Wie ist es nur so weit gekommen, dass ich wieder nur das Nötigste mache? Und nicht nur das. Hinzu kommt eine kranke Art, mit Netflix umzugehen. Und ich meine wirklich krank. Ich generiere ständig selbst Cliffhanger und kann es nicht aushalten, mal einen Tag zu warten, bis ich mir die nächste Folge angucke? Und ich wollte so viel lesen. Pustekuchen.
Bild folgt irgendwann
Meine Augen sind viereckig und wieder schlechter geworden, weil ich aufhören musste, die Nahrungsergänzungen zu nehmen. Es ist manchmal so, als müsste ich alle Schmerzen von dem letzten Jahr noch einmal fühlen. Sogar von der ganzen Zeit seit der Diagnose. Das ist unheimlich. Aber ich achte auch viel mehr auf mich und nehme Dinge wahr, die ich vorher ignoriert hätte. Das kann einen Hypochonder machen. Ich denke, dass es auch wehtut, wenn etwas verheilt.
Ich bin schon lange nicht mehr mit dem Hund gelaufen. Ich hab Rehasport zweimal ausfallen lassen. Dabei hab ich nur noch einmal. Da hätte ich mich auch noch hinquälen können. Ich kann das nicht wirklich beschreiben, was mit mir und meinem Körper ab und zu passiert. Es ist so viel daran geändert worden. Manchmal denke ich, es geht bergauf. Aber andere neige dazu, Angst um mich zu haben. Es ist nicht schön, wenn man immer spürt, dass andere ängstlich erwarten, dass man abkratzt. Die Erwartungshaltung löst Stress aus. Gestern hab ich schon wieder den PC angelassen. Dabei war ich mir sicher, dass ich ihn ausgemacht hatte. Aber heute morgen war alles noch an und Netzflix war geöffnet. Ich hab doch ausgemacht? Oder? Werde ich jetzt irre? Hat mein PC ein Eigenleben? Das würde die gelegentlichen Abstürze auch erklären. Umheimlich. Nicht nur mein Körper. Alles ist unheimlich.
Wie auch immer, manchmal braucht man halt ne Pause. Und immerhin hab ich heute, am letzten Tag der Woche, doch noch meine Übung geschafft. Ich habe schon eine Ahnung, wie es weiter geht. Das Ende von Teil 1 wird der Anfang vom Teil 2. Nächstes Jahr geht es weiter. Da gibt es sogar 53 Wochen, also 53 Kapitel. Und es wird dann eine richtige Zeitreise-Geschichte.
Die Schmerzen sind fast weg und alles scheint ein Zeichen von Heilung gewesen zu sein. Ich kann weiter machen. Ich werde nicht gleich sterben. Aber ich sollte mehr schaffen. Ich sollte nicht nur einmal die Woche ein Kapitel schreiben, sondern auch ein Kapitel lesen. Das sind Mini-Schritte, aber anscheinend komme ich nur so voran. Ohne Input kein Output. Ich will auch wieder mehr Artikel schreiben. Die Recherche dafür geht nur schleppend voran, aber ich arbeite an mehreren Themen gleichzeitig. Ich muss nur noch den Jammer-Ton herausfiltern und richtig recherchieren.
Die neue Veronika
Veronika wusste nicht, dass mit ihr etwas Merkwürdiges passiert war. Sie wurde von einem grässlichen Geheul aus dem Schlaf gerissen. Der Lärm war fremdartig und angsteinflößend. Sie hielt sich die Ohren zu, presste ihren Kopf auf ihre Knie, die sie ganz nah an sich heranzog und kniff die Augen zusammen. Es war, als würde der Sturm dreistimmig singen. Vielleicht waren es ja drei Stürme? Zusätzlich hörte sie ein merkwürdiges Zischen und das Tapsen großer Füße, wie riesige Ameisen. Und Kinderstimmen! Sie hatte ihren Schatz geopfert und nun war alles noch schlimmer geworden. Sie war hier alleine, Noona war fort und ihr Vater schien unerreichbar für sie. Sie riss die Augen wieder auf und starrte auf die Öffnung im Felsen. Da lag ihr Schatz und leuchtete in einem geheimnisvollen Glanz, direkt neben Seetang, Muscheln und Korallen. Es sah wundervoll aus. Würde bloß der Lärm aufhören! Veronika konnte nicht mehr denken. Sie saß direkt am Rand dieser Verbindung zum Meeresgrund und musste nur daran denken, wie leise es im Wasser gewesen war, als sie in den Fluss gefallen war und ihre Freunde sie gerettet hatten. Kasimir, Kaspar, Milli und Waltraud waren ihre besten Freunde gewesen. Noch bevor sie wusste, dass sie einen anderen Vater hat und noch bevor sie Noona getroffen hatte. Und nun hatte sie den Oktopus geschickt, um ihre böse Mutter zu retten. Doch wo waren die Schweine? Ihre