Arm dran ist besser, als Arm ab

Endlich hab ich das Buch über Rassismus durch. Und ich hab mal wieder gemerkt: Nein, ich mach auch nicht alles richtig und meine Kindheit ist nicht nur eine Welt voller verstörender Erinnerungen, vermutlich typisch für die verkifften und perversen Siebziger Jahre, sondern auch eine Welt voller eigener Verfehlungen. Immer wieder rede ich darüber, dass ich ja einen Vorteil gehabt hätte, da ich ja schwarze Mitschüler in der Schule hatte von der ersten Klasse an und darum das Thema für mich nicht neu sei. Das die das nerven könnte, wird mir erst jetzt schleppend bewusst.

Wie oft und mit wie viel Mühe musste meine Freundin mir damals diese Themen des politisch korrekten Sprechens beibringen? Was für Stress war das für sie? An wie vielen Tagen konnte ich Traurigkeit in ihrem Gesicht erkennen oder Hoffnungslosigkeit? Und wie oft habe ich dieses ärgerliche Grummeln gehört, wenn ich sie gedankenlos voll plapperte? Sie war praktisch meine Entwicklungshelferin und ich hab das auch mehrmals von ihr eingefordert. Wie unglaublich nervig muss das für sie gewesen sein? Hat sie vielleicht bei jedem Rückfall meinerseits gedacht, dass ich nur so tue, als ob ich es lernen will? Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, ob ich überhaupt aus ihrer Sicht eine Freundin war oder nur so etwas wie ein Projekt oder gar eine nervtötende Pestbeule.

Manche Leute könnten es als Heuchelei auffassen, wenn ich einen Artikel zum Thema Rassismus schreibe. Es muss aber sein, da ich auch über Genitalverstümmelung schreibe und die beiden Themen scheinen irgendwie zusammen zu gehören. Sonst würde ich vermutlich für immer meine Klappe halten und mich lieber nicht zu dem Thema äußern. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen, oder so. Ich fühle aber, dass ich dazu was schreiben muss.

Viele Aspekte zum Thema Rassismus hab ich nicht gewusst. Das war aber Faulheit, dass ich das inzwischen nicht einfach selbst recherchiert habe. Traurig genug, dass man so etwas in der Schule und in den öffentlichen Medien nicht hoch und runter betet. Andere Aspekte hab ich damals oft genug selbst miterlebt. Die ständige Frage “wo kommst Du eigentlich her” und man hört erst auf zu fragen, wenn man genau weiß, aus welchem Land genau die schwarze Farbe kommt. Das hab ich auch mehr als einmal gemacht und mich gewundert, wie die deutsch-schwarzen Kinder darauf reagieren. Mehrmals war ich selbst traurig, dass mein Leben so langweilig und so wenig exotisch ist, während meine Freunde das einfach nur genervt hat. Sie wollten dazugehören, normal sein, sich nicht unterscheiden. Alles andere hat Angst ausgelöst.

Damals auf dem Land war politisch korrekt etwas anderes, als es das normalerweise sein müsste. Toleranz bedeutete tatsächlich, dass manche Menschen viel tolerieren mussten. Toleranz bedeutete auch, dass man anderen Leuten ihre “Kultur” lässt. Wie die oberste Direktive bei Startreck galt es, dass man sich nicht einmischen sollte, wenn Leute sich entschlossen, ihre Kinder an den Genitalien zu verstümmeln. Das haben die Leute immer gesagt, als hätte jemand ihnen das ins Gehirn programmiert. Für mich ist diese Gleichgültigkeit heute die schlimmste Form des Faschismus. Als weiße deutsche Person sollte man froh sein, dass man davon nicht betroffen war. Ich hatte schon damals das Gefühl, dass es Menschen gibt, die sich am Leid der anderen aufgeilen oder es benutzen, um sich selbst besser zu fühlen. So etwas zeugt nicht gerade von geistiger Gesundheit.

Wie es heute in der Schule auf dem Land ist, kann ich nicht mehr sagen, da ich nicht mehr in die Schule gehe und auch keine Kinder (?) habe, die davon betroffen sind oder mir das berichten könnten. Manche Menschen wissen, was das Fragezeichen bedeutet. Ich überlege oft, wie ich meinen schwarzen Kindern helfen würde, wenn sie nach Hause kämen und mir von ständigen rassistischen Sprüchen und Angriffen berichten würden, Ungerechtigkeiten, die selbst von den Lehrern kommen. Ich weiß es nicht.

Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich die Locken meiner Freundin damals bewundert habe. Das hat sie so lange genervt, bis sie mir ihre Perücke auf meinen Tisch im Klassenzimmer geworfen hat. Heute hab ich durch die Chemo selbst Locken bekommen und die Leute starren manchmal darauf. Ich lasse es wachsen. Ich bin vorher auch nie zum Frisör gegangen. Nicht nur, weil die Haare danach nie so aussehen, wie ich es wollte, sondern auch, weil ich gegen ziemlich viele Bestandteile im Shampoo allergisch reagiere. Mich anzufassen ohne mich zu fragen, das traut sich keiner (nur meine Mutter). Aber ganz oft werde ich gefragt, ob mir das denn wirklich gefällt, mit den Locken.

Damals wollte ich unbedingt lernen, wie man sich politisch korrekt verhält, ohne dass mir am Ende Genitalverstümmelung egal ist. Und wie ich gegen Genitalverstümmelung sein kann, ohne rassistisch zu werden. Ich hielt das damals für ein schwieriges Unterfangen. Etwas, was man nur von schwarzen Menschen lernen kann. Und das stimmte vielleicht auch. Heute bin ich davon überzeugt, dass man mit der passenden Propaganda Genitalverstümmelung in jedem Land und in jeder Kultur einführen könnte und das macht mir Angst. Es verbreitet sich immer mehr. Gesetze sind ein erster Schritt, aber sie müssen auch durchgesetzt werden. Ärzte machen das auch. Es ist den Leuten immer noch egal. Sie benutzen es nur, um mit dem Finger auf andere zu zeigen.

In den Siebzigern scheinen die Leute überwiegend gekifft und gesoffen, Musik gehört und öffentlich herumgepoppt zu haben, anstatt sich mit wichtigen Themen wie Gesundheit, Sexualität oder Unversehrtheit von Genitalien zu beschäftigen. Aber durch Kiffen lernt man nichts über Gesundheit und durch ungebremste, gedankenlose Sexualität oder gar Pornos lernt man nichts darüber, was Sexualität ist oder wozu man intakte Genitalien braucht. genauso lernt man durch den ständigen Gebrauch rassistischer Polemik auch nichts über Rassismus.

Ich hatte eine komische Vorstellung von einer Zukunft, in der alle es schaffen, sich politisch korrekt zu verhalten. Und nur ich stehe dann da und sage immer noch das blöde Wort “N…-Kuss”, weil ich zu blöd war, mich umzugewöhnen oder dazuzulernen. Eine Horrorvorstellung. Dann wissen ja gleich alle, wie dumm und ungebildet ich bin. Ich hätte nie gedacht, dass es heute immer noch Menschen gibt, welche die gleichen dummen Fehler machen, wie ich damals als Kind. Ich hätte auch nie gedacht, dass mal eine Nazipartei mehr als 0,8 % der Stimmen bekommt. Darf man eigentlich Nazipartei sagen oder muss man “außen rechts” oder so was sagen? Ist es politisch korrekt, Leute als Nazis zu bezeichnen, die sich offen zu derartigem Gedankengut bekennen? Vermutlich nach heutigem Verständnis nicht. Merkwürdig. Und ich dachte, es ändert sich etwas zum Besseren.

So kann man sich irren.

Der Titel dieses Textes ist irreführend und hat nichts mit dem Text zu tun. Mein Vater hatte einen Aufruf in der Zeitung gesehen, in dem ein Schreibkurs der Nordseeakademie beworben wurde. Er wollte mit mir da mitmachen. Ich sollte mich um die Anmeldung kümmern. Ich rufe also an und erfahre, dass es am Samstag von 8 Uhr morgens bis Abends um 21 Uhr geht und da weiß ich schon, dass es nichts ist, was mein Vater mitmachen würde. Zu lange sitzen. Nur interessehalber frage ich dann nach den Kosten, denn ich hätte das tatsächlich gerne mitgemacht. Kann ich mir leider nicht leisten. Aber lieber arm dran, als Arm ab. Tatsächlich hab ich genug Projekte. Heute schreibe ich an meinem Artikel gegen das Rauchen weiter. Der Artikel über Rassismus kommt später. Über Toxine im Shampoo und im Essen will ich auch noch etwas schreiben und wie man Arthrose mit Hausmitteln und Nahrungsergänzungen wieder in den Griff bekommt.

Ich sage zu meinem Vater also, ich habe genug Schreibratgeber. Wenn er sich dafür interessiert, dann kann er die gerne mal leihen.

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