Noch mehr Ideen, die ich nie umsetze?

Brauch ich das? Brauche ich ernsthaft noch mehr Ideen, die ich nie umsetze? Ziele, die ich niemals erreiche? Pläne, mit denen ich nie fertig werde? Ideen hab ich immer mehr als genug, an der Umsetzung mangelt es. Mit meinen Ideen könnte ich vermutlich mehrere Dutzend Leute ein Leben lang beschäftigen. Nur bezahlen könnte ich sie nicht.

Aus meinen Erinnerungen ein Buch zu schreiben wäre witzig. Teilweise hab ich schon ganz schön skurrile Erinnerungen. Die Frau, die bei uns auf dem Dach saß. Der Typ, den ich bei uns im Schuppen einsperren musste. Der andere Typ, der versucht hat, unsere Haustür einzutreten.

Die Schulfreundin, an die sich niemand mehr zu erinnern scheint, obwohl sie mir ständig Sachen geliehen hat. Ja, damals in der Schule hatte ich eine spezielle Freundin. Immer hatte ich irgendwas vergessen. Meine Stifte, meine Hefte oder den Tuschkasten. Und sie hat mir immer etwas von ihren Sachen abgegeben.

Das kam so häufig vor, dass meine Mutter sich gezwungen fühlte, diesem Mädchen einen fetten Stapel Papier zu kaufen, den ich als Wiedergutmachung übergeben sollte. Damals gab es bei uns im Ort noch einen Kloppenburg-Laden. Heute ist dort glaub ich ein Friseur oder ein Klamottenladen. Und von meiner Oma bekam dieses Mädchen einen nagelneuen Tuschkasten. Mit erhobenen Zeigefinger sagte meine Oma mir: “Du weißt für wen das ist und warum!” Ja wusste ich. Komisch. Heute kann sich keiner, den ich frage, an dieses Mädchen erinnern. Als hätte sie nie gelebt. Den Namen hab ich vergessen. Ich denke Maike, aber ich weiß es nicht mit Sicherheit.

Und ich habe eine merkwürdige Erinnerung, von dem Moment, wo wir uns kennen lernten. Sie kam zu uns in die Klasse. Nach einer Weile schaute sie mich an und fragte: “Kennst Du mich nicht mehr?” Sie erklärte mir dann, das wir uns eigentlich schon aus der Grundschule kennen. Ich hatte sie völlig vergessen. Damals waren wir nicht in der selben Klasse, aber oft trafen wir uns vor der Gymnastikhalle und unterhielten uns. Manche Leute würde man gerne wiedertreffen, aber es geht nicht.

Wie kann irgendjemand aber einfach behaupten, dass dies keine echte Erinnerung sei? Ist mir auch passiert. Egal, was ich erinnere, die Leute (teilweise Wildfremde) werden nicht müde, mir immer wieder zu sagen, das sei alles gar nicht wahr. Selbst wenn ich noch gar nichts erzählte habe, da ereifern sie sich schon. Anscheinend ist früher mal irgendetwas passiert, von dem niemand mehr etwas wissen will.

Worüber ich auch ein Buch schreiben könnte, neben dieser ganzen Krebssache: “Was mir alles schon beim Arzt passiert ist!” Aber ich weiß nicht, ob ich darüber schreiben will. Da war eine Ärztin, die in ihrer Praxis “Happy End Massagen” anbot, denen man auch zwangsweise mit Betäubungstee unterzogen wurde. Sie brauchen mich gar nicht nach der Adresse zu fragen. Lesen Sie den ganzen Satz nochmal, dann wird das Ganze weniger witzig. Oder haben Sie das überlesen: “zwangsweise mit Betäubungstee”. Das war in Niebüll. Wo früher die Praxis war, ist jetzt nur noch ein leeres Haus. Und das ist gut so. Von dieser Ärztin habe ich mehrere Spritzen bekommen, ohne dass sie mich wirklich um Erlaubnis fragte oder mich darüber aufklärte, was mir da gespritzt wurde. Jedenfalls nicht vorher.

Und eine andere Ärztin in Kiel fragte mich, ob ich mich auch von ihrer Kollegin behandeln lassen würde, ohne mir zu sagen, dass diese Frau dort gar nicht arbeitet und vielleicht auch gar keine Ärztin war. Sie schmierte mir ein Zeug auf die Genitalien, gegen das ich allergisch und mit Kopfschmerzen reagierte. Auch dort bekam ich merkwürdigen Tee vorher angeboten. Ich bin sehr für Tee, aber es gibt Situationen, bei denen man keinen Tee trinken sollte. Beim Frauenarzt zum Beispiel oder wenn man irgendwo hingeht, wo man die Leute nicht kennt.

Eine Ärztin vereiste meine Warzen an den Händen so gründlich, dass auch die Haut darum herum in Mitleidenschaft gezogen wurde. Ich bin sicher, dass das so nicht gemacht wird. Ich hatte starke Schmerzen dabei und sagte ihr das immer wieder, aber sie sagte nur “Das kann gar nicht wehtun” und machte weiter. Wieder zu Hause hab ich nur noch geheult. Meine Warzen hatte ich danach immer noch.