wahren Geschwister? Wo war ihr Vater und wo war Noona? Sie war wieder ganz alleine. Gerade hatte sie vergessen, wie sich das anfühlte und nun traf es sie mit voller Wucht. Sie war verzweifelt. Dann fing sie an, vor und zurück zu wippen. Es half. Sie fühlte sich geborgen, wie in den Armen einer echten Mutter. Sie wippte immer schneller und immer heftiger vor und zurück. Dann ließ sie sich einfach ins Wasser fallen. Die Arme fest um ihre Knie geschlungen, sank sie wie ein geschnürtes Paket auf den Grund. Der Lärm hörte auf. Sie wollte vor Erleichterung seufzen, aber sie war unter Wasser, darum konnte sie nicht mal atmen. Nun war es also so weit. Hier unten, zwischen all der Schönheit der Natur und den Schimmern ihres Schatzes, da würde sie sterben. Der Oktopuskönig würde sie finden und zu einer Noona machen. Genau wie alle aus ihrer Familie, ihren Vater, ihre Mutter und ihren Bruder. Und irgendwann würden auch Kasimir, Milli, Kaspar und Waltraud hinzu kommen. Hier unten war es friedlich. Es war still. Veronika wartete auf den Tod. Sie wartete darauf, dass ihr Körper nach Luft ringen würde. Doch ihr Körper schien immer noch genug Luft zu haben. Es war, als könnte sie durch ihre Haut atmen. Voller Verwunderung öffnete sie die Augen. Im Meer war es dunkel, bis auf den Schatz, den sie als Opfergabe an das Schicksal hineingeworfen hatte. Sie schaute an sich herunter. Auch ihre Haut leuchtete! Das konnte nicht wahr sein. Sie zweifelte plötzlich, dass sie die Tochter von Klementine Schauer und Ziliax Kudora Zantoflax war. Vielleicht war sie gar kein Mensch? Plötzlich stupste sie etwas am Arm an. Als sie sich umdrehte sah sie eine andere Noona. Sie sahen sich alle sehr ähnlich, aber das Gesicht war anders. Sie nickte. Die fremde Noona nickte ebenfalls. Dann konnte Veronika hören, was sie dachte:
„Du musst mit den Armen paddeln, dann kannst du es schaffen!“
Auch diese Noona wollte sie retten. Veronika konzentrierte sich und dachte an ihre Antwort:
„Ich liege schon so lange hier unter dem Wasser und ich sterbe nicht. Ich kann durch die Haut atmen!“
„Du siehst nicht aus wie wir. Was bist du?“, fragte die fremde Noona.
Veronika wusste es nicht. Hilflos zuckte sie mit den Schultern.
„Wo kommst du her?“
Veronika zeigte auf das Loch im Felsen.
„Deine Freunde sind alle noch an der Oberfläche. Auf dem Land. Wenn du sie finden willst, dann geh dahin zurück.“
Veronika nickte und fing an mit den Armen zu paddeln. Doch es war gar nicht so einfach. Da war eine leichte Strömung zu spüren, die jetzt immer stärker wurde und sie von der Öffnung wegtrieb. Jedes mal wenn sie es versuchte, landete sie unter dem Felsen, knapp neben der Öffnung und sank dann wieder auf den Meeresgrund.
„Ich kann nicht!“ sendete sie der fremden Noona.
Diese versuchte dann, Veronika zu steuern, indem sie an ihrem Arm zog. Doch diese Wesen waren nicht für schwere Arbeiten gemacht.
„Ich hole Hilfe. Ich kenne welche, die größer sind! Warte hier“, sagte sie und schwamm davon. Wo hätte Veronika auch hinschwimmen sollen? Sie konnte hier nicht weg. Wie ihr Schatz lag sie schwer und unbeweglich auf dem Meeresgrund und leuchtete. Hatte sie sich etwa diesen vermaledeiten Schatz so sehr gewünscht, dass sie sich in ihn verwandelt hatte? War sie nun aus Gold und Kristall und würde für immer hier bleiben müssen, weil sie für die normale Welt zu schwer geworden war? Veronika bekam Angst. Statt eines Segens hatte sie einen Fluch herbeigerufen. Einen Fluch, der Ausdruck ihrer Gier war. Die Hoffnung auf ein besseres Leben mit ihrem sogenannten leiblichen Vater hatte ihr den Blick dafür genommen, was wirklich wichtig war. Es war nicht Gold und Reichtum, nicht dass man sich ein Schiff leisten konnte war wichtig, sondern dass man in der Stunde der Gefahr mit seinen Freunden und seiner Familie zusammen sein konnte. Sie hatte aus purer Gier ihren Vater allein gelassen und war in die Mine gegangen, obwohl er es verboten hatte. Ob er wirklich ihr Vater war, dafür hatte sie keinerlei Beweise. Aber sie hatte das gedacht und verließ ihn trotzdem.
