Orientierungslos umherirren

Da ich nun endlich mein Aufschiebeverhalten einigermaßen im Griff habe und jede Woche brav Dinge erledige, muss ich nur noch lernen, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun. Wenn ich zum Beispiel mit meinem Fernstudium nicht so rangeklotzt hätte, würde ich jetzt noch immer daran sitzen und hätte eine Ausrede, warum ich mich zur Zeit nicht auf meinen Roman konzentrieren kann. Aber so konnte ich mich mal wieder an die Arbeit machen und herausfinden, warum es im Moment trotzdem nicht weiter geht. Ich bin auf zwei Probleme gestoßen.

Problem 1:
Der Ort ist bisher noch eine schemenhafte, unklare Geisterstadt, in der die Figuren sich irgendwie von Punkt zu Punkt fortbewegen, ohne dass es einen genauen Plan gibt, wo in der Stadt, sich dieser oder jener Schauplatz befindet. Ich habe mir den Ort zwar ausgedacht, aber leider nicht ganz zu Ende gebaut. Vorlage waren Grömitz und Osnabrück, weil ich diese Städte kenne und es auch ein Ort sein sollte, der sowohl einen Jachthafen, als auch viel Wald drum herum hat, sowie ein Kloster und einen alten Gutshof. Also habe ich mir Übungen ausgedacht zum Thema »Ort«, die mir helfen sollten, mich besser darin zurechtzufinden.

Die Idee, eine Karte der Stadt (bzw. der Welt) zu erstellen, stammt aus dem E-Book »Weltenbau für Anfänger« von Carla Erpenbeck. Die erste Version zeichnete ich nach der Vorlage einer Google.map von Grömitz aus dem Internet noch mit Bleistift, die zweite Version dann mit Paint.Net auf dem PC.

Beim Erstellen einer Karte wird man grausamerweise dazu gezwungen, sich zu entscheiden. Zum Beispiel: welche Schauplätze müssen in die Stadt? Hier hilft es sicher, sich erst mal eine Liste zu erstellen. Wie weit sind die Schauplätze voneinander entfernt? Das spielt zum Beispiel eine Rolle, wenn eine Person sich verspätet und zur Hochschule rennen muss oder wenn jemand eine bewusstlose Person auf eine Jacht schleppen möchte, ohne dabei gesehen zu werden. Aber auch der Hintergrund der Stadt ist wichtig, die Leute, die darin wohnen. Was machen sie, was und wo arbeiten sie und wie und wo verbringen sie ihre Freizeit? Wie kommen Touristen in die Stadt? Welche Sehenswürdigkeiten gibt es? Wie ist die Bevölkerungsstruktur der Stadt? Wohnen in der Stadt eher alte oder junge Leute oder Familien? Kommen eher reiche Ausländer in die Stadt oder Tagestouristen, die Radwandern wollen? Gibt es bestimmte Veranstaltungen, die regelmäßig stattfinden und noch mehr Menschen in die Stadt locken? Wie groß ist die Hochschule? Was kann man dort studieren?

Als ich anfing, so darüber nachzudenken, konnte ich eine ganze Weile nicht mehr damit aufhören. Es hat mir sehr geholfen, mir anzusehen, wie vergleichbare Städte von oben realistisch aussehen. Sonst hätte ich nie gewusst, wie groß ich den Golfplatz, den Zoo oder den Jachthafen einzeichnen soll. Es hilft auch, sich auf den jeweiligen Seiten Infos über die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten durchzulesen. Aus welchem Jahrhundert stammt zum Beispiel der Gutshof oder das Kloster? Was charakterisiert den Ort?

Natürlich werde ich im Laufe des Romans das eine oder andere Mal nicht darum herum kommen, die Stadt oder bestimmte Teile davon, genau zu beschreiben. Da wo es notwendig ist. Eine Übung ist also, eine Karte der Stadt mit allen Schauplätzen (und Straßennamen) zu erstellen. Eine weitere Übung wäre, eine Beschreibung der Stadt anzufertigen, die man auf die Homepage stellen könnte, wenn es die Stadt tatsächlich gäbe.

Die dritte Übung besteht darin, der Stadt den richtigen Namen zu geben. Wenn möglich sollte der Name zur Geschichte passen, sowohl zur Geschichte der Stadt, als auch zu der Geschichte, die man schreiben möchte. Ein bisschen Forschung, wie Stadtnamen im realen Leben zustande kommen, werde ich sicherlich noch betreiben. Den Stadtnamen habe ich mir übrigens per Stadtnamengenerator gesucht, eine kleine Freeware aus dem Internet.

Die vierte Übung besteht darin, eine meiner Figuren durch die Stadt laufen bzw. fahren zu lassen. Man könnte auch eine Art Vogelblick der Stadt anfertigen und beschreiben, auf welche Weise die Menschen sich in der Stadt bewegen und welchen Tätigkeiten sie nachgehen. Gibt es einen Marktplatz? Gibt es Veranstaltungen? Wo kann man einkaufen, wo essen, wo feiern? Gibt es Obdachlose? Eine Drogenszene? Eine Subkultur? Wo gehen die Jugendlichen hin? Gibt es Fußballfelder? Danach wird man wissen, wo und was man noch recherchieren muss.

Eine gute Übung wäre auch, sich Beschreibungen von Orten, Ländern, Welten, Städten und Schauplätzen aus den Büchern von Lieblingsautoren herauszusuchen und genau zu analysieren. Oder aber eine Recherche vor Ort, sofern man einen Platz kennt, der wirklich so ähnlich ist, wie der Ort, über den man schreiben will. Einfach hinsetzen, beobachten und alles notieren. In dem Buch »Schreiben dicht am Leben« von Hans-Josef Ortheil wird beschrieben, wie man so eine Art von Recherche durchführt. Das muss nicht nur reine Beobachtung der Außenwelt sein, sondern kann auch darauf abzielen, welche Gefühle der Ort auslöst.

Ist man in der Lage, ein ausführliches, logisch unanfechtbares Porträt der ausgedachten Stadt zu schreiben, dann ist man fertig und bereit, die Figuren dorthin zu schicken und sie Dinge erleben und Handlungen vollziehen zu lassen!

Das zweite Problem war die Perspektive, aus der heraus ich erzählen wollte. Es stellte sich heraus, dass ich die Geschichte nicht so erzählen kann, wie ich sie im Kopf habe, wenn ich nur aus Sicht einer Person erzähle. Sobald ich mich dazu entschlossen hatte, auch die anderen zu Wort kommen zu lassen, kam wieder Leben in den Schreibprozess!

Karte fü Romanstadt 2