, was soll das sein?“

Tombom ließ sich nichts anmerken und knotete weiter die Kordel an die Äste, die er zum absperren des Landeplatzes in die Erde gesteckt hatte. Innerlich war er jedoch verunsichert. Ihr Schiff war noch unter Wasser. Könnte da etwas im Ozean sein, was den Start verhindern könnte?

„Das ist der Oktopus, König aller Meere, der alle Noonas erschaffen hat. Er ist ganz groß und ganz mächtig und nahezu allwissend!“, versuchte Noona zu helfen.

Veronika nickte.

„Genau und der meint, das ist mein Bruder.“

„Er irrt sich nie.“, ergänzte Noona.

Tombom hielt inne und holte seinen Scanner heraus. Er hielt ihn in Veronikas Richtung, die nicht wusste, was ein Scanner ist und drei Schritte zurück wich.

„Nicht erschießen!“, schrie Noona und stellte sich dafür. Wenn sie nicht gewusst hätte, dass sie sowieso unsterblich war, wäre das eine Heldentat gewesen.

„Tatsächlich“, sagte er dann überrascht, „Du bist auch eine mutierte Larve. Dann hab ich euch beide endlich wieder gefunden. Ihr müsst es sein!“

Veronika war nun beleidigt.

„Ich bin keine mutierte Larve!“

Dann wurde ihr bewusst, was es bedeutete, wenn Tomtom dachte, sie sei eine mutierte Larve. Sie würden sie auch in einen Käfig sperren! Sie rannte, so schnell sie konnte, von ihm weg und versteckte sich hinter den Beinen ihres Vaters, der auf das Meer schaute. Noona konnte nicht rennen. Eine dauerte eine Minute, bis sie ebenfalls da war. Während dessen schaute sie sich immer wieder unsicher um. TomBom sah ihnen nach und nahm dann seine Arbeit wieder auf.

„Da hinten kommt ein Schiff!“, sagte Veronikas Vater, als er sie und Noona bemerkte.

„Sie kommen vom Inselvolk. Ich kenne ihre Flagge. Es ist eine Muschel mit einer Perle darin.“, sagte Noona.

Veronikas Vater holte ein kleines Fernrohr aus seiner Tasche und schaute noch einmal genauer hin.

„Ja du hast recht. Das sind sie.“

Veronika war erleichtert. Immer, wenn es schlimm wurde, zeigte ihr das Schicksal einen Ausweg.

„Vater, vielleicht nehmen sie uns mit, wenn sie wieder ablegen! Wir holen all das Silber aus der Miene und laufen meinen Bruder von diesen Käfern frei, dann gehen wir auf das Schiff und verlassen diesen Kontinent!“

Seine Miene war nun fast wie versteinert. Er steckte das Fernrohr wieder in seine Tasche und holte einen Brief heraus. Dann sagte er:

„Nenn mich nicht Vater. Ich bin nicht dein Vater! Nicht mal deine Mutter war deine richtige Mutter. Alles war nur gelogen!“

Er reichte Veronika den Brief. Doch sie hatte nie wirklich eine Schule besucht und konnte nur einige Worte davon lesen. Ein Wort kam ihr bekannt vor aus der Zeit, als sie auf ihrem Baum saß und heimlich in der Dorfschule mitgelernt hatte. Da haben sie alles über die Verwandlung eines Schmetterlings gelernt. Das Wort war „Larve“.

Niemand würde ihr helfen. Sie war ganz allein. Sie war eine Larve. Das konnte alles nicht wahr sein. Sie sackte auf die Knie und weinte bitterlich. Noona stand daneben und schaute zu, wie die Tränen in Bächen aus ihren Augen kam. Veronikas Vater ging wortlos Richtung Hafen.

In dem Moment legte das großes Segelschiff im Hafen an. Alle rannten euphorisch dorthin. Die Menschen vom Inselvolk hatten dunkle Haut, aber es waren Menschen. Und allem Anschein nach hatten sie von der großen Katastrophe gehört, denn die Männer und Frauen fingen an, Nahrunsgmittel zu verteilen.

Noona nahm Veronika an die Hand und zog sie dorthin.

