Bösewichte

Ich muss mich fragen, ob das nicht alles auf dem Fischmenschenplaneten spielt. Ob Veronikas Planet nicht der Fischmenschenplanet ist. Da ich aber geschrieben habe, dass dort kaum Land ist, müsste man sich überlegen, woher die Kontinente und Inseln kommen. Naja, ich lasse es mal auf mich zukommen. Nicht so viel nachdenken, lieber mehr schreiben.

Das Gehirn arbeitet schon selbständig an der Geschichte, sobald man richtig drin ist. Ich muss mich dann nur auch an den Tisch setzen und schreiben.

Roberts schlechtester Tag

Als Robert erwachte, war ihm ganz komisch zumute. Irgendwas war anders. Er spürte, dass sie hier gewesen war und doch konnte das nicht sein. Er konnte sie fühlen, hören und sogar riechen. Seine Gedanken waren von dieser Erkenntnis wie gelähmt. Er stand auf wie in Trance, ging aufs Klo, duschte, putzte sich die Zähne und zog sich seine Sachen über. Dann lief er in die sogenannte Mensa, die hier aber nur ein winziger Raum war. Er wusste, hier hatte Melli auch gegessen und gefrühstückt. Genau hier in diesem Raum. Vielleicht hatte sie sogar in seinem Zimmer geschlafen. Das wäre eine Erklärung für seine Gefühle.

Das hier war ein anderer Planet. Hier wirkten andere Kräfte. Die Menschen dachten, sie wären fortschrittlich, aber vielleicht waren sie sensibler, als sie dachten. Die anderen saßen schon am Tisch. Dr. Bail begrüßte ihn zynisch mit:
„Unser Langschläfer ist auch endlich zum Dienst erschienen.“
Dann ging es los. Sie brachte ein Tablett herein, auf dem all ihre Erfindungen zu Thema Ernährung lagen. Ballaststoff-Pellets, Vitaminbomben, Algengelee, der mit Lebensmittelfarbe beliebig eingefärbt werden konnte, Mineralstoffpulver aus Muschelschalen und so weiter. Nun ließ sie es von den Studenten und Praktikanten probieren und sich dafür loben. Sie hielt dann eine Ansprache über die Bedeutung dieser Forschungsstation für den Planeten Erde und gab mit den Preisen an, die sie schon mit ihrer Arbeit gewonnen hatte. Robert hörte nicht richtig hin. Es war unerträglich, wie diese Frau um Anerkennung buhlte und wie sie sich immerzu selbst loben musste. Sie war auch diejenige, die Melli verloren hatte. Über Bord gegangen. Ertrunken. Von einem riesigen Oktopus gefressen. Das war das, was Dr. Bail dazu gesagt hatte.

Am Tisch saß auch eine Kommissarin. Er konnte sich an das Gespräch in der Fähre erinnern. Er war aus ihm herausgeplatzt. Mord! Warum? Er kannte Melli. Sie konnte nicht den Mund halten, wenn ihr irgendetwas missfiel. Sie war ehrlich. Darum mochte er sie so. Darum hatte er versucht, zur selben Zeit auf die Station zu kommen, wie sie. Sie war so inspirierend gerade heraus. So mutig und doch so zerbrechlich. Und sein Plan ging furchtbar schief. Er hatte es nicht geschafft, sie schon. Und nun wurde sie vermisst. Er sah immer wieder diesen Müllzerkleinerer vor seinem geistigen Auge. Warum hatte Dr. Bail die Anwesenheit einer solchen Maschine verschwiegen? Warum waren ganze Abteilungen auf der Forschungsinsel nicht in den offiziellen Lageplänen eingezeichnet? Und was ist das für eine dumme Geschichte gewesen mit diesem riesen Oktopus, welche sie der Kommissarin erzählt hatte. Diese Tiere sind normalerweise sehr scheu.

Die Kommissarin hieß Alison Laurent. Sie saß am Tisch und betrachtete Dr. Bail skeptisch, während diese hektisch am sich produzieren war. Sie hatte Dr. Bail mit ihren sanften braunen Augen immer im Blick. Ab und zu zog sie mal eine Augenbraue hoch und wirbelte an ihrem Zopf herum. Man konnte spüren, dass es Dr. Bail sehr nervös machte, dass Alison hier nun saß. Ihre Roboterhelfer durchsuchten seit gestern Abend, also seit dem sie hier alle angekommen waren, die Station. Und zwar jeden Zentimeter davon.

Er hatte gesehen, wie sie arbeiteten. Langsam, Stück für Stück, arbeiteten sie sich an der Wand entlang, leuchteten alles aus, nahmen Fingerabdrücke und sammelten Proben, die dann im integrierten Kriminallabor ihres Rumpfes untersucht wurden. Wenn er noch mal einen Beruf wählen müsste, dann würde er auch zur Polizei gehen. Oder vielleicht Roboterhirte werden.

