Schreiben hilft mir

Wenn ich schreibe, dann bin ich in der anderen Geschichte drin. Ich bin weniger in meiner Geschichte oder vergesse das alles völlig. Ich denke nicht mehr so sehr über meine bescheuerte Krankheit oder die bescheuerte Therapie, das bescheuerte Leben oder meine ganzen anderen bescheuerten Probleme nach. Darum hilft es mir. Es hilft mir, nicht durchzudrehen.

Und die Geschichte, die sich wie von selbst zu entwickeln scheint, tröstet mich auch. Manchmal geht es in meinem Kopf schneller, als ich es schreiben kann. Ich muss öfter schreiben. Ganz einfach. Sonst geht zu viel davon verloren. In dem Stück, dass ich gestern und heute geschrieben habe, geht es etwas zu schnell voran in der Handlung. Ich wollte eigentlich so schreiben, dass man sieht, wie beschwerlich, einsam und entbehrungsreich die Reise ist. Ich wollte es so schreiben, dass man versteht, warum Noona und Veronika zusammen gehören und sich wie Schwestern fühlen.

Aber ich bin schon wieder so an kritisieren. Ich muss damit aufhören. Kritik kommt erst nachdem die Rohfassung komplett fertig ist. Obwohl ich mich frage, ob die Geschichte denn jemals fertig werden kann. Wie auch immer. Schritt für Schritt geht es weiter. Ich habe auch wieder ein paar Ideen zu meinem anderen Blog. Vielleicht werde ich heute und morgen auch noch daran arbeiten.

Veronikas Reise

Veronika fand, dass Noona nicht so schwer war. Nur ihre Arme waren nass und glitschig und ihre weiche, fischige Haut fühlte sich merkwürdig an ihrem Hals an. Sie war so klein, dass Veronika das Gefühl hatte, ein Kind bekommen zu haben, dabei war sie selbst noch ein Kind und sich dessen auch vollkommen bewusst. Die Hände von Noona mit den Schwimmhäuten klammerten sich ganz fest um ihren Hals, dass sie fast Angst bekam. Doch sie wusste, dass sie von diesem Wesen nichts zu befürchten hatte. Die Sonne knallte immer intensiver auf sie herunter, je höher sie wanderten. Noonas Haut wurde dabei immer trockener und klebte an Veronikas Hals geradezu fest. Sie spürte, wie die dünnen Ärmchen mit jedem bisschen, dass sie trockener wurden, auch stärker und muskulöser wurden und die Schwimmhäute sich langsam zurückbildeten. Irgendwann konnte dieses kleine Wesen alleine laufen, aber Veronika mochte sie und sie mochte auch die Berührungen, so glitschig und fischig das auch war. Sie fand es gut, so eng mit jemandem verbunden zu sein, aufeinander angewiesen. Zwei Missionen, ein Ziel. Veronika war es nicht gewohnt, alleine zu sein. Aber noch weniger war sie es gewohnt, eine echte Freundschaft mit einer netten Person zu haben. Und Noona war für sie eine Person. Veronika wusste ganz genau, wie es war, wenn man wegen irgendeiner Äußerlichkeit ausgegrenzt wurde. Sie würde nicht den gleichen Fehler machen, wie all diese Leute.

