Doch nicht fertig

Für jede Woche des Jahres ein Kapitel zu schreiben ist toll. 424 Normseiten zu schaffen und zu wissen, wie es weiter geht, ist auch toll. Aber Teil 1 ist noch nicht fertig.

Während ich bisher versucht habe, in der richtigen Reihenfolge zu schreiben, werde ich jetzt die Szenen schreiben, die noch fehlen. Ich werde das hinzufügen, was mir vorschwebte, ich aber niemals eingebaut habe.

Das müssen keine Kapitel sein. Es kann eine einzige Seite, eine Szene sein, wie die, die ich heute geschrieben habe. Ich will nicht das, was ich habe mit dem überarbeiten, was noch fehlt. So lösche ich nur ein Kapitel aus und ersetze es durch ein neues. Ich mache dadurch das kaputt, was ich schon hatte.

Das wollte ich jedoch auf jeden Fall vermeiden. ich muss mehr Vertrauen in meine Fantasie haben. Mehr Zuversicht in mein Gehirn.

Die erste Lektion, die ich gelernt habe beim Schreiben ist also:

Niemals schon überarbeiten, wenn Du die Rohfassung schreibst. Mache erst die Rohfassung fertig.

Die zweite Lektion, die ich lernen muss, ist nun:

Überarbeite nicht, bis du alles in der Rohfassung geschrieben hast, was du in der Rohfassung drin haben wolltest. Statt dessen ergänze die fehlenden Fetzen.

Und das dritte könnte sein:

Zerstöre nichts, was gut ist, wenn du überarbeitest. Lasse die meisten Sachen einfach so stehen. Ändere nur minimal, wenn es nötig ist. Schreiben ist zu zeitaufwändig. Schreibe statt dessen die fehlenden Fetzen. Dann sorge dafür, dass alles zusammen passt.

Das tue ich nun also. Ich gebe mir ein halbes Jahr. Ich ergänze fehlende Fetzen meiner Geschichte, die dadurch mehr zu dem wird, was ich mir wirklich vorgestellt habe.

Zuerst änderte ich, dass John von Pepe Gunnar adoptiert wurde. Zugeteilt, weil es keine Kinderheime mehr gibt nach einem Vorfall, an dem John beteiligt war. Mein angefangenes Kapitel hab ich hoffentlich noch nicht gelöscht.

Ich muss mir nun alle Fetzen, die ich woanders gespeichert habe, zusammen suchen, um sie später einfügen zu können. Nichts löschen. Nichts ignorieren. Alles hat einen Sinn! Eine Rohfassung muss ja kein chronologisch in sich stimmiges fehlerfreies Meisterwerk sein. Eine Rohfassung ist ein Flickenteppich! Sonst würde man sie nicht Rohfassung nennen, sondern fertig.

Monika wurde zu Monia und dann zu Murena. Ich wollte für Murena eine wichtigere Rolle, weil der Name so toll ist. Nun wird sie also Johns Schwester. Da Fetzen kürzer sind, als Kapitel, könnte ich mehr als einen Text pro Woche schreiben. Sogar mehrere an einem Tag.

Einen einseitigen Fetzen schafft man schnell mal. Und ein solcher Fetzen kann so viel für die Geschichten tun. Dann, im Juni, ordne ich und sortiere alles und dann überarbeite ich die fehlenden Informationen, damit alles passt und schreibe die Übergänge. Dann erst ist die Rohfassung fertig.

Murena

Murena beobachtete ihren Vater und ihren Bruder schon den ganzen Monat mit gerunzelter Stirn. Irgendetwas stimmte nicht zwischen ihnen. Die Beziehung war merkwürdig, seit ihnen John damals zugeteilt worden war und nie wirklich wie die von Vater und Sohn gewesen. Eher wie Superheld und Sidekick, Pinky und the Brain, Sindbad und sein Papagei. Wobei John immer die weniger ruhmreiche Rolle zu spielen hatte. Er war nur der Helfer, der Assistent, auf jeden Fall aber jemand, der um jeden Preis versuchte, die Aufmerksamkeit seines Vaters zu erhaschen.

Aber das erkannte nur sie. Ihr Vater, Pepe Gunnar, erkannte das nicht, oder er wollte es nicht sehen. Er nannte sich selbst Meister Gunnar, weil er ein Meister im Qi Gong war. Es war nicht außergewöhnlich, dass die wenigen Studenten, die noch die Akademie besuchten, ihn auch so nannten. Außergewöhnlich war, dass ihr Vater für John eine Art leibhaftiger Meister war. War es Dankbarkeit, dass er der Zuteilung letztendlich zugestimmt hatte? War es Respekt, Anerkennung und Ehrfurcht vor seinen Leistungen, seinem Lebenswerk? Oder war es einfach nur geistige Unreife, Abhängigkeit und Angst, wieder verlassen zu werden?