Hatte sie Melli tatsächlich in die Müllpresse geworfen? Er wurde dieses Bild einfach nicht mehr los. Warum? Was hatte diese Dr. Bail zu verbergen, dass sie so nervös war? Da Melli sich auch mit dem Berufswunsch Meeresbiologie für ein Vorpraktikum hier beworben hatte, nahm er an, er würde im selben Bereich arbeiten. Vielleicht sogar im genau gleichen Büro bzw. Labor? Der Ozean wurde mit Hilfe von Tauch-Robotern untersucht. Die nahmen Proben und brachten sie in die Station, über eine Schleuse. Dann wurden die Proben untersucht und damit experimentiert.
Er musste aufstoßen und bekam heftigen Schluckauf. Dr. Bail wurde darauf aufmerksam und reichte ihm eine große Flasche mit Wasser.
„Trinken sie!“, befahl sie ihm und richtete ihr Wort dann an die Gruppe: „Bedenken sie, es handelt sich hier um ein konzentriertes Ballaststoffpräparat! Morene kann ihnen jetzt mal erzählen, warum es so wichtig ist, ausreichend Wasser dazu zu trinken!“
Morena schreckte hoch, sie kaute gerade an einem Stück Algenschokolade.

„Ähm. Ja, Ballaststoffe quellen im Körper auf. Wenn man sie in konzentrierter Form aufnimmt, dann kann es zum Darmverschluss kommen, wenn nicht genug Wasser da ist. Es wird dann hart wie Zement. Bei natürlicher Nahrung ist das eher nicht so, weil…“
„Danke, das reicht. Ich denke, Robert hat es verstanden. Es handelt sich hier übrigens um reines, leicht gefiltertes Meerwasser, denn der ganze Planet, dieser ganze riesige Ozean um uns herum, besteht aus trinkbarem Süßwasser. Wenn also mal auf der Erde das Wasser ausgeht, brauchen wir nur noch einen Weg, dass Wasser von hier dorthin zu bringen.“
Robert fing an zu trinken. Das Wasser schmeckte nach Algen, aber es half. Ein Klumpen von den Ballaststoffen hatte sich in seinem Hals festgesetzt und löste sich nun langsam wieder auf. Die Diskussion, die nun stattfand, bekam er nur am Rande mit. Während Dr. Bail da stand und erwartete, für ihre Idee gefeiert zu werden, starrten die anderen sie mit unverständlichen Blicken an. Morena protestierte, vielleicht auch umso lauter, weil Dr. Bail ihr zuvor ins Wort gefallen war.
„Also das wäre nicht ethisch korrekt. Erst fahren wir unseren eigenen Planeten vor die Wand, dann beuten wir den nächsten aus? So wie ich das verstanden habe, sind wir hier, um zu forschen, nicht um auszubeuten oder zu zerstören.“
Jimmi nickte: „Ganz recht. Das denke ich auch.“
Und Gerwin merkte an: „Wir wissen nicht, wie eine Wasserentnahme in so großer Menge, wie die Erde es benötigen würde, könnte man denn einen Weg finden, das Wasser zu transportieren, sich auf das Ökosystem auswirken würde. Wir wissen auch noch gar nicht, welche Bakterien und andere Mikroorganismen darin enthalten sind und was das mit dem verbliebenen Wasser auf der Erde und dem Ökosystem des Meeres dort anstellen würde.“
Robert trank immer noch, denn der Kloß in seinem Hals hatte sich noch nicht ganz aufgelöst. Aber er hätte den anderen zugestimmt. Melli nahm kein Blatt vor den Mund. Sie hätte Dr. Bail mit Kritik überhäuft, wenn es etwas zum Kritisieren gegeben hätte. Er schaute Dr. Bail eindringlich an. War sie wohl zu so etwas fähig?

Alison beobachtete aufmerksam, wie Dr. Bail nun auf diese Kritik reagierte. Natürlich ärgerte sie sich über den Widerspruch. Aber sie hielt sich zurück, weil Alisons Anwesenheit sie dazu zwang. Wie hätte diese Dr. Bail wohl auf solche Kritik reagiert, wenn Alison nicht anwesend gewesen wäre?