Vor dem eigentlichen Gipfel bauten sich die Landmassen terrassenartig vor ihnen auf. Jede dieser Terrassen kam Veronika wie ein eigener Kontinent vor, dessen Grenze sie erst einmal überwinden musste, um auf die nächste Etage zu kommen. Sie stellte sich vor, ein sehr kleiner Wicht zu sein, der versuchte auf einem Stapel heruntergefallene Papiere zu klettern, die für diesen winzigen Wicht so hoch wie Felswände waren. Denn in diesem Fall waren es auch Felswände. Verzweifelt blieb sie stehen. Da war sie. Die nächste Felswand, die es zu überwinden galt. Die letzten drei waren einfach gewesen. Da waren große Steinhaufen gewesen, die sie als eine Art grobe Treppe hatte benutzen können, aber diese hier war so hoch wie die Hütte ihrer Eltern. Ihrer Ex-Eltern. So hoch konnte sie nicht klettern. Die Wand war zu steil, zu glatt.
„Was machen wir nun?“, fragte Noona.
Veronika setzte sich schweigend auf einen Stein, nahe des Flusses, der inzwischen einem rauschenden Wasserfall glich. Er wurde immer lauter, aber auch schmaler.
„Ich weiß es nicht.“
Sie schaute sich hilflos um. Ihr Magen nutzte die Ruhepause und fing ganz laut und heftig an zu knurren.
„Ich könnte dir etwas zu essen aus dem Fluss holen, aber dann werde ich niemals auf eigenen Beinen laufen können“, sagte Noona.
Veronika ging zum Fluss und wusch sich das Gesicht. Das kalte Wasser tat ihr gut. Sie trank etwas davon.
„Nicht nötig. Ich gehe in den Wald und suche mir Beeren und ein paar Wurzeln zum Essen. Ich habe beobachtet, dass es hier Wurzeln gibt, die meine Schweine ausgraben und fressen. Ich werde einfach das gleiche tun.“
Mit diesen Worten legte sie Noona vorsichtig auf das Gras.
„Gute Idee.“, sagte diese.
Eine Stunde später kam Veronika mit allerhand Nahrung zurück. Sie hatte drei Wurzeln ausgegraben, drei Sorten Beeren gesammelt und mehrere essbar aussehende Nüsse und ähnliche Früchte von einem Baum gepflückt, der hier überall wuchs. Sorgfältig baute sie alles vor sich auf und nahm eins der Stücke in die Hand.
„Ich werde jetzt alles nacheinander probieren, ob es essbar oder giftig ist.“, sagte sie.
Noona holte ihre Flasche raus und machte sich bereit, Veronikas Seele einzufangen, falls sie bei dieser Mahlzeit sterben würde. Doch Veronika hielt inne, bevor sie sich das erste Stück in den Mund steckte und fragte:
„Und was wirst du essen, Noona?“
Noona suchte mit ihren kleinen, lebendigen Fischaugen die Felsen am Fluss ab und zeigte dann auf einen davon.
„Da wächst Wassergras auf diesem Felsen. Es ist nicht besonders lecker, aber es macht satt.“
Veronika ging zu dem Stein, der ziemlich nah am Fluss war und sammelte etwas davon für Noona. Die aß, hatte aber die kleine Flasche für den Seelenfang immer griffbereit. Veronika biss von der ersten Wurzel ab. Geschafft. Es schmeckte sogar leicht süßlich.
„Meins schmeckt gut und deins?“, fragte sie Noona.
„Ja, es erfüllt seinen Zweck.“
Plötzlich stand Veronika auf und schaute in die Ferne.
„Ich weiß, wie wir da hoch kommen. Ich klettere einfach diesen Baum hoch und dann lassen wir uns von diesem Zweig herunter.“
Bäume klettern konnte Veronika sehr gut.
Als sie sich umblickte, war Noona gerade dabei, wie eine Eidechse am Felsen hochzuklettern. Veronika sah ihrer Freundin dabei mit offenen Mund zu. Als Noona oben war und auf sie herunter schaute, fiel ihr etwas ein.
„Wie kriegen wir die Schweine da hoch?“
Die drei kamen gerade zurück von ihrem Abenteuerspaziergang. Sie hatten etwas in der Gegend herumgetobt und gäriges Fallobst gefressen. Dementsprechend ausgelassen und übermütig waren sie.
„Komm zu mir hoch. Die heiligen drei Tiere finden schon einen Weg für sich selbst. Sie sind schlau. Schließlich sind sie nicht umsonst heilig.“, rief Noona.
Veronika rannte zu dem Baum, kletterte hoch und ließ sich vom höchsten Ast auf einen Felsvorsprung fallen. Von da aus konnte sie leicht auf die nächste Etage des Berges klettern. Die Schweine waren ihr gefolgt und standen verdutzt unten an der Felswand und starrten hoch. Dann liefen sie aufgeregt quiekend an der Felswand entlang.
Bisher hatte Veronika sie immer einzeln über die Felsenkanten auf die jeweils nächste Stufe getragen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, sie nun so in Panik zu versetzen. Um die drei hatte sie sich immer gekümmert. Das war ihre Familie. Das waren ihre Kinder. Und Noona. Sie war einerseits klein wie ein Kind, aber andererseits auch schlau wie eine Erwachsene. Somit war sie vermutlich eher wie eine Schwester. Veronika hatte Geschwister auf dem Schulhof gesehen. Sie stritten sich, vertrugen sich wieder, lachten miteinander, spielten miteinander und teilten ihr Pausenbrot miteinander. Ja, Noona war wohl ihre Schwester, denn sie hatten auch ihre Nahrung geteilt. Aber irgendwann würde sie verschwinden. Sie würde abtauchen ins tiefe Wasser und für immer verschwinden. Veronika rannte oben am Hang entlang und suchte nach den Schweinen. Sie wollte nicht, dass alle sie verließen. Davor, dass alle sie verließen und sie am Ende alleine war, davor hatte sie Angst.

Noona blieb zurück und schwieg. Da sie halb telepathisch war, wusste sie genau, was in Veronikas Kopf vor sich ging. Da drunten im Meer, da unterhielt man sich unter anderem mit der Kraft seiner Gedanken. Damit Veronika eines Tages mit ihr dort leben konnte, musste sie lernen, mehr Ordnung und Ruhe in ihre Gedanken zu bringen. Sie würde es lernen. Sie war schlau. Und sie liebte die drei heiligen Tiere wirklich. Aber sie machte dabei einen Fehler, sie traute ihnen nichts zu. Es waren für sie eben nur Tiere.

