Nicht am letzten Tag

Ich wollte nicht wieder alles am letzten Tag erledigen, also hab ich mich gestern, Freitag Abend hingesetzt und geschrieben. Inzwischen ist es wieder nach Zwölf, also genau genommen schon wieder Samstag. Aber immerhin ist das nicht der letzte Tag. Nun ja, ich hab auch irgendwas zustande gebracht, auch wenn es mehr erzählen, statt zeigen ist, aber fürs Überarbeiten später muss ja auch noch was übrig bleiben.

Nanowrimo findet diesmal ohne mich statt. Wieder mal. Aber ich kann mich nicht beschweren, da ich ja im Prinzip dieses Jahr zu meinem Schreibmarathon gemacht habe. Okay der Anfang des Jahres war richtig Scheisse mit Krankenhaus und Operation, Androhung einer weiteren Chemo und so weiter, aber ich habe das gut aufgeholt. Das Schreiben lenkt mich nicht nur von meiner Krankheit ab, sondern auch von dem ganzen Mist, der in der Welt passiert. Wo wäre ich jetzt ohne das Schreiben? Ich weiß es nicht.

Wie auch immer, ich habe mir etwas ausgedacht, wie ich den überbordenden Medienkonsum in den Griff kriegen kann. Und siehe da: ich weiß plötzlich wieder, wie leben geht. Ich habe mir zwei Tage in der Woche ausgesucht, an dem Fernsehen, Netflix und PC-Spiele komplett Tabu sind. Ich hab es tatsächlich geschafft, an meinem ersten Probetag den PC komplett auszulassen. Ich hab dann erst sehr viel gelesen, dann Radio gehört und dann geschlafen. Aber irgendwann kamen mir Ideen für neue Artikel für meine andere Website und ich notierte mir das in mein Kladdebuch. Fertig hab ich noch nichts, aber ich recherchiere immer mal wieder an mehreren Sachen gleichzeitig. Es ist schön, wie die Inspiration durch Faulenzen kommt. Dadurch fühle ich mich immer auf der sicheren Seite.

Ich gebe jetzt mehr Geld für Nahrungsmittel aus. Es nützt nichts, immer auf irgendein anonymes Leben zu warten, dass ich niemals haben werde, wo ich dann alles so mache, wie ich es machen will. Ich muss das in diesem, meinem eigenen, nicht anonymen, derzeitigen Leben tun, oder es wird niemals passieren.

Ein Bild folgt irgendwann

 

Übung 44

Was passierte mit…?

Pepe Gunnar spürte, wie er aus dem Wolf heraus geflossen war und sich mit der Ursuppe der Zwischenwelt vermischte. Er spürte Füße und Hände und die Gesichter anderer Seelen, manche von ihnen sahen ihn direkt an, aber doch durch ihn hindurch. Er hatte nur noch eine leise Ahnung davon, wer er eigentlich war, was ihn als Mensch ausmachte und was seine Ziele waren. Seine Erinnerungen waren nur noch ein verschwommener Schatten im Hintergrund der ewigen Wellen des Universums, von denen er sich treiben ließ. Zuerst versuchte er, sich dagegen zu wehren, wie er sich auch gegen das Instinkt behaftete Wesen des grauen Wolfes zu wehren versucht hatte. Doch mit jedem getöteten Beutetier, gewann der Instinkt und somit der Wolf etwas mehr. Pepe gab sich schließlich auf, weil er seine Schuld nicht mehr spüren wollte. Er konnte plötzlich alles genau erkennen. Seine Morde. Ja, es waren Morde. Bisher hatte er sie als Notwendigkeit betrachtet. Ein kleiner Schritt, auf dem Weg zu seinem Ziel. Selbstsüchtig hatte er diese jungen Menschen in die Irre geführt. Er hatte sie das Falsche gelehrt, in der Hoffnung, sie würden so werden, wie er. Doch das wurden sie nicht und darum brachte er sie um. Er benutzte sie, um einen Weg zu finden, seinen Schmerzen und seiner Sinnlosigkeit zu entfliehen. Jetzt im Moment fühlte er keine Schmerzen. Er ließ sich treiben. Sein Bewusstsein, seine Schuld, seine Erinnerungen, seine Ziele und alles, was er war, löste sich gerade in dieser Ursuppe des Lebens auf und vermischte sich mit den Bestandteilen anderer Seelen zu etwas absolut Neuem. Und in dem Moment, als Pepe Gunnar vergaß, wer er selber war, wurde er neu zusammen gesetzt und als jemand völlig anderes neu geboren. Er verschwand aus der Ursuppe und wurde aus dem Körper einer dreizehnjährigen Schülerin gepresst, die von ihrem ersten Sex in ihrem Leben überhaupt schwanger geworden war. Zu seinem Glück hatte niemand die Schwangerschaft bemerkt, denn ihre Eltern hätten sie mit Sicherheit sonst zu einer Abtreibung gezwungen. Doch jetzt war er da und sie mussten es akzeptieren, denn Jennifer, seine Mutter, hatte ihn während des Sportunterrichts zur Welt gebracht. Vor aller Augen. Er würde dieses schwierige Leben beginnen, als weiblicher Säugling, mit einer genetischen Disposition Neurodermitis und Krebs zu bekommen und vielleicht auch wieder seine verhasste Arthrose. Seine Mutter würde die Schule nicht beenden und wegen eines Streits mit ihrer Mutter von zu Hause weglaufen. Durch schlechte Kontakte würde sie schließlich als Prostituierte enden und er würde in dem Glauben aufwachsen, seine Großmutter, sei seine Mutter.

