Sicherheit gibt es nicht

 

Ich sollte mir selbst treu bleiben.

Ich wollte nur noch das tun, woran ich glaube.

Womit ich mich wohl fühle.

100% Sicherheit gibt es nicht.

Nicht mal für die, die alles tun, was der Arzt sagt.

Und Morgen kannst Du ein Autounfall haben.

Oder ein Baum stürzt um und fällt auf Dich rauf.

Wenn Gott es so will.

Keine Sicherheit, nirgends.

 

Eierstockkrebs ist tödlich.

Das sagen alle und man kann es überall lesen. Ich hatte Glück im Unglück, weil eine verschleppte Blasenentzündung vermutlich zu einem Eierstockabszess geführt hat und zu einer riesigen Eierstockzyste, die alles zusammen gedrückt hat, was zudem noch sehr schmerzhaft war.

Der unglaubliche Durst, den ich seit der Chemo und seit der Zeit vor der Diagnose meines ersten Krebses hatte, wurde sogar noch schlimmer. Ich dachte nicht, dass das überhaupt möglich sei. Antibiotika halfen mir zum zweiten Mal gegen Eierstockentzündung. Der Durst war plötzlich fast weg.

Weil ich schätzungsweise mit Siebzehn (als wir auf der Hauswirtschaftschule das Klärwerk besucht haben tat es sehr weh) schon ein Jahr lang Probleme mit dem Eierstock hatte, ließ ich mir das Mutantenteil schließlich nun im Februar rausnehmen. Damals hatte ich ne Blinddarmentzündung und eine Zyste.

Laparoskopie problemlos, bis auf den Ärger mit den Schmerzmitteln, die bei mir nicht mehr wirken. Nun sind es zwei wirkungslose Schmerzmittel. Und gerade die, die im Krankenhaus überdimensional oft verwendet werden. Danach war der Durst ganz weg.

Und dann fand man Krebszellen.

Die letzte Chemo mit Herzeptin-Erhaltungstherapie ist gerade mal im letzten Mai vorbei gewesen. In mir streubt sich alles. Nicht noch einmal. Nicht noch einmal. Und denk mal logisch: Chemo soll den Krebs töten, Antrazykline hemmen die Zellteilung, also warum hab ich das so schnell wieder?

Wenn es schon vorher da war, dann hat die Chemo dagegen nicht geholfen. Wenn es nicht da war, dann hat es das auch nicht verhindert. War nicht das passende Mittel, würde der Arzt sagen. All die kleinen süßen Krebs-Zellen, die laut Aussage der Ärzte wahrscheinlich irgendwo in meinem Körper rumgeschwommen sind, wurden dadurch also gar nicht abgetötet. Ihre Existenz wurde nie bewiesen. Das die Chemo sie abtötet, auch nicht. Es wird behauptet, aber es kann nicht überprüft werden.

Unwissenschaftlich. Zum Glück hatte ich Rezeptoren. Zum Glück. Glück im Unglück ist bei mir am häufigsten. Aber hat auch nicht dagegen geholfen, denn das sind die falschen Rezeptoren. Intelligenterweise gibt man die Eierstockkrebs-Antikörper erst in späteren Stadien.

Die Leute müssen erst richtig krank sein, ist ja logisch, oder?

Menschenverachtende medizinische Strukturen. Strukturelle Gewalt.

Standardtherapie ist Chemo mit Carboplatin nach der Operation. Fast egal, welches Stadium. Es kommt dann nur darauf an, welche Medikamete man noch zusätzlich bekommt. Chemo? Warum also noch mal? Wenns bei mir nicht hilft? Man tauscht einen Krebs gegen den nächsten ein, oder wie?

Und nicht nur das. Eine großer Operation soll nun klären, ob sich irgendwo in meinen Gedärmen noch abgeschilferte Krebszellen festgesetzt haben. Im Bauchfell, am Darm, Gebärmutter, rechter Eierstock. Auf den Bildern sah alles unauffällig und glatt aus. Proben, die genommen wurden, waren negativ, aber das reicht nicht. Wegen der Leitlinie. Und weil es keine wirksame Vorsorgeuntersuchung gibt.

