Der Protagonist

Es gibt eine Sache, die schlimmer ist, als offensichtliche Fehler immer wieder zu machen, die man dann ganz leicht (mit etwas zusätzlicher Arbeit) verbessern kann. Und zwar, wenn man dazu tendiert, das Richtige zu machen, dann aber unsicher wird und aufgibt, um dann wieder ganz von vorne anzufangen.

Ich hab geschrieben und geschrieben, das Kapitel hatte noch nicht mal richtig angefangen. Warum? Weil viele Sachen passieren müssen oder dem Leser klar sein müssen, bevor John in den Simulator steigt.

In der ersten Rohfassung ist es so, dass ich diese Ereignisse später aufdecke (weil sie mir auch vorher einfach nicht eingefallen sind). Das hat den Nachteil, dass man den eigentlichen Protagonisten der Rahmenhandlung (John, den Zeitreisenden), nicht wirklich kennt und auch schon gar nicht als Held erkennt, schwimmt er doch hilflos in der Zwischenwelt umher.

Man weiß nicht, worum es eigentlich geht, warum alle da gelandet sind, wo sie gelandet sind. Bei Melli mag das funktionieren, aber John ist der Held. Er soll später auch Veronika helfen, die dann irgendwann seine Assistetin wird. Oder so ähnlich. Aber man muss das auch glauben können.

Mir wurde bewusst, dass irgendwas nicht stimmte. Und mir wurde bewusst, dass es auch etwas mit Pepe Gunnars Persönlichkeit zu tun hatte. Wer ist er denn nun wirklich? Ein dreidimensionaler Bösewicht, der John immer verfolgen wird, da er sein Adoptivvater ist. Einer, der ihn dazu zwingt ein Held zu sein.

Aber sind seine Handlungen logisch? Passt es zum Beispiel zu ihm, seine leibliche Tochter beim kleinsten Widerwort, dass sie gibt, mit seinem Gehstock niederzuschlagen? Ich fand nicht. Es sah ihm nicht ähnlich. Aber was sieht ihm ähnlich?

Gerade rechtzeitig war ich beim Kapitel mit der Charakterentwicklung von Holger de Grandpairs Ratgeber “Wie man einen Fantasy-Bestseller schreibt…” angekommen. Eigentlich hatte ich gedacht, alles, was es zum Thema Charakterentwicklung zu wissen gibt, schon tausendmal gelesen zu haben. Aber es ist so viel wirkungsvoller, wenn man schon etwas geschrieben hat und dabei auf ein Problem gestoßen ist.

Nun hab ich es immerhin geschafft, den famililären Konflikt zu erkennen, der zwischen den drei Akteuren die letzten Jahre immer im Hintergrund rumort hat. Nun bricht alles raus. Dann hatte ich Pepe Gunnar schließlich sehr böse gemacht, denn der Kristall beeinflusst ihn, wie John erkannt zu haben glaubt. Doch warum hat Pepe dann den Infusator schon in der Schublade parat?

Eben. Weil er es ist. Weil er das geplant hat. Er verfolgte sein geheimes Ziel schon, bevor er den schwarzen Kristall über illegale Kanäle bestellt hat. Ich hörte Moni sagen: “Ist das etwa ein Kult?”

Und das war die beste Idee in dem Kapitel bisher. Pepe hat Schmerzen. Bei jedem Schritt und sogar wenn er sitzt. Aber er wird sich niemals operieren lassen. Das hatte ich so ähnlich auch schon in der ersten Rohfassung.

Da war der Zukunftssimulator noch eine Selbstmordmaschine. Das fällt jetzt weg, weil ich meine Zielgruppe besser kenne.

Er strebt etwas anderes an. Er will seine tote Frau im Jenseits suchen. Er will Macht und Einfluss und das für immer und ewig. Dafür braucht er den “Kult des schwarzen Kristalls”. Aber er benutzt diese Leute auch nur, um an das notwendige Wissen und Handwerkszeug zu kommen, um seinen Plan zu bewerkstelligen.

Pepe steht im Zentrum seines eigenen Lebens. Durch seine Vergangenheit, seine ständigen Schmerzen und den großen Verlust, den er erleiden musste, ist es ihm gar nicht anders möglich. Er hat ein hohes Maß an Selbstdisziplin, aber er sieht auch immer nur sich selbst.

Die Frage ist nur, was will er mit dem Simulator von Moni? Wenn er die jetzige Welt ohnehin verlassen will, warum dann noch Monis Erfindungen vermarkten? Er gibt doch das Leben im hier und jetzt auf, oder?