Die Mistkäfer hatten sich zurückverwandelt. Die große Elfenzauberin, die nicht wirklich richtig gut zaubern konnte, nicht so, wie sie es gern wollte, hatte die dreivier Käfer von Zenobius, die Katharina verschluckt hatte, als sie ein weißer Wolf war, zwar wieder zurück verwandelt. Aber dass hieß ja nicht, dass sie ihnen auch erlaubte, mit dem weiter zu machen was sie zuvor gemacht hatten. Elfen quälen. Nein. Für diese vier jungen Männer hatte sie eine ganz andere Verwendung. Sie verwandelte sie mit Hilfe der Kraft des schwarzen Kristalls in hirnlose Diener. Sie standen da, als hätten sie sich in die Hose gemacht, sabberten und schauten ins Leere. Ihre Schritte waren unbeholfen und ruckartig, wie nach einer sehr schlimmen Beinverletzung. Manchmal knurrten sie oder aus ihrem Mund blubberten Blasen, so als wollten sie etwas sagen, aber ach, die Worte waren ihnen aus ihren Gehirnen entflogen. Sie gab die Befehle und die Jungs führten sie aus. Das ging so:

„Bring mir das Kraut da drüben. Nein, nicht das, das andere, Du Idiot!“

Sie schlug ihn mit ihrem traditionell verzierten Elfenstock. Es war egal, denn sie spürten nicht viel Schmerz. Und selbst wenn, sie konnten sich nicht darüber beschweren.

„Fege die verdammte Höhle, es sieht schon wieder total dreckig aus!“

Sie musste ihm den Besen in die Hand drücken, weil er durch das ständige schielen an die Decke mit seinem verdrehten Hals den Besen nicht sehen konnte. Seine Hände waren klamm, er konnte nicht zugreifen. Genau genommen, hatte sie sie nicht mal verzaubert. Sie hatte sie vergiftet. Denn das war, im Gegensatz zum zaubern, etwas, was sie besonders gut konnte. Sie kannte jedes Kraut und jede Wirkung, jede Nebenwirkung, jede Art von Giftigkeit in jeder Dosierung. Sie liebte es, zu sehen, was nur ein paar Pflanzen, in der richtigen Mischung und der richtigen Zubereitung, einem hoch entwickelten Tier wie dem Menschen, der sich selbst für ach so überlegen und unwiderstehlich hielt, anrichten konnten. Sie tat das Mittel in ihr Essen. Jeden Tag aufs Neue, denn sonst würde die Wirkung nachlassen. Genau genommen, machte es ihr Freude, die vier jungen Männer sich ihr Gift selbst zusammen mischen zu lassen. Sie waren einfach gezwungen, das zu tun, was sie sagte. Innerlich lachte sie drüber. Aber insgeheim fragte sie sich, wann sie ihnen vergeben würde. Würde sie ihnen jemals vergeben? Würde sie sie jemals wieder erlösen?