Blasen stiegen auf. Die Noona kam zurück. Mit ihr kam eine Horde kleiner Noonas und einige Meermenschen. So etwas hatte Veronika noch nie gesehen. Der Oberkörper war sehr menschlich, der Unterkörper ganz Fisch. Und sie waren groß. Ihre Gesichter waren müde und gealtert. Die Sehnsucht schrie aus ihren Augen. Eines dieser Wesen kam auf Veronika zu und sendete ihr Gedanken:
„Hallo, mein Name ist Melli. Vor tausenden von Jahren bin ich von einer bösen Wissenschaftlerin in dieses Wesen verwandelt worden. Da war dieser Planet noch über und über mit Wasser bedeckt. Ich konnte nie mehr nach Hause und der Oktopus hat uns bei sich aufgenommen. Das ist Robert, mein Ehemann, das dort sind Murena, Alison, Jimmi und Gerwin. Es gibt noch zwei andere, aber die sind verbannt worden, weil sie Dr. Baila geholfen haben, damals. Wir haben zugesehen, wie sich Inseln bildeten. Dann fingen die Menschen von meinem Heimatplaneten an, hier zu siedeln, weil sie ihren eigenen Planeten zerstört hatten. Aber so etwas wie dich habe ich noch nie gesehen!“
„Ich suche meinen Vater und meine Freundin Noona“, sendete Veronika mit ihren Gedanken.
„Hier sind auch Leute, die du kennst!“, die mit dem Namen Melli zeigte auf einige Noonas. Veronika schaute genauer hin. Natürlich, das waren ihre Schweine! Kasimir kam auf sie zugeschwommen und kuschelte sich an sie, wie er das immer getan hatte. Nur jetzt war es eben unter Wasser und seine Haut war blau, schleimig und glitschig und Veronikas Haut leuchtete merkwürdig.
„Es gab gleich Ärger, sobald du weg warst. Die Arbeiter beschwerten sich über die engen Tunnel, also ging dein Vater los, um Waisenkinder zu holen, die dann in die engen Schächte klettern müssen. Ich muss dir sagen, dass weder Schweine, noch Noonas ein paar Kindern die gefährlichsten Arbeiten machen lassen würden. Eure Kultur ist schrecklich.“
Kaspar unterbrach Mimmi:
„Erzähl weiter, was dann passiert ist!“
Mimmi nickte und erzählte weiter:„Die Arbeiter streikten dann. Sie wollten mehr Lohn, mehr zu essen und mehr Freizeit. In Anbetracht des Sturms, den sie alle für den Weltuntergang hielten, wollte keiner mehr arbeiten. Aber dein Vater wollte sie zwingen, dich zu retten.“
Mimmi zögerte. Sie sah traurig aus. Nun redete Kaspar weiter:
„Also kämpften sie. Veronika, Dein Vater hat leider verloren. Sie überwältigten ihn und begruben ihn unter einem Haufen Steine. Er ist wahrscheinlich tot.“
Kasimir schaute nun auf und erklärte:
„Danach schlachteten sie alle Schweine, nahmen alles mit und verschwanden.“
Veronika fing an zu weinen, doch ihre Tränen vermischten sich mit dem Meerwasser. Das süße Trinkwasser, dass diesen Planeten für alle Lebewesen zu einem Quell des Lebens hatte werden lassen, wurde salzig und ungenießbar. Die Noonas merkten keinen Unterschied, aber die Meermenschen fingen plötzlich an zu würgen und zu zappeln.
Die fremde Noona, die diese Wesen hierher geholt hatte, verstand, was passiert war:
„Veronika, du hast die Macht der Kristalle in dir. Darum leuchtet deine Haut, darum kannst du nicht sterben. Darum kannst du einen ganzen Ozean mit deinen Tränen salzig machen! Wir können damit zurück kommen, aber diese Wesen hier, die gehörten von Anfang an nicht hierher. Wo auch immer du hingehst, sie müssen dich begleiten. Schnell beeilt euch, bringt sie nach oben. Ihr müsst alle aus dem Wasser!“
Veronika klammerte sich an Kasimir. So lange hatte sie ihre Freunde vermisst. Sie waren ein Teil von ihr, aber sie würde niemals dazugehören. Doch Kasimir drückte sie plötzlich von sich weg und sagte:
„Veronika, du musst sie retten. Wir Noonas können damit klar kommen, denn es gehört zu unserer Natur, uns anzupassen, aber sie können das nicht!“
Die Meermenschen fassten Veronika an den Armen und zogen sie hoch. Bald darauf saßen sie alle dort am Rande der Öffnung in dem Schacht und schauten sich traurig an. Und Veronika hörte wieder die Geräusche. Es war alles so laut! Sie wollte sich wieder die Ohren zu halten, doch dann hörte sie eine Stimme, mit der sie gar nicht mehr gerechnet hatte: Die Stimme ihres Vaters! Veronika wollte sofort losrennen, aber die anderen, ihre neuen Freunde, sie konnten nicht laufen. Sie waren wie Fische auf dem Trocknen völlig hilflos. Immerhin konnten sie atmen. Doch weil Veronika sich das so sehr wünschte, bekamen Melli, Robert und die anderen plötzlich wieder ihre menschliche Gestalt zurück. Und gemeinsam gingen sie dann in die Richtung, aus der der Lärm kam.