Seit seinem Achtzehnten Geburtstag schien John zu erwarten, dass Pepe Gunnar ihn wieder auf die Straße setzte. Es gab keine Verpflichtung für ihn weiter zu sorgen, sobald er erwachsen war. John wusste das. Pepe Gunnar schien es vergessen zu haben. Murena wusste, dass ihr Vater keinen Moment darüber nachdachte, John auf die Straße zu setzen, aber sie konnte es ihm einfach nicht begreiflich machen. Pepe Gunnar hatte John als Sohn angenommen. Er ärgerte sich über ihn, wies ihn zurecht, belehrte ihn, versuchte ihn, zu erziehen. All das würde er nicht tun, wenn John ihm so gleichgültig wäre.

Aber John war nun schon 23 und hatte seine Angst immer noch nicht abgeschüttelt. Er überschlug sich damit, ihrem Vater seinen Wert beweisen zu wollen. Er zeichnete seit seinem 18 Geburtstag die Baupläne von außergewöhnlichen Maschinen. Einen unendlichen Energie-Konverter, eine Terraforming Einrichtung, einen Generator für ein künstliches Wurmloch, eine automatische Bewässerungsanlage für das Gewächshaus, einen Putzroboter, eine Zeitmaschine und schließlich hatte er auch die Basis für den Simulator entworfen. Das war ein Geburtstagsgeschenk von ihnen beiden für ihren Vater gewesen. Und ihr Vater hatte all sein Kapital dafür verwendet, einige dieses Gerät zu bauen. Wenn das kein Beweis war, dass Pepe ihn als Sohn anerkannte, dann wusste sie auch nicht, wie John noch zu helfen war.

Andere der Baupläne hatte inzwischen er an die Regierung verkauft, denn die wenigen Studenten der Akademie brachten nicht genug Kapital mit, um ihre aller Forschungen noch lange zu finanzieren. Ihr Vater hatte die Akademie eigentlich für Qi Gong und Kampfsport gegründet. Doch seit einem Unfall, über den er niemals sprach, hatte er chronische Schmerzen im rechten Knie und konnte die Gruppenkurse nicht mehr leiten. Damals standen sie kurz davor, das Haus und die Akademie zu verlieren. Vaters Lebenswerk.

Sie hatte zu ihm gesagt:
„Wenn es praktisch nicht mehr geht, dann müssen wir uns eben etwas theoretisches ausdenken, was die Leute anlockt. Etwas, was du unterrichten kannst!“
„Was stellst du dir vor, Murena?“
„Du bist Erfinder und Forscher. Unterrichte das.“
„Das machen heute viele, Kind. Das einzige, was die Leute noch anlocken würde, wäre eine Zeitreiseakademie.“
Und so war es entschlossen. Die Zeitreiseakademie bot den Leuten eine theoretische Aufklärung darüber, ob Zeitreisen überhaupt möglich sind, ob es moralisch vertretbar wäre, die Vergangenheit zu ändern und welche Auswirkungen Zeitreisen haben könnten.

Auch der Fetzen, den ich Anfang des Jahres schrieb, gehört hier mit rein, weil er zeigt, dass Teil 1 noch nicht fertig war. Es fehlt eine Menge Hintergrundwissen über John. Es gehört zur Rohfassung von Teil 1. Ich werde es später so umschreiben, dass es irgendwo rein passt.

Übung 1 2020

Als John wieder zu sich kam, hörte er das Klopfen. Es war, als würde jemand gegen seine Rettungs-Kapsel treten. Doch das war unmöglich, denn die befand sich schätzungsweise 100 Meter tief im Schlamm. John überlegte, ob die toxische Atmosphäre auf der Erde inzwischen zur neuen Heimat von riesigen Schlammwürmern geworden sein könnte. John las als Kind jeden Sciencefiction, den er in die Hände bekam. Die Spacewurmreihe verschlang er an einem einzigen Tag, sobald ein neuer Teil veröffentlicht wurde.

