Das Gerüst einer Geschichte

Jetzt hab ich es endlich. Das ist der Punkt, an dem alles wieder anfängt, Spaß zu machen. Die Geschichte, die ich schon verloren glaubte, ist plötzlich nicht mehr chaotischer Quatsch, sondern ergibt endlich einen Sinn. Irgendwie hab ich es durch stetiges Nachdenken geschafft, dass die vorläufige Grundstruktur steht. Und dann hab ich es auch noch aufgeschrieben. Nun muss ich die Geschichte nur noch so schreiben.

Um soweit zu kommen, musste ich einige festgefahrene Ideen loslassen, von denen ich lange Zeit überzeugt war, dass es sich um gute Ideen handelte. Es war aber nur alles Improvisation, denn in einer Geschichte, die ich in 30 Tagen versuche, an einem Stück durch zuschreiben, steckt eigentlich fast nur Improvisation. Da gibt es immer eine bessere Lösung, wenn ich etwas länger darüber nachdenke.
Vielleicht kann ich diese ersten Ideen ja später noch für Kurzgeschichten benutzen, wenn sie mir gar nicht mehr aus dem Kopf gehen. Zum Teil habe ich das sogar schon. Kurzgeschichten sind auch ein guter Weg, um auszuprobieren, was ich aus einer Idee alles machen kann. Es dauert jedenfalls nicht so lange, wie mehrere Versionen eines Romans zu schreiben.

Wichtig schien es bei mir zu sein, dass ich mich nicht von den vielen Vorschlägen, wie eine Geschichte strukturiert sein sollte, ablenken lies. Ich hab das wirklich oft genug versucht und es führte niemals zu einem Ergebnis. Auch die Idee, nach einem Grundmuster zu entwickeln, funktionierte letztendlich nicht. Wenn meine Konfliktsteigerung eben nicht fünf und auch keine Zehn Stufen hat, sondern irgendwas dazwischen oder fließend passiert, dann ist das in meiner Geschichte eben so.
Ich denke, die Geschichte sollte sich nicht der Struktur anpassen, sondern die Struktur orientiert sich an der Idee. Wenn ich lange genug darüber nachdenke, was das für eine Geschichte ist, die ich da schreiben möchte, dann erkenne ich plötzlich die Struktur dahinter und diese notiere ich dann zur Orientierung.
Dann kann ich anfangen, einzelne Module davon zu schreiben. Innerhalb dieser Arbeitsschritte bleibt noch genug Platz und Zeit für neue Ideen und Improvisationen. Und sie lassen sich dann auch leichter noch mal ändern und überarbeiten, weil ich ja nichts Grundsätzliches ändern muss, sondern nur Details. Dann geht es nur um die Frage: Wie setze ich meine Hauptidee so um, dass es funktioniert, was brauche ich dafür? Und das ist die bessere Frage gegenüber »Wie schreibe ich 50 000 Worte in einem Monat«.
Zum Beispiel bekam ich plötzlich eine Ahnung davon, wie ich bestimmte Dinge, die im Fernkurs bei kürzeren Sachen funktioniert hatten, für meine Geschichte einsetzen könnte. Hier kann man auch den Sinn gezielter Übungen sehr gut nachvollziehen, weil man dann plötzlich merkt, dass man aus den Erfahrungen schöpfen kann.
Nämlich: Wie man Spannung erzeugt durch unterschiedliche Sichtweisen und dem nicht aussprechen von etwas, was im Raum schwebt. Das bedeutet dann den Abschied vom Ich-Erzähler in Geschichten und die Hinwendung zur auktorialen Erzählweise. Die ist tatsächlich einfacher, was ich nie glauben wollte, weil ich festgefahren war. Einfacher, weil ich damit mehr Ideen umsetzen kann.
Gleichzeitig haben mir Bücher mit Kategorisierungen geholfen (Masterplots, Master Characters), das, was ich im Kopf als wagen Gedanken hatte, erkennen und beschreiben zu können. Aber auch, wenn es darum ging, mal von dem Gewohnten abzuweichen, was Charaktere und Handlungen betrifft. Kategorisierungen helfen dabei, die eigenen Gedanken besser einordnen zu können und das, was man sich vorstellt, zu erkennen.

Sich an den beschriebenen Strukturen beim Schreiben zu orientieren, das wird mir vermutlich niemals gelingen. Heldenreise, wie ein Masterplot aufgebaut ist, was alles zu einer Charakterisierung gehört, wie ein Plot strukturiert sein kann und alles das hat mir leider nicht geholfen, meine Geschichte zu schreiben.
Alles, was ich brauche, um weiter zu kommen, ist nur die grobe Struktur. Und die muss logisch und einleuchtend sein. Darüber zu brüten kann eine ganze Menge Zeit in Anspruch nehmen, in der ich kein einziges Wort schreibe. Das ist schwer, auszuhalten, weil es fast so ist, als würde ich mein Ziel wieder mal aus den Augen verlieren. Aber wenn ich mir die Zeit nicht nehme, bleibt alles, was ich schreibe Improvisation. Dann lasse ich mich immer nur von spontanen Ideen treiben ohne Kontrolle über die Geschichte zu haben.
Vor allen Dingen muss ich mir im Klaren darüber sein, warum ich diese Geschichte schreiben will, warum ich diese und jene Inhalte drin haben will, warum die Hauptperson so und der Bösewicht so ist. Dann kommen die Ideen. Zum Teil geniale Ideen. Zumindest glaube ich das in dem Moment, besonders nach einer Zeit des Stockens. Es ist so erleichternd, endlich mal so einen großen Schritt weiter zu kommen.
Als ich dann endlich wusste, was ich will und einen tollen Plan hatte, kam es mir auf einmal zu einfach vor. Banal. Und ich habe mich gefragt, ob das so reicht und warum die Idee so lange gedauert hat. Doch danach kam mir der Gedanke, dass ich ja alles in einer anderen Reihenfolge schreiben könnte, dass ich Fallen einbauen könnte, Irrwege, genau wie in guten Krimis. Denn schließlich muss jede Geschichte spannend sein. Ich fing an, darüber nachzudenken, warum ich etwas schreiben will und welche Auswirkungen ich mir davon versprach.
Aber soweit wäre ich nicht gekommen, wenn ich mich nie darauf eingelassen hätte, darüber lange genug nachzudenken. Oder wenn ich es einfach nicht geschafft hätte, alte Ideen einfach mal beiseitezulassen.
Hätte ich nicht mit dem wilden Drauf-los-Schreiben einmal im Jahr einfach mal aufgehört, um darüber nach zu sinnen, was wohl der Faktor ist, der bisher gefehlt hat und warum ich nicht zufrieden war.
Zeichnung 94