In Wirklichkeit steckte aber in jedem dieser Tiere, eine Noona-Seele. Im Grunde waren Noonas in Schweinen Spione des Königs. Der König der Ozeane wollte wissen, was dort oben an Land vor sich ging. Er wollte am liebsten alles kontrollieren. Die Menschen schütteten manchmal seltsame Dinge ins Meer. Manches davon schmeckte ganz gut, anderes war giftig. Und manchmal war es einfach nur Dreck. Auch tote Fische und andere tote Körper landeten oft genug im Meer. Manchmal konnte man sogar ihre Seelen einfangen. Der mächtige Oktopus wollte alles darüber wissen. Er hielt diese Seelen in Gläsern gefangen, bei sich im Thronsaal, damit er sie jederzeit befragen konnte. Und er ließ Noona-Seelen in die Waldschweine wandern, wenn sie an den Fluss kamen, um zu trinken. Noona-Seelen wanderten den Fluss hoch, Tag für Tag. Sie lebten in den Schweinen ihr Leben. Die Noonas sahen alles, was die Schweine sahen, sie hörten alles, was die Schweine hörten und sie erlebten alles, was die Schweine erlebten. Dann, wenn die Tiere starben, verrotteten sie für gewöhnlich auf dem Waldboden. Zumindest war es früher so. Die Noona-Seelen wurden dann mit jedem Regen wieder in den Fluss gespült und gelangten so ins Meer zurück, wo sie dem mächtigen Oktopus alles berichten konnten und dann als Dank dafür einen Noona-Körper bekamen, der niemals alterte.

Noona stand auf. Sie versuchte, ein paar Schritte zu gehen. Klettern war eine Sache, aber gehen war schwerer. Noonas kletterten andauernd Felswände hoch, um an die köstlichen Seeschnecken zu gelangen, die sich auf den Felsen breitmachten. Aber gehen? Ohne das Wasser um sie herum, war alles so luftig, und wenn man fiel, dann war es so hart und endgültig und es tat schrecklich weh. Sie schaute nach hinten. Ihre Flosse war fast vollständig verkümmert. Sie holte ein Stück Kleidung aus ihrer Tasche und zog es sich an. Menschen trugen schließlich Kleidung. Dann lief sie Veronika hinterher.

Veronika hatte die drei aus den Augen verloren und trottete enttäuscht und ängstlich zurück zu Noona. Sie wollte ihr nicht böse sein, aber das würde ihr erster Streit werden. Es war ihre Idee gewesen. Und sie hatte auch das Seil versteckt! Mit dem Seil hätte sie die Schweine hochziehen können. Es wäre schwer geworden und sie hätte wieder dreimal hoch und runter klettern müssen, um die Schweine festzubinden, aber Veronika wusste, wie stark sie war. Sie wusste, sie hätte es geschafft. Doch als Veronika Noona da laufen sah, mit ihren dünnen Beinchen, so wackelig und mit der seltsamen Kleidung, da konnte sie nichts mehr sagen, außer:
„Sie sind weg. Ich kann sie nicht mehr sehen.“
Dann sackte sie zusammen und weinte bitterlich. Noona kam zu ihr und legte ihre kaum noch flossige Hand auf Veronikas Schulter.
„Es sind Noonas. Sie finden einen Weg hier hoch. Es sind heilige Tiere!“
Die beiden blieben dann eine ganze Weile ruhig nebeneinandersitzen und warteten. Es war nichts zu hören und nichts zu sehen.
„Woher hast du die Kleidung?“, fragte Veronika irgendwann traurig mit zerknirschtem Gesichtsausdruck und wischte sich die Tränen weg. Vielleicht stimmte es ja, was Noona sagte.
„Die Menschen werfen viele schöne Dinge einfach ins Wasser. Früher dachten wir, es sind Geschenke. Jetzt wissen wir, dass sie es manchmal einfach nur loswerden wollen. Diese Kleidung gehörte einer Prinzessin, die ins Wasser fiel und ertrank.“
„Habt ihr ihre Seele gefangen und sie in eine Noona verwandelt?“, fragte Veronika neugierig. Die Prinzessin tat ihr leid.
Noona schaute verlegen ins Gras. Sie war froh, dass Veronika noch nicht ihre Gedanken lesen konnte. Aber Noonas kennen keine Lügen, also sagte sie Veronika endlich, nach langem Zögern die Wahrheit.
„Ja, die Seele ist in einem der Gläser gefangen. Der mächtige Oktopus hat sie dann zu den anderen Seelen in sein Regal gestellt, wo er ab und zu mit ihr redet.“
„Warum tut er das? Was hat sie getan, um keine Noona werden zu dürfen?“
„Gar nichts. Er sammelt die Seelen von Landwesen, um Informationen zu bekommen. Er will alles über das Land wissen.“
„Dann würde er mich auch einsperren?“
Noona zögerte wieder unendlich lange. Traurig schaute sie nach unten.
„Ich weiß es nicht. Eine Weile vielleicht.“
„Aber mit meinen Schweinen macht er es nicht so, oder?“
„Nein, das sind Seelen, die er erschaffen hat. Unsterbliche Seelen.“
„Sind andere Seelen sterblich?“
„Ehrlich gesagt, das weiß ich nicht.“
„Wie gut kennst du den König, diesen Oktopus?“
„Er ist mein Vater, denn er hat mich erschaffen. Ich kenne ihn wie einen Vater. Er kennt meine Gedanken und weiß alles, was ich erlebt habe, was ich gehört und gesehen habe, weiß er dann, sobald ich ins Wasser zurück kehre.“
Veronika war wütend.
„Gut“, sagte sie und rückte mit ihrem Gesicht ganz nah an das von Noona. Dann sagte sie:
„Hör mal, du großer Oktopus oder was auch immer du bist! Es ist nicht in Ordnung, dass du Seelen einsperrst, obwohl sie dir nichts getan haben! Ich weiß noch nicht, wie ich es anstellen werde, aber ich werde dahin kommen, wo du wohnst, und dann werde ich die Prinzessin und alle anderen befreien, damit du es weißt. Und die Seelen meiner Schweine bekommst du nicht!“
Noona schaute Veronika ängstlich und geschockt an. Dann nickte sie traurig.
„Ich kann jetzt nie mehr zurück nach Hause! Mein Vater wird furchtbar böse sein!“