Ganz und gar nicht. Er will sich nur eine neue Hülle suchen, sowohl für sich, als auch für seine Frau. Und das immer wieder. Und anstatt sich selbst zu töten, wie es der Kult vorsieht, will er den modifizierten Simulator nutzen, um dies alles zu bewerkstelligen.

Ich hab die Lösung noch nicht, aber ich werde weiter Variationen testen. Der Simulator in seiner ursprünglichen Form, wenn er funktioniert, könnte ihm zeigen, ob er Erfolg haben wird. Aber wozu dann die Kristalle schon einbauen? Vielleicht um seinen Kult zufriedenzustellen? Hat er Geld von ihnen bekommen? Material? Was hat er ihnen im Gegenzug dafür versprochen?

Denn es kommt eine weitere Frage auf. Er will Macht, er will in die Zwischenwelt. Warum will er dann, dass John den modifizierten Simulator testet?

Es ergibt keinen Sinn, außer wenn er seine Absichten geheim hält, bis er weiß, dass es funktionieren wird. Er lässt John also den normalen Test machen. Dann testet er ihn und sieht in seine Zukunft. Dann Moni. Nun hat jeder seine eigene Zukunft gesehen. Sie könnten darüber diskutieren. Es könnten aus dem neuen Wissen wieder neue Konflikte entstehen.

Tatsache ist, dass er seine Kinder immer nur als Assistenten gesehen hat. Zu einer anderen Form der Beziehung ist er nicht fähig. Seine Frau war die warmherzige. Und als er erkennt, dass sie beide mehr als Assistenten sind, ist er nicht mehr bereit, seinen Plan aufzugeben.

Aber mit den neuen Informationen aus dem Simulator hat nun jeder wieder seine eigenen Ziele, die im Konflikt zueinander stehen.

Es wird langsam. Ununterbrochen nur zu schreiben, bringt nichts. Man muss zwischendurch auch nachdenken, wenn man ins Stocken gerät. Denn meistens gibt es dafür einen Grund.

Natürlich besteht ein Roman aus so vielen Eizel-Ideen, dass es unmöglich ist, die alle schon vor dem Schreiben im Kopf zu haben. Es reicht, eine Prämisse zu haben. Und eine Rohfassung, die zumindest dem roten Faden folgt. Und das hab ich vorher noch nie hingekriegt. Darum kann ich stolz auf mich sein, Endlich geht es einen Schritt weiter. Zur zweiten Rohfassung.

Jedenfalls kommt Veronikas Heldenreise erst, wenn John in der Zwischenwelt festsitzt.Wenn ich die Rahmenhandlung logisch aufgebaut habe, kann ich sie auch immer noch in Teile teilen, um die Spannung zu erhöhen.

Der Charakter der Hauptperson (und seines Gegeners) muss dreidimensional sein. Die Psyche setzt sich aus den körperlichen Merkmalen und den soziologischen Hintergründen einer Figur zusammen.

Soziologischer Hintergrund: John kennt seine Eltern nicht. Er ist mit einem Makel aufgewachsen, seine Ohren sind unnatürlich groß und spitz. Er liebt Roboter-Comics. Er baut Roboter. Pepe hat ihn aus dem Heim geholt. Anfangs reichte es ihm, nur sein Assistent zu sein. Alles, was er baute, baute er, um ihm als Sohn zu gefallen. Moni war seine eigentliche Bezugsperson. Wie wird es wohl, wenn sie studieren geht?

Körperliche Merkmale: Spitze Ohren, dunkle Haut, oft gehänselt worden. Er ist schmal und eher klein. Superschlau. Er begreift wie Dinge funktionieren. Kann gut beobachten. Er spielt gerne Dart und ist körperlich zwar nicht besonders stark, aber sehr geschickt und gelenkig. Über Pepes disziplinierte Erziehung, hat er ein Training in Tai Chi, Qi Gong, Yoga und dergleichen bekommen. Er liebt Tiere, aber Moni hat eine Tierhaarallergie, weshalb er ihr den Katzenroboter baute.

Psychologisch: Introvertiert. Stubenhocker. Hat Angst vor Dunkelheit, da er im Heim oft in der Besenkammer sitzen musste. Sitzt und baut stundenlang oder liest sehr dicke Fachbücher. Ernährt sich pflanzlich, da auch Moni Vegetarierin ist. Er scheut die Konfrontation, besonders mit Pepe.

Doch die Heldengeschichten aus seinen Robotercomics sind fest in seiner Psyche verankert. Er weiß genau, wie sich ein Held verhalten sollte. Obwohl es ihm schwerfällt, unterstützt er Monis Plan, studieren zu gehen. Zum ersten Mal denkt er selbst darüber nach, auch etwas eigenes zu machen. Da er sehr misstrauisch ist, besitzt er eine gute Beobachtungsgabe.