Damals war er Neun und im Kinderheim. Er musste zum Einzelgänger werden, nicht nur wegen seiner elfenartigen Ohren, seiner goldenen Augen, sondern auch wegen seiner dunklen Haut. Die Kinderheime waren der ideale Nährboden, auf dessen Grundlage die Extremisten neue Mitglieder rekrutierten. Sobald Jemand volljährig war, der den Vertrag unterschrieben hatte, kam ein Anwalt der Partei und holte sie den jenigen am Tag seiner Entlassung ab. Sie fuhren mit einer dicken Limosine vor, um die anderen Kinder zu beeindrucken. Die, die noch unentschlossen waren. Niemanden zu haben, bedeutete meist, vom Heim direkt unter die Brücke zu ziehen. Oder man landete in einem Arbeitslager der Regierung. Darum unterschrieben viele den Vertrag. Aber nach allem, was John hörte und sah, war die Arbeit für die Partei auch nicht besser, als im Kinderheim täglich misshandelt zu werden.

Angelo hatte es geschafft, aus einem ihrer Lager zu fliehen. Er brauchte für eine Flucht ein ganzes Jahr. John hörte eines Nachts das Klopfen an seinem Fenster, genau wie jetzt jemand an seine Rettungskapsel klopfte. Er ließ Angelo hinein und versteckte ihn bei sich im Zimmer. Der Vorteil seines Außenseitertum s war immer gewesen, dass er ein Zimmer für sich alleine hatte!

Es dauerte dann zwei Wochen, bis sie darauf kamen, ihn im Kinderheim zu suchen. In dieser Zeit erzählte er John eine ganze Menge. Von der Prügel, die sich nicht von der unterschied, die man im Kinderheim bekam, wenn man etwas zerbrach oder zu spät zu den Mahlzeiten, den Arbeitsdiensten oder den Gebeten erschien. Nur dass es dort auch Prügel gab, wenn man das falsche dachte oder sagte. Die Frauen und Mädchen wurden den Männern der Partei zugeteilt und mussten ihnen in jeder Hinsicht zur Verfügung stehen. Kinder, die dort geboren wurden, wurden geschlagen, sexuell misshandelt und mit Essensentzug für jede Art von Ungehorsam bestraft.

Angelo dachte, er könnte diese Leute überlisten, aber das konnte er nicht. Sie fanden ihn und ließen es wie einen Auto-Unfall aussehen. Trotzdem wusste es jeder. Es führte dazu, dass die Anzahl derer, die einfach mitgingen, sank. So bekam Angelos Tod einen tieferen Sinn. John redete schließlich. Als die Reporterin kam, Elisa Mayer, und Fragen stellte, da erzählte er ihr alles, was Angelo ihm erzählt hatte. Über die Indoktrinierung, die Gehirnwäsche, die Prügel, den Essensentzug und wie sie dort Frauen und Kinder behandelten. Sie schrieb einen ziemlich guten und langen Enthüllungs-Artikel darüber. Auch die Misshandlung in den staatlichen Kinderheimen kam darin vor.

Dieser Artikel änderte alles. Kinderheime wurde abgeschafft. Alle Kinder wurden nun in Pflegefamilien untergebracht. John war zu diesem Zeitpunkt 10 Jahre alt. Er kam zu Pepe Gunnar, der ihn aber nicht wie einen Sohn behandelte, sondern wie einen Hausmeister für seine Zeitreise-Akademie. Er bekam ein Zimmer, gerade mal so groß wie eine Abstellkammer, denn es war auch eine Abstellkammer gewesen, wie ihm Monika versicherte. Monika war nett. Sie war drei Jahre jünger. Sie wurde zu seiner Schwester.

John lernte eine völlig neue Welt kennen. Nachdem er zuvor über all diese Dinge nur lesen konnte, waren sie nun plötzlich real und in Reichweite. Zeitreisen!

Während John die Räume der Akademie sauber hielt, den Müll rausbrachte, den Kompost umschichtete und manchmal sogar für Pepe Gunnar kochte, startete die Reporterin Elisa Mayer eine politische Kampagne gegen die Partei der Extremisten und ihren Anführer Karl Amboss. Sie bekam täglich Morddrohungen, die sie in ihrer eigenen Fernsehshow vorlas.

Dann wurde auch sie umgebracht. Aber auch dieser Tod hatte einen tieferen Sinn, denn der Vorfall führte zum Verbot der Partei „Die Extremisten“, zur Beschlagnahmung ihrer Gelder und zur Verhaftung ihrer Mitglieder. Und dann, als alle dachten, die Krise sei überwunden, entstand der erste Bürgerkrieg nach dem zweiten Weltkrieg, in Europa. Alle Extremisten vereinigten sich. Sie bauten eine Flotte von Raumschiffen und terrorisierten das Weltall.

 

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