Im Grunde läuft es mit dem Sport so weiter. Ich habe dann bald nur noch einmal pro Woche Rehasport. Außerdem mache ich nur noch 15-20 Minuten die DVDs, kaum mal mehr eine Stunde. Ich schiebe es einfach immer zu sehr auf, bis es dann fast zu spät ist und ich zu müde, um es zu machen. Heute hab ich eines der Cardioprogramme ausprobiert, dass eigentlich 30 Minuten ging. Ich habe aber nur eine viertel Stunde durchgehalten. Obwohl es heute gar nicht so heiß ist. Sport hilft mir. Es liegt nicht daran, dass es nichts bringt. Es liegt daran, dass ich die Zeit vertrödele. Manchmal bin ich zu schlapp von der Arbeit oder mein Arm tut wieder zu sehr weh. Aber ich muss mich halt noch dran gewöhnen. Ich muss herausfinden, was ich wann am besten mache und was mir wann am meisten hilft. Und früher anfangen, wenn ich merke, ich trödele.
Auf Kuchen zu verzichten ist einfacher. Als wir letztens an der Verladung standen, hab ich uns Eis geholt. Ich und mein Bruder aßen Ben & Jerrys. Das hatte ich lange nicht mehr gegessen. Ansonsten wechsel ich meine Ernährung ab, einmal gibt es Pizza, einmal gibt es Gemüse & Getreide-Hülsenfrüchtemix. Und Nahrungsergänzungen gehören nun zu meinem täglichen Speiseplan. Traurig irgendwie, dass man es trotz gesunder Ernährung nicht schafft, von allem genug zu essen. Ich mache schon viel mehr als andere, reicht trotzdem nicht. Aber durch den Krebs bzw. durch die Krebstherapie wird man halt chronisch krank. Das ist eine traurige Tatsache, der niemand entgehen kann. Ich hab dann doch noch einen langen Spaziergang gemacht, weil ich echt nur knapp über 1000 Schritte hatte und jetzt gehts mir tatsächlich auch wieder besser. Ob die Nahrungsergänzungen helfen, weiß ich noch nicht. Aber man muss aufpassen. Isst man zum Beispiel zu viele Vitamine, dann reguliert der Körper die Aufnahme herunter. Das bedeutet, im Zweifelsfall landet alles nur im Klo. Das ist dann teurer Stuhlgang. Aber ich muss es versuchen.
Ich beginne jetzt darüber nachzudenken, was an der Chemotherapie wohl vegetarisch war und was nicht. Sind das Luxusgedanken? Ein Zeichen dafür, dass es mir eigentlich wieder besser geht? Mein Konto ist etwas im Minus, weil die NEM doch etwas teuer waren. Es sind auch zwei Ayurvedisch-Vegan angehauchte Pulverdrinks dabei. Das eine ist anregend, das andere beruhigend. Ich hab ständig Appetit auf Himbeeren, hab es aber einfach nicht geschafft, mir welche zu holen. Dabei ist direkt in der Nähe ein Bauernhof, wo man die ab Feld selbst pflücken konnte. In dem Pulverdrink sind auch pulverisierte Himbeeren. Immerhin kann ich so mein Bedürfnis nach Himbeeren stillen. Zum Frühstück gab es heute Mini-Äpfel aus dem Garten. Hat lecker geschmeckt. Ich mische mir jetzt jeden Morgen mein Müsli mit Sojaprotein.
Da eine Arbeitskollegin sich verletzt hat und ins Krankenhaus musste, werde ich in der nächsten Zeit wohl noch mehr arbeiten müssen. Mein Arm sticht und pickt und wehrt sich, aber ich kann nichts für ihn tun. Ich brauche ja Geld. Als wir letztens mit dem Autozug gefahren sind, hatte ich mich auf die Seite gelegt und etwas geschlafen. Als wir da waren und ich mich wieder aufrappeln wollte, waren die Schmerzen schlimm. Ich versuche jetzt darüber Tagebuch zu führen. Ich recherchiere immer mal wieder zum Thema Arthrose. Vegetarische Ernährung wird empfohlen, gerne auch mit fettem Omega-3-Seefisch, was für mich ja nicht in Frage kommt.
Die Bundesregierung will jetzt wieder die Wehrpflicht einführen. Ich hatte ja damals schon meine Einladung zur Musterung bekommen. (Ich habe nie raus bekommen, wer mich da verarschen wollte). Bin halt bloß nicht hingegangen. Das könnte bald ernst werden. Die Zivis fehlen. Ich überlege, ob es nicht doch Vorteile hätte, einen Behindertenausweis zu beantragen. Einfach nur zu dem Zweck, damit Leute nicht ständig übertriebene Forderungen an mich stellen können. Warum machen sie nicht einen Freiwilligendienst, der wirkliche Perspektiven bietet? Zum Beispiel durch bessere Bezahlung oder indem man gleichzeitig nebenher eine Ausbildung absolviert. Sie bieten den Leuten nichts und beschweren sich dann darüber, dass keiner die schwere Arbeit machen will.