Jedenfalls. Es geht voran. Auch wenn ich jetzt mehr schreibe, als geplant und das Kapitel immer länger wird, macht das nichts. Denn der ganze Quatsch, den ich mir in der ersten Rohfassung für Johns Leben ausgedacht habe (weil es irgendwie weiter gehen musste), der fällt dann ja zum größten Teil weg.

Was ich noch nicht genau weiß ist, ob Moni wirklich in der Zwischenwelt landet oder nicht. Sie könnte auch alleine zurück bleiben und irgendwas versuchen, um John zu retten. In der ersten Rohfassung hatte ich es so, dass Pepe seinen Fehler erkennt, aber dazu ist er nicht in der Lage, wenn man sich seine Persönlichkeit und seine Ziele anschaut. Also muss Monika wohl übrig bleiben mit den beiden Robotern, der Polizei und dem außerirdischen Kult des schwarzen Kristalls. Hier werden ganz neue Möglichkeiten sichtbar.

Beispiel für eine neue, klarere Struktur (vorläufig):

1 Rahmenhandlung John Teil 1: Johns Leben, bis er in der Zwischenwelt verschwindet. Er sieht seine Zukunft im Simulator, versteht aber nicht, was er sieht, da es auf einer ganz anderen Welt oder in einer anderen Zeit zu spielen scheint. Dann der Konflikt mit Pepe, der seine Pläne erklärt. John opfert sich für Moni und strandet in der Zwischenwelt, während Pepe alles zu kontrollieren zu können scheint. Moni bleibt zurück und versucht die beiden zu retten. Polizei, Finanzamt und der Kult sind ihr auf den Fersen. (Also auch aus der Sicht von Moni erzählen?)

2 Veronikas Heldenreise Teil 1: Erste Begegnung mit Noona, Veronika kann drei besondere Freunde finden. Die falsche Schwangerschaft der Mutter, der Zirkus, die Hexenjäger. Veronika weiß, dass sie anders ist. Aber nicht, wie anders genau. Sie soll einen Sack Gold zur Seherin bringen. Erster Quest. Da erfährt Veronika, dass ihre Mutter sie auch gekauft hat. Aber glaubt sie es? Katharina will dort Kristallmagie lernen. Veronika will zur Schule, doch es geht schief. Katharina und Veronika werden angegriffen. Veronika will Katharina helfen und entdeckt, dass Feuer ihr nichts anhaben kann. Zenobius versteckt sich und fühlt sich später schuldig.

3 Rahmenhandlung John Teil 2: John trifft Melli in der Zwischenwelt und lernt, wie die Wirbel zu benutzen sind, er hilft Melli dabei, sich selbst zu finden. Für sich selbst kann er nicht stark sein, nur für andere Menschen. Und Melli erfüllt diesen Zweck, denn sie braucht Hilfe und hilft ihm auch. Langsam begreifen sie, dass sie aus unterschiedlichen Zeiten kommen. Melli kommt aus der Zukunft, John aus der Vergangenheit. Doch er sieht sich selbst auch immer wieder in der Zukunft. Er fragt sich, ob er immernoch in dem Simulator steckt.

4 Veronikas Heldenreise Teil 2: Das Haus der alten Seherin. Veronikas zweite Quest. Die vulkanische Höhle und erste Begegnung mit dem Käferpiloten, der die Larven bewacht. Sie sieht, wie die Seherin ihren Bruder formt. Veronika stellt zum ersten Mal ihre eigene Existenz in Frage. Sie erzählt alles ihrer Mutter, aber der Steifvater lauscht. Das Haus der Seherin wird abgebrannt. Milva fasst ihren teuflischen Plan. Katharina fällt durch ihre Verletzungen ins Koma. Veronika muss wegrennen. Sie kann nicht nach Hause zurück, weil ihr Stiefvater einer der Hexenjäger ist. Sie geht mit ihren neuen Freunden und ihren Schweinen zum Zirkus.

5 Rahmenhandlung John Teil 3: John und Melli nehmen Einfluss auf Veronikas Welt, die überraschenderweise nun auch Mellis Welt ist. Melli kehrt in ihren eigenen Körper zurück, der genetisch modifiziert wurde. John entdeckt auch, was bei sich zu Hause nach seinem verschwinden passiert ist. Er versucht mit Moni Kontakt aufzunehmen, ihr zu helfen, in dem er die Methoden der Zwischenwelt anwendet. Er wird mutiger. Moni bereitet alles vor. Sie will ihn in der Zwischenwelt finden, da sie seine Verabschiedung nicht akzeptieren kann. Sie sucht einen grünen Kristall und will ihn pulverisieren. Doch dabei merkt sie, dass die Kristalle Lebewesen sind und kann es nicht mehr tun. Sie muss also einen anderen Weg finden, wie sie noch im zweiten Roman mitspielen kann.