„Du brauchst deinen Vater nicht. Du kannst einfach auf das Schiff gehen! Frag sie, schau, sie sind freundlich!“

Veronika starrte traurig auf das bunte Treiben am Hafen.

„Und mein Bruder? Er ist meine Familie. Wir sind zwei Larven. Er ist die einzige echte Familie, die ich habe! Ich kann ihn nicht zurück lassen.“

Veronika sah, wie auch die Waisenkinder aus der Silbermine zum Schiff rannten. Sie hatte sich immer über Afras dunkle Haut gewundert. Nun wusste sie es. Das war ihr Volk.

Ein Mann kam von Bord, der wie ein König gekleidet war. Er trug eine Krone aus purem Gold und einen seidig glänzenden Umhang. An seinem Hals trug er einen weißen Kristall an einer goldenen Kette. Und in seiner Hand hielt er ein goldenes Zepter mit einem bunten Kristall, der in allen Farben schimmerte.

„So einen Kristall habe ich noch nie gesehen!“, sagte Veronika.

„Vater, Vater!“, rief Afra und rannte auf ihn zu. Er riss überrascht die Augen auf, nahm seine wieder gefundene Tochter in den Arm, wiegte sie zärtlich in seinen Armen und lachte laut:

„Es ist Afra, die Prinzessin! Sie lebt, genau wie der Kristall es mir versprochen hat! Es lebe die Prinzessin!“

Die Besatzung auf dem Schiff rief: „Hip hip hura!“

und alle lachten.

„Wenigstens eine Tochter findet ihren Vater.“, bemerkte Veronika bitter und wendete sich ab.

„Ich könnte dich mitnehmen in den Ozean, mein König macht eine Noona aus dir, dann sind wir Schwestern!“, sagte Noona, die Veronika trösten wollte. Aber sie meinte es ernst. Der König der Ozeane würde das für sie tun. Er hatte Veronika schon in der Handhabung der Kristalle unterrichtet. Er mochte sie. Ganz bestimmt würde er sie niemals in einen Käfig sperren.

Veronika seufzte.

„Nein, Noona. Ich gehe auf das Raumschiff zu meinem Bruder, wenn es hier landet. Ich kann ihn nicht im Stich lassen. Ich muss einfach. Ich habe es ihm versprochen, als er noch gar nicht geboren war und ich halte meine Versprechen!“

In diesem Moment landete das Raumschiff. Es war beängstigend groß, ja geradezu riesig. Die Hülle war ein Flickenteppich aus Ersatzteilen, aber dennoch war der Anblick enorm einschüchternd. Veronika wurde nervös. Ihre Hände schwitzten. Das war das erste Mal in all der Zeit, dass sie wirklich Angst hatte. Angst vor der Zukunft. Es hätte mit Sicherheit die ganze Bevölkerung des Planeten darin Platz gefunden, aber die meisten Bewohner entschieden sich dafür, hier zu bleiben und das zu tun, was Milva geplant hatte. Eine neue Gesellschaft der Toleranz aufzubauen.

Der König des Inselvolkschiffes jedoch sendete zwei Botschafter mit zur Erde, denn es war letztendlich auch seine Heimat. Und auch die Älteste vom Echsenvolk betrat das Raumschiff um die Beziehungen zwischen der Erde und dem Echsenvolk nach all den Jahrhunderten wieder zu erneuern. Größtenteils war es wahrscheinlich Neugierde, was aus der Erde in all den Jahren geworden war und ob sie ihre Probleme gelöst hatten.

Veronika wartete, bis alle anderen eingestiegen waren und ging dann langsam auf den riesigen Metall-Kollos zu.

„Ich werde dich vermissen, Noona!“, sagte sie leise, auf das bedrohlich groß aussehende Raumschiff starrend.

„Ich dich auch, Veronika!“, flüsterte Noona. Dann drehte sie sich um und sprang ins Meer.

Veronika stand nur vor der Luke. Tombom schaute sie an.

„Die verlorene Larve will doch nach Hause!“, sagte er zufrieden.

„Ich will nur zu meinem Bruder.“, sagte Veronika und stieg ein.