Im nächsten Moment hörten sie ein lautes Quieken. Die drei wilden Schweine kamen angerannt. Sie hatten es geschafft. Doch immer noch war Panik und das blanke Entsetzen in ihren Gesichtern zu sehen. Und bald darauf sah man auch warum. Es waren Männer hinter ihnen her. Sie trugen abgewetzte Kleidung und rannten mit Spitzhacken und Schaufeln hinter den Schweinen her, um sie zu fangen.
Hastig stand Veronika auf. Die Schweine suchten Schutz hinter ihren Beinen. Noona blieb schockiert sitzen. Diese Männer sahen gefährlich aus. Als die Männer, die beiden Mädchen erblickten, das eine blond wie sie alle, das andere blau mit blauer Haut, blieben sie wie angewurzelt stehen und starrten sie an.

Ein Mann kam langsam näher. Sie kannte ihn nicht und doch wusste sie auf Anhieb, wer das war.
„Veronika?“, fragte er zögerlich.
„Vater?“, flüsterte sie. Dann rannte sie zu ihm hin und sprang in seinem Arm. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah und wirbelte sie lachend immer wieder im Kreis herum. Auch die anderen Männer ließen ihre Waffen sinken und lachten und freuten sich mit den beiden, wenn sie auch immer wieder verstohlen zu dem blauen Kind in der königlichen Kleidung herüber schauten. Doch Noona hatte all ihre Angst vergessen, und klatschte vor Freude in die Hände.
Veronika hatte endlich ihren leiblichen Vater gefunden. Sie informierte ihn darüber, dass ihre Schweine nicht gegessen wurden. Stattdessen zeigte sie den Männern, die furchtbar hungrig waren, wie man die Wurzeln fand und welche der Früchte man mit Sicherheit verzehren konnte. Etwas widerwillig sammelten die Männer mehrere Säcke davon ein. Veronika stellte ihnen Noona vor und sagte, dass ihre Schweine später mal auch zu solchen Wesen werden würden. Sie hatte ganz vergessen, was sie vorher gesagt hatte. Alle zusammen gingen sie in das Lager. Hier betrieb ihr Vater eine Miene, um Metalle, Kristalle und Edelsteine aus dem Berginneren zu schlagen. Sie warfen die Wurzeln, Knollen und Früchte in einen großen Topf, zusammen mit einem Rest Trockenfleisch, den sie noch herumliegen hatten und kochten einen riesigen Eintopf. Veronika tat es gut, endlich mal wieder ein warmes Essen zu bekommen. Noona lehnte es ab, mitzuessen, weil sie wusste, dass das Trockenfleisch aus Noona-Tieren gemacht war. Sie setzte sich mit ihrer Seelenflasche neben das Feuer und den heißen Topf, um so viele wie möglich von ihnen einzufangen. Die Männer schauten sie merkwürdig an, aber im Moment waren sie zu hungrig, um sich darüber Gedanken zu machen, was da passierte.