Und als ich mit den Schmerzen in der Schulter immer wieder zum Arzt ging, meinte der nur: “Nun muss aber auch mal wieder gut sein”, als könnte ich mir das aussuchen, wann es wehtut. Der Arm war nach einer Überlastung lahm und hing nur so herunter. Und der Arzt erklärte mir, dass es ja nicht wehtun könne, wenn der Arm ja gelähmt sei. Der Arm war vielleicht nicht gelähmt, aber definitiv kaputt. Ich glaube, ich konnte ihn drei Wochen nicht bewegen, Schmerzen hatte ich trotzdem sehr große. Es tat höllisch weh. Aber das interessierte nicht. Und der gleiche Arzt gab mir auch zu denken, dass zu häufig verschriebene Krankengymnastik oder ähnliches ja für die Krankenkasse auf die Dauer zu teuer wäre. Damals war ich noch bei der AOK. Inzwischen hab ich die Krankenkasse gewechselt.

Ärzte. Sind alle Ärzte/Ärztinnen blöde Wichser und Pissnelken? Könnte man denken. Aber die Ärztin, bei der ich während der Studiums war, die war gut. Da hab ich mal richtig den Unterschied gemerkt. Ich bin jedenfalls froh, dass ich nach einer langen Zeit ohne Arzt wieder jemanden gefunden habe, auf den ich mich verlassen kann. Ohne Arzt eine Krebstherapie zu machen, das geht auch gar nicht.

Und nein. Ich mache keine Therapie. Ich war immer für Therapien und habe an die Kraft der Psychologie geglaubt. Bis vor Kurzem. Aber auch das ist der letzte Mist. Ich hab das früher alles mehr oder weniger verdrängt. Es fiel mir schwer, all die Widerlichkeiten in Worte zu fassen. Das ist heute zum Teil auch noch so. Ich habe es nicht mal in mein Tagebuch geschrieben. Ich habe nie meine Meinung gesagt und alles still in mich hinein gefressen. Und mir passierte früher ständig etwas. Teilweise dachte ich sogar, ich müsste das mitmachen. Früher, ca. 1997, als ich noch Frischfleisch für all die perversen Wichser war, die sich in dieser Welt herumtreiben und die dann Ärzte oder Genitalchirurgen werden oder so tun als ob.

Und heute wie damals fällt es den Leuten schwer, mir zu glauben, was ich erzähle. Also sitze ich da und warte auf den nächsten Arzttermin und denke mir: “Was passiert als nächstes?” Dass die Frauenärztin ihren Abstrich plötzlich mit einer dicken Bürste macht, statt mit einem Wattestäbchen, wie sonst, ist zwar zu verkraften. Genauso wie die Tatsache, dass der Chirurg beim einsetzen meines Ports vor der Chemotherapie erst mal an der falschen Stelle losschneiden will, wo er ja lustigerweise gar nichts betäubt hat. Ja, ja, lustig. Alles sehr witzig. Für perverse Wichser und blöde Pissnelken ist das alles bestimmt sehr witzig und aufbauend. Aber für mich nicht. Es ist einfach die Masse an Situationen, die ich früher komplett verdrängen musste, um überhaupt einigermaßen normal weiterleben zu können. Und verdrängen bedeutet, dass man große Teile des eigenen Gehirns abschließt und nicht mehr nutzen kann. Das behindert beim Denken ganz enorm. Und so kann man auch nicht glücklich werden. Denn auch wenn man verdrängt, wittert man überall Gefahren. Man muss sich wehren. Endlich. Nur so kann man jemals frei werden.

Aber der Sugergau der Unmenschlichkeit ist dann ja wohl, wenn ich es erzähle und der blöde Therapeuten-Futzi oder wer sich so schimpft, glaubt mir nicht mal das, mit meiner Freundin, die heute keiner mehr kennen will. Was ist los mit den Leuten?

Ich kann nicht zur Therapie gehen. Dazu bin ich geistig und seelisch noch zu gesund. Ich kann perverse Wichser und dumme Pissnelken noch erkennen und identifizieren, wenn sie mir begegnen. Ich hätte viel zu erzählen. Es will aber einfach keiner hören. Schade.

Dann muss ich mich wohl oder übel selbst therapieren. Ich habe verschiedene Bücher hier bei mir herumliegen, die mir dabei helfen könnten. Aber da ich es bisher auch nicht geschafft habe, die durchzuarbeiten, ist das Richtige vielleicht noch nicht dabei. Außerdem ist es zu niederschmetternd, immer wieder an die ganzen Verletzungen erinnert zu werden, die mir durch perverse Wichser und blöde Pissnelken zugefügt worden sind und die mir bescheuerte arrogante und ignorante Therapeuten-Futzis einfach nicht glauben wollen.

“Ich hatte mal eine Schulfreundin, an die sich nun niemand mehr erinnert”

“Stimmt nicht, kann gar nicht sein, hören Sie bloß auf, so einen Mist zu erzählen!”

Und die Sache im Studentenwohnheim oder im Hotel, wo auf der Gemeinschaftstoilette bzw. der Mitarbeitertoilette eine Kamera installiert war, hatte ich da noch gar nicht erzählt.

Therapie für mich kann nur sein, wenn ich endlich meine Ziele erreiche. Die blöden Wichser und Pissnelken werden dann zwar sagen: “Siehste, war ja gar nicht so schlimm, haste ja trotzdem alles geschafft!” aber da muss ich durch. Obwohl ich weiß, dass das wieder der erste blöde Spruch sein wird, den ich von denen hören werde. Ich muss mich trotzdem anstrengen, trotz allem etwas zu schaffen.

Als erstes muss ich sogenannte treibende und hemmende Faktoren identifizieren.

Was hindert mich daran, mein volles Potential auszuschöpfen?

Was treibt mich dazu, es trotzdem immer wieder zu versuchen?

Darüber werde ich mir in den nächsten Tagen mal Gedanken machen. Und dann schreibe ich alles hier auf, hier in mein liebes Tagebuch.