Die eigene Stimme maskieren

Manchmal macht es Spaß, Geschichten zu schreiben und sich Geschehnisse und Personen auszudenken. Manchmal ist es aber auch harte Arbeit und kann sehr zermürbend sein. Zum Beispiel, wenn man merkt, dass die Figuren keine eigene Stimme haben, wenn man es geschafft hat, jede Figur unbewusst zu einer Art Zombie-Clone von sich selbst zu machen. Das ist frustrierend.

Es ist ein ernstes Problem, wenn man als Autor einer Geschichte merkt, dass all die unterschiedlichen Personen, die man sich ausdenkt, alle gleich klingen. Sie reden alle mit einer Stimme, mit meiner Stimme, der Stimme des Autors! Es so hinzukriegen, dass die erdachten Personen in der Rolle, die sie spielen, auch authentisch klingen, ist wohl das Schwierigste am Schreiben überhaupt. Zumal, wenn man sich seiner eigenen, besonderen Sprechweise noch nicht bewusstgeworden ist und sie für normal hält.

Bei mir ist das wohl eine Mischung als Norddeutsch, Hochdeutsch, Ökotrophologin und lässiges Naturkind, vermischt mit etwas kräftigeren Ausdrücken, wenn ich sauer bin. Das mag für mich seinen Sinn haben, aber es darf nicht jede Figur in meinen Geschichten genauso klingen! Wie gut, dass ich endlich, nach einer längeren Pause, mein Fernstudium wieder aufnehmen konnte. Und meine absoluten Horroraufgaben warteten auf mich: Dialekt und andere merkwürdige Sprachphänomene.

Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Dialekt etwas ist, was man erst einfügen sollte, wenn die Rohfassung der Geschichte fertig ist. Man muss recherchieren! Es gibt zu so manchem Dialekt sogar Wörterbücher im Netz. Eine Suche danach, lässt sich nicht vermeiden, wenn eine Figur einen Dialekt sprechen soll. Es gibt aber keine Garantie, dass man die Worte dann auch richtig verwendet. Von vielen Dialekten gibt es unzählige Formen, je nachdem, aus welcher Region die Person stammt, die es in das Wörterbuch eingegeben hat. So kann es schnell zu Fehlern kommen, die den Menschen, die diesen Dialekt sprechen, sofort auffallen würde.

Eine weitere Möglichkeit, zu recherchieren wäre, Jemanden zu fragen, von denen man weiß, dass er/sie diesen Dialekt spricht, mal gesprochen hat bzw. darüber Bescheid weiß. Und die teuerste Form der Recherche ist wohl, dorthin zu fahren, wo der Dialekt gesprochen wird und sehr genau zuzuhören. Zuhören könnte man auch, wenn man sich Videos ansieht, in denen dieser Dialekt gesprochen wird (sofern es authentisch ist und keine überzeichnete Komödie). Dann muss man nur noch herausfinden, wie es geschrieben wird. Probleme über Probleme, bei den Dialekten!

Eine Sache, die auch die Sprache einer Figur verändern sollte, ist die Fachsprache. Wenn die Figur eine Expertin oder Fachfrau für etwas sein soll, wie zum Beispiel Pharmazie, Medizin oder auch nur Gartenarbeit, dann sollte sie entsprechende Fachwörter kennen und ab und zu wie selbstverständlich auch verwenden. Das ist das, womit die Figur sich jahrelang in ihrem Studium, dem Beruf oder ihrer Freizeit beschäftigt hat, darum wird sie manche Wörter verwenden, ohne darüber nachzudenken.

Ich musste feststellen, dass es im Bereich der Medizin nicht sinnvoll ist, im Internet nach Fachbegriffen zu suchen. Nach Zusammenhängen ja, aber nicht nach Fachbegriffen. Es gibt zwar unzählige Seiten, die von Medizin nach Deutsch, aber keine, die von Deutsch nach Medizin übersetzen. Ein medizinisches Wörterbuch hatte ich, zum Glück, noch bei mir herumstehen.

Es gibt aber noch mehr Eigenschaften einer Figur, die sich auf ihre Sprache auswirken können. Alte Menschen reden anders, als Jugendliche oder Kinder. Die Jugendlichen heute reden anders, als die Jugendlichen zu meiner Zeit oder zur Zeit meiner Eltern oder Großeltern. Eine Femme fatale redet sicher anders, als ein Mauerblümchen, ein Bauarbeiter anders, als ein Bürohengst. Man muss sich fragen: Wie stelle ich so etwas dar? Welche Wörter benutze ich? Wie stelle ich einen Akzent dar, den eine Figur spricht? Zum Beispiel, eine Französin, Spanierin oder Chinesin, die Deutsch spricht?

Aber selbst, wenn man als Autor Dialekt oder Sprache so perfekt benutzen kann, dass es authentisch wird, entstehen dadurch wiederum ganz andere Probleme: Ist die Geschichte überhaupt noch lesbar vor lauter Dialekt und Fachbegriffen? Wird das, was gesagt wird, irgendwo erklärt oder übersetzt? Gibt es eine Figur, die nur nuschelt und daher unlesbar geworden ist? Wird es den Lesern nicht zu anstrengend, sich auf die unterschiedlichen Sprechweisen einzulassen? Entsteht durch die Verwendung von Sprache, dass aus einem bestimmten Milieu stammen soll, vielleicht ein dummes Klischee, dass Menschen, die aus dem Milieu stammen, diskriminiert oder verspottet?

Wer eine Geschichte schreiben will, die nicht autobiografisch ist und in der die unterschiedlichsten Charaktere vorkommen sollen, der muss diese auch mit unterschiedlichen Stimmen sprechen lassen können. Aber man darf es dabei auch nicht übertreiben, sonst wird der Text wohl möglich unlesbar oder mit Klischee überladen.

Es macht Sinn, zu dem Thema so viele Übungen zu machen, wie möglich.

Setze Dich einfach mal in ein Kaffee und lasse die Sprache auf Dich wirken. Gibt es jemanden, der Dir von seiner Sprechweise her sofort auffällt? Höre genau zu, wie Leute reden und versuche dann zu Hause einen Dialog zu schreiben, in dem eine dieser Personen zu Wort kommt.

Oder versuch Deine Kollegen mal mit ganz anderen Augen zu betrachten. Wie würdest Du sie charakterisieren, ohne sie in eine Schublade zu stecken? Auch die Körpersprache der Personen kann wichtig sein. Bemerke, was diese Person oft sagt, welche Wörter sie häufig benutzt und welche Bewegungen und Gesten sie dabei macht. Beobachte Dich selbst. Wie schätzen andere Dich wohl aufgrund Deiner Ausdrucksweise ein?

Wie wird Sprache in Deinen Lieblingsserien und -filmen verwendet? In jedem Sciencefiction gibt es mindestens eine Person, die schlauer ist, als alle anderen und bestimmte Worte verwendet, die die anderen nicht verstehen können. Daher müssen sie nachfragen und alles muss noch einmal für Normalos erklärt werden. Das ist eine Möglichkeit, wie man mit Fachbegriffen in einer Geschichte umgehen kann.

Such Dir Worte aus einem bestimmten Dialekt aus einem Online-Wörterbuch und versuche damit, einen Dialog zu schreiben. Gibt den Dialog einer Probeleserin und überlege, wie Du eine Geschichte, in der dieser Dialog vorkommen soll, wieder lesbar machen kannst.

Überprüfe Deine Texte, ob sie Klischees oder Vorurteile enthalten.

Basta!