Drinnen gab die Käpitänin des Raumschiffs den Befehl, Veronika zu ihrem Bruder in den Käfig zu sperren. Es war ein Käfig, der mit einem Kraftfeld umgeben war. Veronika hatte ihren Bruder noch nie vorher gesehen. Er war drei Jahre jünger als sie. Ihr war nicht bewusst, dass ihre Reise so lange gedauert hatte. Er sah nicht aus wie eine Larve und auch nicht, wie ein Käfer. Er sah aus, wie ein Mensch, nur dass seine Haut gelb leuchtete. Traurig setzte sie sich dazu und nahm seine Hand.

„Du musst keine Angst haben, ich bin jetzt da!“, sagte sie.

„Ich habe keine Angst!“, antwortete er.

„Warum nicht?“

„Ich hab die Zukunft schon gesehen.“

„Wie?“

„Mit der Hilfe der Kristalle!“

„Und was wird passieren?“

„Wir werden frei gelassen. Wir werden in einer Zeitreiseagentur arbeiten. Und du wirst schließlich eine Ärztin werden!“

„Na dann wird ja alles gut.“

„Ja.“

Veronika seufzte erleichtert. Sie kannte die Macht der Kristalle.

„Wie heißt du eigentlich?“, fragte sie.

„Unsere Mutter nannte mich Vincent.“

„Was ist mit unserer Mutter?“

„Sie lebt. Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut.“

Vincent schien sich so sicher zu sein. Veronika hoffte, sie könnte sich auch so fühlen, wie er sich gerade fühlte. Aber sie fühlte sich hilflos und hatte Angst. Dennoch versuchte sie, so zu wirken, als wäre sie mutig. Für ihren Bruder.

Das Raumschiff hob ab und schoss ins All. Veronika hätte so gerne am Fenster gesessen, um die Planeten und Sterne aus der Nähe zu sehen, aber sie hockte da in ihrem Käfig und hielt die Hand ihres Bruders und hoffte, dass er recht behielt. Sie hoffte so sehr, dass sich alles zum Guten wenden würde. Immer wieder dachte sie über die Vergangenheit nach. Sie hatte ihr früheres Leben verlassen, weil ihre Eltern sie nie geliebt hatten. Sie freundete sich mit Fischmenschen an, sah zu, wie ihre Schweine zu Noonas wurden, redeten unter Wasser mit einem riesigen Oktopus, benutzte einen Kristall, um zwei Menschen zu heilen, fand heraus, dass ihr Vater nur ihr Stiefvater war, dass ihr leiblicher Vater auch nicht ihr Vater war und ihre Mutter nur gelogen hatte. Sie hatte letztendlich alles verloren, ihre beste Freundin, ihre Heimat und sogar das Wissen darüber, wer sie eigentlich war. Ja, auch auf diesem Schiff wusste keiner genau, was sie eigentlich war.

Katharina bemerkte die beiden in dem Käfig. Fassungslos stand sie davor und schaute durch die Gitterstäbe. Dann hörte man sie laut nach der Käpitänin fragen. Als diese endlich kam, entbrannte ein energisches und langes Streitgespräch, dass über die gesamte Dauer der Reise fortgeführt wurde. Meistens ging es so:

„Wieso sperren sie diese Kinder ein?“

„Das sind Larven, keine Kinder.“

„Larven sind doch eure Kinder oder nicht? Wieso behandeln sie ihre eigenen Kinder so?“

„Das sind mutierte Larven. Darum sehen sie wie Menschen aus.“

„Soll das heißen, wir Menschen sehen für euch alle aus, als wären wir mutiert?“

„Sie sind Gast auf diesem Schiff, sie sollten sich nicht im Ton vergreifen!“

„Sie verstoßen gegen Gesetze!“

„Die Gesetze auf der Erde gelten nicht für uns. Unser Territorium ist Lichtjahre davon entfernt“

„Welche Gefahr geht überhaupt von diesen beiden Kindern aus, dass sie in einen Käfig müssen?“