Es wird oft zu spät erkannt. Ich hatte Glück im Unglück.

Ich weiß das alles. Das Gespräch mit dem Arzt hat viele Fragen geklärt. Aber Sicherheit, wenn ich alles machen lasse, habe ich nicht. Die Therapie ist für alle Stufen fast gleich. Ausweidung und Chemo mit Carboplatin. Ich denke an Annette. Sie sagte:

“Las Dir bloß nicht Platin andrehen. Das hat so viel bei mir kaputt gemacht…”

Alle Verwandtschaft, die Krebs hatten und immer taten, was der Arzt ihnen riet, sind inzwischen verstorben. Und so will ich nicht enden.

Ich reagiere empfindlich auf Medikamente. Ich bekomme immer mehr Allergien. Ich lese mir die Information zu Carboplatin durch. Ich lese mir das in Ruhe durch, weil ich denke, vielleicht kann ich das ja doch machen. Der Arzt war so nett (“unbehandelt werden sie sterben”). Wieso unbehandelt? Das Mutanten-Ding ist raus. Ich hatte Glück. Wieder mal so viel Glück.

Da steht:

Carboplatin, Nebenwirkung unbekannter Häufigkeit: Zweit-Tumore.

Und bei der ersten Chemo hatte ich schon Epirubicin (seltene Nebenwirkung = spezieller Blutkrebs) und Cyclophosphamid (seltene Nebenwirkung = zusätzliche Krebsformen wie Blutkrebs, Blasenkrebs, Harnleiterkrebs)

Ich brauch nicht noch mehr davon.

Abwägung Nutzen / Risiko ist mal wieder bei mir anders, als bei den Ärzten oder der Leitlinie. Ich glaube, diese Leitlinien rechtfertigen nur die Handlung von Ärzten. Hatte Annette nicht auch plötzlich noch andere Krebsarten?

Carboplatin? Nein. Nicht mit mir.

Der Eierstock mit dem Krebs ist weg. Eine Unsicherheit bleibt, aber diese Art von Therapie, davon bin ich überzeugt, die führt bei jemandem wie mir zu einem Teufelskreis, aus dem ich jetzt vielleicht noch ausbrechen kann.

Ibuprofen ist eine Geschichte für sich.

Fuß gebrochen mit 13 oder 14.

Gehgips. Gehfehler. Krankengymnastik. Schmerzen.

Schmerzmittel.

Psychische Nebenwirkungen, die niemand als solche erkannt und die noch nicht mal auf der Packungsbeilage stehen. Heute stehen sie drauf. 1 % Wahrscheinlichkeit oder so. Wers glaubt.

Seit 1992 Schmerzen am Arm. Wird chronisch. Mehrmals Schmerzmittel. Wieder Ibuprofen.

1996/97 sagt mir ein Arzt: kann von den Schmerzmitteln kommen. Mir wird bewusst, dass sie gar nicht mehr wirken. Ich nehme einmal Paracetamol, es hilft !!!

Seit 2009 wieder mehr Fußschmerzen. Mit Lederschuhen ins Meerwasser gegangen. Dicke Beine bekommen. Am Bordstein die Fußsohle gestoßen. Schmerzmittel. Insgesamt Haltungsschäden. Hüfte immer schief. Jahrelang chronische Fußschmerzen. Wieder Ibuprofen. Weil ich vergessen habe, was der Arzt gesagt hat. Der andere Arzt sagt: Nehmen sie doch mehr davon! Dann wirkt das auch.

Irgendwann bekomme ich Krankengymnastik. Das hilft endlich. Schmerzen sind fast weg. Gehtraining. Gymnastik. Ich kaufe mir Sport DVDs. Mir wird der letzte Weißheitszahn rausoperiert und eine rotte Blombe entfernt.

Dann bekomme ich Krebs.

Es gibt keine Sicherheit. Nirgends.