Aber wundert man sich darüber? Nein. Wer von den Schnöseln hat denn schon mal in seinem Leben richtig gearbeitet? Es gibt einige Dinge heutzutage, die ein Politiker meiner Meinung nach mal machen sollte, bevor man ihn auf die Menschheit los lässt. Quasi Erfahrungen, die er/sie machen sollte, um so die Masse der normalen Menschen vor den Gehirnblähungen der verwöhnten Oberschicht zu schützen:
Sich mal auf eines der Flüchtlingsboote setzen und versuchen zu überleben, während sie übers Meer nach Europa flüchten.
Sich das Gesicht braun anmalen und spüren, wie es ist, ständig den Vorurteilen irgendwelcher verkappten Nazis ausgesetzt zu sein.
Wahlweise zum Booterlebnis könnte man auch einige Politiker in eine Asylunterkunft stecken, kurz bevor blöde Nazis diese anzünden.
Ein paar Monate mal die Probleme haben, die ein chronisch kranker Mensch hat, der eigentlich nicht mehr arbeiten kann, dies aber tun muss.
Ein paar Monate richtig körperlich hart arbeiten, zum Beispiel auf der Baustelle, als Altenpfleger, als Erntehelfer oder als Reinigungskraft.
Ein Jahr mit Harz 4 auskommen und sich mit dem Amt herumschlagen. Erleben, was es heißt, wenn man keine Jobvorschläge bekommt. Oder wenn Bewerbungen ständig nur abgelehnt werden. Oder was es heißt, wenn von der Grundsicherung dann noch etwas gestrichen wird, nur weil man nicht so funktioniert, wie es erwünscht ist. Und wenn dann Leute brüllen, Sozialschmarotzer, die eigentlich keine Ahnung haben.
Ich bin sicher, dass das auch nicht helfen würde. Wer etwas nicht verstehen will, der kann es auch nicht verstehen. Jedenfalls gehen mir die Diskussionen zur Zeit extrem auf die Nerven. Ich habe heute etwas mehr Pulver genommen, von dem, was gegen Depression helfen soll. Ich hatte es wieder gespürt, dieses tiefe Gefühl der Sinnlosigkeit und der Frustration. Was nun mehr geholfen hat weiß ich nicht, aber ich denke, zu laufen & das Pulver zu nehmen war die richtige Entscheidung.
Ich habe am 1 August ein mickriges, hässliches kleines Bild gemalt. Ich nenne es Stuhlgang. Das wars. Nichts geschrieben. Nicht mal was gelesen. Ich plane nur, einen Artikel über Arthrose zu schreiben. Angefangen hab ich noch nicht, wenn man die lockere Recherche nicht mit zählt. Kann es wirklich sein, dass ich im Moment nicht mehr schaffe, als die Arbeit und den Sport? Dabei ist es heute gar nicht mehr so heiß gewesen?Vielleicht sollte ich die Gewohnheit mit dem Sport lieber erst mal festigen, bevor ich zu viel andere Dinge auf meinen Plan schreibe? Nicht zu viel auf einmal. Es reicht ja, wenn andere Leute unvernünftige Forderungen an mich stellen. Ich muss das nicht auch noch selber machen.
Ich würde gerne wieder eine Ausbildung machen. Entweder Sporternährung oder Heilpflanzenkunde. Was auch immer, es geht nicht, weil ich immer wieder mein Geld in riskanter Weise unkontrolliert verprasse. Mangelnde Impulskontrolle durch Chemotherapie? Oder durch die Krebserfahrung? Oder durch die Therapieerfahrung? Oder weil ich einfach zu wenig Geld habe, um meine Bedürfnisse zu befriedigen. NEM sind nun mal nicht billig. Ich bin trotzdem froh, dass ich jetzt was hier stehen habe. Es gibt mir das Gefühl, den Schmerzen nicht völlig hilflos ausgeliefert zu sein.
Das Gefühl, einer Sache nicht völlig hilflos ausgesetzt zu sein, ist extrem wichtig. Vielleicht ist es sogar der Sinn des Lebens, sich aus jeglicher Bevormundung herauszuwinden, falsche Informationen und Manipulationen abzuwehren und für sich selbst zu entscheiden. Aber immer wieder rutscht man in etwas hinein, wo es heißt: Du musst dies, Du musst das. Traurig, wenn der einzige Trost im Leben der ist, dass es anderen noch viel schlechter geht. Sehr traurig.