„Sie sind mutiert!“

„Also sind sie in einem Käfig, weil sie wie Menschen aussehen?“

„Ja.“

„Also hat ihre Art Vorurteile gegen andere Arten?“

„Nein“

„Vielleicht haben sie das nicht mitbekommen, aber viele hier sind genetisch verändern worden. Das macht uns dann auch zu Mutanten in ihren Augen.“

„Das ist richtig.“

„Warum sind wir denn nicht alle in diesem Käfig?“

„Wir haben nur einen Käfig.“

Es mischten sich im Laufe der dreitägigen Reise immer mehr Leute in diesen Streit ein, sowohl Käfer, als auch Menschen, sogenannte Elfen, Echsen oder die Diplomaten vom Inselvolk. Einfach jeder war der Meinung, man sollte die beiden Kinder frei lassen.

Die Diplomaten des Inselvolkes argumentierten, dass es ein Zeichen von Diskriminierung und Sklaverei sei und diese Vorgehensweise sofort abgeschafft werden müsse. Auch Milva mischte sich in die Diskussion ein. Sie erklärte der Käferin die Geschichte der Menschheit, jedenfalls den Teil davon, den sie kannte und beschwor sie, dass sich die Ereignisse auf keinen Fall wiederholen durften. Auch die Älteste des Echsenrates setzte sich für die Kinder ein. Sie fand es unwürdig, die eigenen Nachkommen, so mutiert sie auch sein mögen, so zu behandeln.

Schließlich entschloss die Kapitänin sich dafür, eine Ansprache zu halten und alle Passagiere versammelten sich, um das zu hören. Es herrschte eine gespannte Stimmung und die Kapitänin flackerte nervös. So viel Gegenwehr hatte sie nicht erwartet.

„Ich habe etwas zu sagen. Ich habe jetzt mit jedem hier über diese beiden Larven diskutiert und muss etwas klarstellen. Sie sehen aus wie Menschen, aber das sind sie nicht. Ich bedanke mich bei Milva dafür, dass sie mir eine Nachilfestunde in Geschichte gegeben hat. Jetzt ist es an mir, zu erklären, warum Dinge so sind, wie sie sind. Wir Leuchtkäfer haben auch eine Geschichte und wir lernen daraus. Es gab schon drei mal zuvor das Phänomen der mutierten Larven. Eine Larve mutierte zum Unsichtbarkäfer. Wir haben sie bis heute nicht wiedergefunden, glauben aber dass sie für Phänomene auf unserem Heimatplaneten verantwortlich ist. Eine zweite Larve wurde zum Mörderkäfer und pflanzte sich fort, bevor wir die Mutation bemerkten. Seit dem gibt es Kriminalität auf unserem Planeten, was es vorher nicht gab. Und eine dritte Larve mutierte zum Explosionskäfer und zerstörte den halben Planeten, bis man sie einfangen konnte. Mutierte Larven sind gefährlich. Niemand weiß, welche Mutationen diese beiden Larven haben. Sie sehen aus wie Menschen und Menschen sind auch nicht gerade harmlos. Jedenfalls nicht immer. Sie sind unberechenbar wie Mörderkäfer und sie neigen dazu, ihre eigene Welt und die von anderen Lebewesen zu zerstören. Zudem sind diese Larven der Macht dieser Kristalle ausgesetzt gewesen. Diese Larven sind keine Menschen. Sie sind Mutanten. Wir wissen nicht, wie gefährlich sie sind. Darum werden sie in diesem Kraftfeld bleiben, bis wir sie untersucht haben. Dann entscheiden wir, was mit ihnen passiert.“

Es wurde still auf dem Raumschiff. Eine bedrückende Atmosphäre machte sich breit. Veronika starrte ihren Bruder an, der immer noch zuversichtlich lächelte. Hatte er nicht gehört? Sie würden sie untersuchen, analysieren, niemand sagte etwas von freilassen, einer Akademie oder einer Arbeit als Ärztin. Sie fragte sich, wie sicher er sich war. Vielleicht wollte er nur daran glauben. Vielleicht wusste er es gar nicht. Er war noch zu klein, um die Trostlosigkeit und Brutalität zu begreifen, die in der Welt herrschte. Traurig fixierte Veronika das Fenster am anderen Ende des Raumes und wünschte sich weit weg von hier. Aber sie war weit weg von jeder Art Kristall und wusste nicht mehr, wo sie sich hin wünschen sollte. Sie hatte alles verloren. Und das Versprechen, dass sie ihrem Bruder gegeben hatte, als er noch nicht geboren war, konnte sie auch nicht einhalten. Sie wusste nicht, was passieren würde.