6 Veronikas Heldenreise Teil 3: Die Mädchen kaufen Kleider auf dem Markt. Jemand sieht, dass sie Gold haben. Man wirft ihnen Diebstahl vor, doch das Gold haben sie ehrlich verdient. Sie rennen weg. Überfall auf den Zirkus. Die drei Freundinnen landen auf dem Sklavenmarkt. Die Schweine rennen weg. Veronika erfährt, dass Katharina immer noch krank ist. Sie erfährt auch von Milvas Plänen, kann es aber niemandem sagen. Veronika ist zum ersten Mal auf einem Schiff. Ihre Schweine rennen am Ufer entlang. Zweite Begegnung mit Noona (oder dem Octopus). Octopus versucht, das Schiff zum kentern zu bringen. Veronika rettet alle, indem sie die Noona befreit. Dritte Quest. Sie kann gehen, aber sie bleibt bei ihren Freunden. Ihre Mutter hat ihr den Brief gegeben. Sie will ihren angeblich leiblichen Vater finden, um herauszufinden, was sie ist. Vierte Quest. Veronika im Kinderheim und die Arbeit in der Mine. Ihr Vater lehnt sie ab, als er die ganze Wahrheit erfährt. Er jagd sie weg, sie flieht in die Mine.

7 John und Veronika: John findet endlich das Portal zu Veronikas Welt und könnte fliehen. Milva ist in ihr Geheimlabor umgezogen und beichtet Zenobius, wer sie wirklich ist. Das Portal geht vom Geheimlabor in die Zwischenwelt. Milva betritt die Welt, um Katharina aus dem Koma zu holen und John und Melli müssen ihr erst helfen. Pepe taucht zum letzten Mal auf, er bleibt in der Zwischenwelt. Er hat seine Frau noch nicht gefunden und die Echsengeister sind alle hinter ihm her. So kann Milva mit Katharina und John fliehen.

Veronika erkennt Teile der Mine wieder und sucht die vulkanische Höhle mit dem Käfer, um ihn um Hilfe zu bitten. Sie fällt in ein Loch, wo sie wieder die Noona und den Octopus trifft. Unter Wasser! Aber auch Melli als genetische Mutation, die sie schon kennt. Die bringen sie dann dorthin.

Der Käfer verspricht, ihr zu helfen, aber nur, wenn sie und ihr Bruder wieder zu ihrem Volk zurückkehren. Aber auch dort ist sie eine Außenseiterin. Man sperrt sie mit ihrem Bruder in einem Käfig. Melli, Robert und die anderen wollen von Milva zurückverwandelt werden. Dr. Bailas Machenschaften kommen an die Oberfläche. Milva erzählt (Dialog, Rückblende).

Nur zwei Perspektiven sind erlaubt: John und Veronika. Alles andere muss durch Beobachtung, Zwischenwelt-Enthüllungen, Dialoge oder anders gezeigt werden.

Das Finale: Der große Sturm, Katharinas Befreiung. Die Geschichten verbinden sich. Das Raumschiff fliegt zur Erde, doch die ist zerstört. Johns Roboter sind heil geblieben. Die Erde ist voll davon. Es ist das einzige, was übrig geblieben ist. Genug zu tun für den zweiten Roman und er hat immer noch nicht seine Zeitmaschine, also gleiche Prämisse am Anfang des zweiten Romans. Hat Moni es geschafft, so lange zu überleben? Welche Informationen, die John ihr geben konnte, halfen ihr dabei? Möglich wäre, dass einige Menschen in Kryoschlafkapseln überlebt haben, die Moni gebaut hat. Wer weiß.Die Anlage dafür muss aber im ersten Roman erkennbar sein.

Wenn ich sieben Kapitel mache, wobei jedes Kapitel maximal 10 Szenen hat, macht das bei 500 Seiten 70 Seiten pro Kapitel und 7 Seiten pro Szene. Ein Kapitel bedeutet aus der Sicht eines Helden geschrieben, dann der Wechsel.

Das wäre nur das, was am Ende fertig da steht, nicht die endlosen Versuche mitgezählt, die ich brauche, um dahin zu kommen. Ich weiß nicht, warum ich immer wieder solche Rechnungen anstelle und dann wieder alles verwerfe, aber wie soll ich sonst den Überblick behalten?

Wie auch immer. Denkpausen sind gut. Das sind keine Pausen, in denen man aufhört zu denken, sondern Pausen, in denen man nicht schreibt, weil man darüber nachdenkt, wie es weiter geht.

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