Der Oktopus hatte die schreckliche Frau gefunden, die sich Veronikas Mutter schimpfte. Sie hatte das Kind schon bekommen. Es war ein kleiner Junge. Er war das niedlichste Menschenkind, was der König der Meere jemals gesehen hatte. Er schloss den kleinen Jungen sofort in sein Herz. Er wollte ihn nicht retten. Nicht auf diese Art, wie Veronika es gemeint hatte. Er wollte ihn zu sich holen und als seinen Sohn aufziehen. Doch wenn er ihn in eine Noona verwandeln würde, dann würde er sein einzigartiges Erscheinungsbild verlieren. Also stand er da, der ratlose König, verliebt in einem Säugling, und wusste nicht, was er tun sollte. Und plötzlich war es dann zu spät. Mutter und Sohn waren ertrunken. Erschrocken über sein langes Zögern, sammelte er ihre Seelen ein und sperrte sie in Flaschen, wie er es schon seit Jahrhunderten zu tun pflegte. Er trauerte um den Jungen. Er sammelte seinen winzigen und leblosen Körper ein und legte ihn in einen Sarg aus konservierendem Muschelkalk, um ihn immer wieder betrachten zu können. Seine Seele jedoch sperrte er in ein Glas. Er hatte noch nichts erlebt, darum war seine Seele unschuldig, aber auch nutzlos. Sie war wie die Meeresoberfläche an einem Tag ohne Wind. Wie ein Vulkan, in dem kein Feuer brennt und in dem auch niemals Feuer brannte und auch in Zukunft niemals ein Feuer brennen wird. Der König der Ozeane saß dort und starrte auf das Kind und fühlte sich schuldig. Er würde nie wieder zu Veronika zurück kehren können. Also schickte er die verwandelten Menschen dorthin, falls sie Hilfe benötigen würde. Er konnte sie schließlich nicht einfach da sitzen lassen. Er schämte sich so sehr. Eines Tages würde er diesen Seelen einen geeigneten Körper suchen und sie alle frei lassen. Aber er wusste nicht wie, denn die passenden Körper waren alle an Land und da wollte er nie wieder hin.

Er hatte schließlich auch ein paar Exemplare, bei denen er sich genau überlegen musste, ob er ihr Seelenglas noch einmal öffnen würde, oder ob das zu gefährlich war. Da war sie. Die Seele der Dr. Baila. Dort in seinem Regal, in einer unscheinbaren grünen Flasche. Einst war sie die Königin der Landwesen, denn es waren extrem wenig Landwesen auf diesem Planeten gewesen und alle auf einer kleinen, künstlichen Insel. Und auf dieser Insel hatte sie das Kommando. Und das nutzte sie oft genug schamlos aus. Sie entwickelte einen Weg, ihre eigene Art zu Meerwesen zu verwandeln, wollte das aber nicht für sich selbst. Sie zwang die anderen dazu, etwas zu sein, was sie nicht sein wollten und ein Leben zu führen, was sie sich so niemals gewünscht hatten. Aber erst durch ihn und seine Macht wurden sie unsterblich. Auch er selbst war unsterblich, zumindest solange es auf diesem Planeten noch Kristalle gab. Die Menschen, besonders die Bergmenschen, mit ihren Werkzeugen, sie konnten an der Oberfläche kratzen. Aber im Untergrund des Planeten, unter dem Wasser und unter dem Meeresboden in den zahlreichen Schlunten, Höhlen und Labyrinten, da waren noch viel mehr Kristalle. Da war ihre ganze Macht verborgen. So weit weg von den Menschen. Unerreichbar für sie.

Die Menschen machten ihm Angst. In ihrem ach so furchtbar kurzem Leben waren sie fähig, immensen Schaden anzurichten. Wenn ihn jemand fragen würde, was einen Menschen ausmacht, dann würde er antworten: „Ihre Zerstörungswut!“ Gleich danach kam die Lust, andere Lebewesen zu quälen, zu töten und aus ihren Körpern dann allerhand Dinge herzustellen. Taschen und Kleidung aus ihrer Haut, Nahrung aus ihrem Fleisch und Schmuck und Werkzeuge aus ihren Knochen. Menschen verachteten das Leben und verehrten den Tod. Aber diese beiden, die er retten sollte, waren durch sein zögern gestorben.

Sollte er es Milva sagen? Dass es alle ihrer Art gar nicht geben würde, ohne die Menschen? Sollte er ihr sagen, wer ihrer aller Mutter war? Dr. Baila, die Mutter aller Elfen, aber selbst ein grässlicher, egoistischer und grausamer Mensch? Wie konnte sie so etwas erschaffen, was so perfekt in die Natur der Oberwelt passte, ohne selbst zumindest in den Grundzügen ein guter Mensch zu sein? Wie war es möglich, dass jemand, der so grausam und rücksichtslos handelte, etwas erschaffen konnte, was so schön, so perfekt und so friedlich war? Doch Milva war schon lange nicht mehr schön, perfekt oder friedlich. Sie war frustriert, wütend und enttäuscht. Es war fast so, als hätte sie sich mit Dr. Bailas Seele infiziert.