Katharina hatte alles versucht. Frustriert setzte sie sich wieder zu den anderen und hörte ihren Gesprächen aufmerksam zu. Sie hatte Melli, John und Robert gerade erst kennen gelernt, aber es kam ihr so vor, als würde sie sie schon Jahrelang kennen. Sie musste sich immer noch daran gewöhnen, dass sie ein Mensch war, so wie die meisten hier.

Milvas Leben und ihre Lügen waren unglaublich. Doch die Wahrheit war sogar noch viel unglaublicher, als die ganzen Lügen, die sie ihr und den anderen sogenannten Elfen erzählt hatte. Katharina beobachtete Milva. Sie saß nun nervös in einer Ecke des Laderaums 2, wie all die anderen Passagiere und stellte sich wahrscheinlich ein ganz neues Leben auf ihrem Heimatplaneten Erde vor. Katharina sah sie ab und zu stumm ihre Lippen bewegen, so als würde sie proben, was sie denen zu Hause erzählt, wie sie ihre Handlungen rechtfertigen würde. Eines war klar, was auch immer dazu geführt hat, dass Milva so wurde, wie sie jetzt war, diese Frau hatte gelernt, wie man Menschen manipuliert, belügt und funktionalisiert. Vielleicht würde Katharina das später ausnutzen können, wenn sie auf der Erde war. Milva wollte den Kindern auch helfen, das hatte Katharina gespürt. Es war keine geheuchelte Anteilnahme gewesen. Es war ein echtes Bedürfnis, sie verhielt sich fast so als sei sie ihre Mutter. Auch jetzt hielt sie sich immer in ihrer Nähe auf. Vielleicht schmiedete sie Pläne, wie sie die beiden herausholen konnte. Was auch immer sie ausheckte, dabei würde Katharina auf ihrer Seite stehen, egal, was vorher gewesen war. Das war die Vergangenheit, jetzt ging es um die Gegenwart und die Zukunft. Und Katharina wusste, dass sie sich kein schönes neues Leben aufbauen konnte, mit dem Wissen, dass diese beiden Kinder wie Schwerverbrecher behandelt würden.

Auch die Erlebnisse von John und den anderen waren unglaublich. John hatte in der Zwischenwelt gelebt, eigentlich war er vor Jahrhunderten auf der Erde umgebracht worden. Robert hatte Jahrhundertelang als Meermenschmutation in dem Ozean gelebt und Melli hatte sogar beides hinter sich. Doch am schlimmsten getroffen hatte es Veronika. Katharina fühlte sich für dieses Kind verantwortlich, da sie Teil ihres Unglückes war. Sie hatte den Auftrag angenommen, ihrem Vater den Brief zu übergeben und das hatte dazu geführt, dass er sie nun verstoßen hatte. Katharina nahm sich vor, alles dafür zu tun, dass die beiden frei gelassen wurden. Dann würde sie sich um sie kümmern.

Die Älteste der Echsen trat an John heran, als der sich das Raumschiff ansah und etwas herumwanderte.

„Eine beachtliche Technik, nicht wahr?“, fragte sie.