„Können sie mit Kritik umgehen, Dr. Bail?“, fragte Alison sie ruhig. Diese hatte sich inzwischen wieder gesetzt und verschränkte nun die Arme und presste ihre Lippen aufeinander.
„Natürlich“, brachte sie gequält hervor, „das war nur ein Test, ob sie auch alle die Prinzipien verinnerlicht haben, nach denen wir hier arbeiten.“
Nun herrschte eine Weile Stille. Niemand glaubte ihr das. Robert hatte endlich zu Ende gekaut und alles runter gespült. Zur Sicherheit nahm er sich noch eine Flasche von dem Algenwasser.
„Woran hat Melli gearbeitet?“, fragte er dann.
„Wer?“
Alison staunte nicht schlecht: „Er meint die verschwundene Praktikantin! Müssten sie diese Tatsache nicht immer in ihrem Bewusstsein haben?“
„Oh, natürlich. Ja. Nun, es sind ja noch zwei andere verschwunden. Das Mädchen hat Proben analysiert. Sie hat Tauchroboter repariert und Berichte geschrieben.“
„Dann will ich das auch machen. Genau das Gleiche, wie sie.“, sagte Robert. Er liebte Melli. Wenn sie irgendwo noch lebte, würde er sie finden und wenn nicht, dann würde er sie rächen und ihren Tod aufklären.
Murena sagte: „Ich werde die Lebensmittel, die sie hergestellt haben, auf Schadstoffe, Keime und Gesundheitsgefahren überprüfen und dann selbst welche herstellen.“
Die Atmosphäre war nun kritisch. Dr. Bail zuckte nur mit den Schultern.
„Wenn es ihnen Freude macht und sie gerne ihre Zeit verschwenden wollen, die sie hier sind, aber hier gibt es keine Schadstoffe. Es ist ein ganz neuer Planet, wissen sie?“
Gerwin sagte: „Es gibt doch überall Mikroorganismen! Also auch hier. Was wissen wir über sie? Wie agieren sie mit Flora und Faune? Könnten einige davon den Menschen auf der Erde schaden? Könnten einige uns auch nutzen? Ich erinnere daran, dass man erst vor kurzem auf der Erde Bakterien entdeckt hat, die Krebs heilen könnten.“
Dr. Bail stützte sich nun mit beiden Ellenbogen auf dem Tisch auf und rieb sich gleichzeitig den Kopf. Sie war fertig mit den Nerven.
„Ja, tun sie das, tun sie das. Wie auch immer. Sie haben keine Ahnung, was ich hier alles durchmachen muss. Aber ich verstehen, dass es leicht ist, jemandem die Schuld zu geben.“
Alison sah sich das Häufchen Elend eine Weile an, dass aus Dr. Bail geworden war. Dann sagte sie:
„Ich denke, dass es ein Fehler war, hier einen alleine hinzusetzen, der die ganze Verantwortung trägt. Man hätte ein Team finanzieren sollen. Dann hätten sie für ihre Aussage, Melli wäre in die Tauchroboter-Schleuse gefallen und von einem riesigen Oktopus in die Tiefe gezogen worden, ja auch Zeugen gehabt. Nun müssen wir uns darauf verlassen, dass es so ist, wie sie sagen. Das ist, falls es denn die Wahrheit ist, für beide Seiten nicht gerade gut.“
„Hätte, hätte, Fahrradkette. Bin ich verhaftet?“
„Nein, aber ich bitte sie, vorerst auf ihrem Quartier zu bleiben. Ich werde sie später noch einmal befragen. Die anderen können ihre Arbeit aufnehmen, sobald meine Roboter die Räumlichkeiten freigegeben haben.“
Dr. Bail stand auf, ohne die anderen noch einmal anzusehen, und verließ den Raum. Alison folgte ihr und stellte ein paar Wachroboter vor die Tür. Die anderen blieben sitzen und diskutierten.
„Eines muss man ihr lassen, diese Nahrungsergänzungen sind ziemlich gut. Besser, als das, was sie auf der Erde machen.“, sagte Morena, während sie an einem der Riegel kaute.
„Das ist keine Kunst. Dieser Planet ist unbelastet“, merkte Jimmi an.
Und Gerwin scherzte: „Ziemlich einsam hier. So ne große Forschungsinsel und nur eine Person, die für alles verantwortlich ist.“
Und Robert sagte: „Dafür hat sie uns. Praktikanten und Erstsemestler, Diplomanden und Doktoranden.“
Morena schien plötzlich Mitleid mit ihr zu haben: „Wenn sie hier einsam ist, dann bringt sie die Leute auch nicht um, oder? Vielleicht war es doch ein Unfall!“
Robert glaubte das nicht.
„Vielleicht gab es doch Zeugen und sie hat sie auch verschwinden lassen. Genau darum. Ich meine, es ist merkwürdig, dass drei auf einmal verschwinden.“, sagte er. Dann rieb er sich die Augen. Die Ballaststoffe und das viele Trinken und auch diese schreckliche Situation hatten ihn müde gemacht.
„Mir geht dieses Bild nicht aus dem Kopf. Wieso verschweigt jemand einen Müllzerkleinerer?“
Gerwin klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Beruhige Dich, Kumpel. Du siehst doch, sie ist schon in der Mangel dieser Kommissarin. Wenn sie was getan hat, dann findet die es heraus. Da gehe ich jede Wette drauf ein. Und außerdem ist sie ein echt heißer Feger!“
Auch er bewegte sich immer schwerfälliger und ungelenk. Das Sprechen fiel ihm schwer und er lallte etwas. Jimmi saß plötzlich nur noch da und schwankte mit geschlossenen Augen vor und zurück, bis er endgültig bewusstlos auf die Tischplatte sank. Gerwin und Robert waren die Nächsten, die das Bewusstsein verloren. Morena stand hastig vom Tisch auf. Panik machte sich in ihr breit. Sie rannte aus dem Raum und rief nach der Kommissarin. Die war nirgends zu sehen. Morena rannte den Flur entlang. Da lag die Kommissarin auf dem Boden vor der Tür von Dr. Baila. Die Roboter waren ausgeschaltet. Was war hier los? Also doch? Mit dem blanken Grausen in ihren Gedanken, was nun passieren würde, sank auch sie schließlich auf den Boden.