Dr. Baila damals. Als sie wieder zu sich kam, lag sie gefesselt auf dem Boden, der nass war und alle waren verschwunden. Alle ihre Versuchstiere. Nun ja, zuvor waren es Menschen, aber sie machte sie zu Versuchstieren. Es dauerte drei Tage, bis sie sich aus den Seilen befreit hatte. Danach schloss sie sich in ihr Labor ein mit einer Menge ihrer selbst erstellten Nahrungsmitteln und versuchte, etwas Besseres zu erfinden, als Meermenschen. Sie mochte diese Idee nicht mehr. Vielleicht konnte man das noch irgendwie zu Geld machen, die Formel an diverse Regierungen verkaufen, damit sie unliebsame Teile ihrer Bevölkerung in die verseuchten Meere umsiedeln konnten, vielleicht auch nicht, in jedem Fall war der Zauber einfach raus aus der Idee. Also suchte sie nach etwas Neuem, aufregenden. Sie nahm ihr Lexikon der Mytologie und blätterte es durch. Medusa, Undine, Werwölfe, Vampire, Kobolde, Elfen. Elfen! Was ihren Meermenschen gefehlt hatte, war eine Kultur. Ihr Fehler war, dass sie sich an ihr Menschsein erinnerten. Das hielt sie davon ab, sich mit ihrem neuen Lebensraum abzufinden. Sobald sie wusste, was zu tun war, forderte sie von der Erde ihre letzte Praktikantin an. Ihr Name war Milva Rosenstock. Eine zwanzigjährige Studentin der Medizin mit dem Schwerpunkt Pflanzenheilkunde. Dr. Baila sperrte sie ein, fand einen Weg, ihr das Gedächtnis zu löschen, ihr falsche Erinnerungen einzuflößen und ihre Gene so zu verändern, dass sie Elfen ähnlich wurden.

Womit sie aber nicht gerechnet hatte, war der Vulkanausbruch. Ein gigantischer Vulkanausbruch. Plötzlich gab es Land, echtes Land auf den kleinen Planeten. Die Forschungsinsel war komplett unter Wasser. Aber dafür entstanden Inseln und Kontinente. Dr. Baila schloss sich in ihrem Labor ein, wo sie vermutlich noch immer sitzt, wenn die Vorräte ihrer selbst hergestellten Nahrung nicht inzwischen aufgebraucht waren. Sie hätte in ihrem Labor die Möglichkeit gehabt, sich in alles mögliche zu verwandelt. Vielleicht in einen Meermenschen, vielleicht in einen Elfen, vielleicht in etwas ganz anderes. Niemand konnte das wissen. Niemand sollte das wissen. Niemand sollte jemals dahinter kommen, wer sie jetzt war.

Als die Menschen von der Erde, ihrem Heimatplaneten realisierten, dass es nun Land gab, sendeten sie ein Kolonieschiff, um den Planeten, den Dr. Baila liebevoll und selbstverherrlichend nach sich selbst benannt hatte, zu besiedeln. Dieser Planet war ihr Baby. Mehr als drei Jahre hatte sie hier tun und lassen können, was immer sie wollte. Sie hatte immer wieder Praktikanten angefordert, verbraucht und neu gefordert und immer wieder bekommen. Sie hatte Preise gewonnen mit ihren neuartigen ökologischen Lebensmitteln. Sie hatte die Menschheit auf die nächste Entwicklungsstufe der Evolution gehoben, indem sie ihnen die Möglichkeit gab, sich zu verwandeln. Mit Mühe und Not hatte sie sich selbst schließlich für die Form entschieden, die sie für alle Zeiten und immer beibehalten würde. Scheinbar ein Tier, doch alles beobachtend. Scheinbar gehorchend, doch alles beeinflussend. Ihr Lieblings-Fabeltier war schon immer die Harpyie gewesen. So konnte sie übers Land fliegen, Menschen entführen, die sich zu weit von ihrer Gruppe entfernt hatten und sie ebenfalls zu Elfen umwandeln. Irgendwann hatte sie genug, um eine Population zu starten. Es dauerte lange, diese Menschen so zu programmieren, dass sie die richtigen Erinnerungen besaßen, aber sie schaffte es. Also nahm sie ihren Prototyp, die rothaarige Milva Rosenstock, die inzwischen schon fest daran glaubte, dass sie eine Elfin war, und setzte sie in den sich neu entwickelten Landschaften aus. Und um sie herum ein komplettes Dorf voller Elfen. Die perfekte Illusion und das perfekte Gegengewicht zu den Eindringlingen.

 

Korrektur und Seitenanzahl folgt irgendwann.

 

 

 

 

 

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