„Ja schon. Unglaublich, dass sie es reparieren konnten, nur mit den Ressourcen, die sie auf dem Planeten vorfanden.“

„Dafür hat es auch Jahrhunderte gedauert. Nicht viele Menschen haben das Glück, so lange zu leben.“

„Nun ja. Ich habe nicht gelebt. Ich habe in der Zwischenwelt existiert. Zumindest mein Bewusstsein.“

„Auch das darf nicht jeder Mensch erleben.“

„Ich kann es immer noch nicht begreifen. Ich meine, es hat sich herausgestellt, dass Milva nur ein Mensch ist. Wie konnte sie dann dieses Portal öffnen?“

„Mit der Macht der Kristalle. Sie sehen, was sich jemand wünscht und dann versuchen sie, diese Wünsche zu erfüllen. Es sind Lebewesen. Und es hat auch etwas damit zu tun, dass Milva anfing, ihre eigenen Lügen zu glauben. Der Glaube versetzt manchmal Berge. Ist das nicht ein menschliches Sprichwort?“

„Ja, ist es. Ich will mich nicht beschweren, dass ich es wieder da heraus geschafft habe oder dass ich nicht nur einfach tot war. Wirklich nicht. Es ist nur schwer zu verstehen.“

„John. Ich habe dir noch nicht auf die Frage nach deinen Ohren geantwortet. Es war in der Zwischenwelt keine Zeit mehr dafür.“

„Meine Ohren?“

„Warum Du Elfenohren hast, obwohl die Mutationen erst lange nach deiner Zeit anfingen.“

„Ach das. Hat es etwas mit Zeitreisen zu tun? Das würde mich nicht wundern.“

„Zeitreisen? Nein. Du bist kein Elf. Und du bist auch kein Mensch, John. Es gibt nur eine Erklärung. Du bist etwas anderes. Ein Außerirdischer.“

„Aber in der Zwischenwelt waren Zeitreisen kein Problem.“

„Weil man nicht an einen Körper gebunden ist. Dein Bewusstsein reist dahin, wo es gebraucht wird. Die Toten helfen den Lebenden. Das ist unsere Kultur. Es hat nichts mit Zeitreisen zu tun. Du kannst nicht selbst steuern, wohin du gehst oder in welche Zeit.“

„Aber ich konnte das einmal. Ich konnte es kontrollieren.“

„Nur weil du mit dieser Zeitlinie verbunden warst. Das Universum hat gemerkt, dass du dahin gehörst.“

„Wäre es nicht möglich, dass meine Vorfahren in die Zukunft gereist sind oder meine Nachfahren in die Vergangenheit? Wenn meine Mutter eine Zeitreisende war und…“

„Nein John. Es hat wirklich nichts mit Zeitreisen zu tun. Du bist kein Mensch.“

„Aber was bin ich dann?“

„Es gibt viele Spezies mit sogenannten Elfenohren. Ich denke, ich weiß, woher du kommst. Sie nennen sich Weltenerbauer. Sie setzen ein Kind auf jedem Planeten aus, den sie hergestellt haben.“

„Weltenerbauer?“

„Normalerweise hätte deine Reise ins Totenreich anders ausgesehen. Du wärst auf deinem Heimatplaneten wieder zu dir gekommen und deine Eltern hätten sich dir zu erkennen gegeben. Aber weil Pepe Gunnar mit einem Kristall experimentiert hat, bist du in der Zwischenwelt gelandet.“

„Was bedeutet das?“

„Das weiß ich nicht. Ich werde eine neue Zwischenwelt aufbauen, wenn ich meine Mission auf der Erde erfüllt habe und dann über die Wirbel dort Kontakt mit deinem Volk aufnehmen.“

„Sie wollen die Realität wieder verlassen?“

„Die Zwischenwelt war meine Realität. Dort wartet eine Aufgabe auf mich. Ich bin tot, John.“

„Was ist ihre Mission auf der Erde?“

„Ich werde prüfen, ob die Menschen ihre Probleme in den Jahrhunderten überwunden haben und dann meinem Volk eine Empfehlung darüber mit auf den Weg geben, ob wir wieder mit ihnen zusammen arbeiten wollen oder nicht.“

„Was war das letzte, was sie aus der Zwischenwelt über die Erde erfahren haben?“

„Die Echsen sind seit Jahrhunderten nicht mehr auf der Erde, wegen der Umweltverschmutzung. Unser Volk ist davon krank geworden. Die Umsiedelung war das Letzte, was ich von der Erde weiß.“

„Alle festhalten, wir erreichen jetzt das Sonnensystem der Menschen!“, ertönte die Stimme der Kapitänin durch den Lautsprecher.