Schreiben oder durchdrehen

Irgendwie habe ich es heute, trotz der unerträglichen Hitze, doch noch geschafft, an meiner Geschichte weiter zu schreiben. Immer geht es Stückchen für Stückchen weiter. Immer, wenn ich gar nicht mehr richtig daran glauben kann, dass es weiter geht, geht es doch noch weiter. Genau wie im richtigen Leben. Alles geht einfach immer weiter und es würde auch ohne mich weiter gehen. So ist der Lauf der Welt.

Interessant war, was ich in der Zeitung gelesen habe. Da ist nach einem Unterwasser-Vulkanausbruch eine riesige Insel aus Bimsstein entstanden. So könnte auf dem Fischmenschen-Planeten auch Landmasse entstehen. Es kommen Flechten und Moose, dann andere Pflanzen, dann Tiere. Es entsteht ein Wald, ein Fluss und ein Gebirge. Die Landmasse wird immer dicker und dichter und bildet zum Schluss einen Kontinent, der die Menschen einlädt, sich darauf eine Siedlung zu bauen, um den zweiten Planeten auszubeuten. Veronikas Welt ist entstanden. Also lebt Melli nicht in der Zukunft, wie sie dachte, sondern in der Vergangenheit.

Eine weitere Meldung, die kein Scherz ist: Indonesien sucht sich eine neue Hauptstadt wegen des Klimawandels. Ich muss dringend mal wieder einen Artikel über Missstände in der Welt schreiben, aber im Moment bin ich einfach zu oft verwirrt, niedergeschlagen und wütend und hab keine Energie, um anständig zu recherchieren. Und ich hatte mir vorgenommen, dass ich erst in meinem Zeitplan sein muss, um zusätzlich Artikel schreiben zu können. Die Anti-Rauch-Artikel warten. Vielleicht ist es noch nicht soweit. Wenn es soweit ist, dann kann ich es auch schreiben.

Ich muss noch mehr in meinem Leben ändern, denn man kann nicht immer darauf warten, dass einer kommt, der Dich dann rettet. Ich muss viel disziplinierter essen. Keine Entgleisungen mehr. Nur noch kontrollierte Ausnahmen. Die meisten Sachen, nach denen ich manchmal so süchtig bin, will ich gar nicht und brauch ich auch gar nicht. Ich nehme das nur, weil es da liegt. Und ich muss mind. 10 kg Gewicht verlieren. Ich muss wieder jeden Tag eine Stunde Gymnastik machen. Das ist das Mindeste, was ich tun muss. Mir ist bewusst, dass ich schon viel mehr richtig mache, als die meisten, aber das reicht eben nicht.

Mir ist egal, was die Ärzte über die Heilbarkeit von Arthrose sagen. Warum erzählen sie einem immerzu, dass es sinnlos ist? Warum diese Entmutigung? Warum wollen sie unbedingt, dass man begreift, dass es keine Heilung gibt? Was weiß man denn schon über Arthrose und Arthritis? Sicher noch lange nicht alles. Man sagt, dass die Zellen im menschlichen Körper sich alle sieben Jahre komplett erneuern. Leider ist es nicht so einfach, aber ganz falsch ist es auch nicht. Eins hab ich gelernt, es ist alles möglich. Was heute noch als “richtig” gilt, darüber machen die Menschen sich morgen schon lustig. So ist es heute mit der Ernährungstherapie und morgen mit der sogenannten Unheilbarkeit.

Zum Thema Ernährung gibt es keine Studien, darum wird nichts mehr empfohlen und einfach gesagt, Ernährung hätte keinen Einfluss. Trotzdem ist das Internet voll von Arthrose-Diäten und Nahrungsergänzungen zum kaufen. Man sagt den Leuten, dass Bewegung das Wichtigste ist, aber so wichtig, dass es einem verschrieben wird, ist es dann doch nicht. Man muss es alleine zu Hause machen. Man muss sich aufraffen. Sagen Mediziner, die dann wahrscheinlich erst mal eine rauchen oder Schnitzel essen gehen. Ich bin das schon so von der Chemo und dem ganzen Mist gewohnt, etwas passiv vorgesetzt und eingeflößt zu bekommen und dass Dinge mit mir passieren, die ich zum größten Teil nicht beeinflussen oder mitbestimmen kann, dass ich das Wichtigste vergesse: Eigeninitiative. Ich muss endlich wieder von den Ärzten und dem “System” unabhängig werden. Das System ist am schlimmsten. Dieses Scheiß-System. Immer ist Geld wichtiger, als Gesundheit oder Menschlichkeit oder logisches Denken.

Also im Moment hab ich die Wahl zwischen Schreiben oder Wahnsinn. Und ich nehme das Schreiben, weil ich den Wahnsinn nicht brauche.

Minenarbeit und Wiedergutmachung

Veronika und Noona gingen am nächsten Tag mit Veronikas Vater in die Mine. Es war eine Silbermine, in der auch ab und zu wertvolle Kristalle abgebaut wurden. In der Mine war es dunkel und feucht. Der Stollen reichte tief in den Berg hinein und führte sehr steil nach unten. Es war sehr gefährlich, hier ohne Sicherheitsseil zu laufen.
Ihr Vater zeigte ihr, wie man in der Mine arbeitete. Den Felsen mit Wasser aus den zahlreichen unterirdischen Wasserstellen säubern, dafür stand ein Holzkübel bereit, dann mit der Laterne nach Adern suchen, dann mit der Spitzhacke neben der Ader anfangen, das Gestein herauszuschlagen. So lange, bis man einen Brocken des wertvollen Metalls oder einen Kristall herausschlagen konnte. Dann damit in den Minenwagen, nochmal mit Wasser aus dem Kübel übergießen, die Stücke wurden gewogen und es wurde notiert, wer sie herausgeschlagen hatte, denn danach richtete sich die Bezahlung.
Veronika versuchte es am Eingang der Mine und konnte ein winziges Stück Silber aus dem Felsen schlagen. Es machte ihr Spaß. Sie schien ein Naturtalent darin zu sein, auch noch das kleinste Stück Silber oder den kleinsten Kristall im Felsen zu entdecken. Sie hätte Adleraugen, lobte ihr Vater sie. Dieses Lob machte Veronika unglaublich stolz, denn Lob kannte sie nicht.
Noona berührte die Felswand kurz, doch die Feuchtigkeit führte dazu, dass ihre Schwimmhäute zwischen den Fingern wieder sichtbar wurden. Sie beobachtete sehr genau, was Veronika tat, hielt sich aber im Hintergrund.
Als Veronika fertig war, wollte sie unbedingt tiefer in die Mine. Das war ihre Bestimmung, das wusste sie nun. Sie wollte für immer mit ihrem Vater in der Mine arbeiten. Sie würde ihm helfen mit ihrem Talent, sie würden steinreiche und angesehene Bürger werden, sie würden sich zusammen ein Haus kaufen und ein großes Stück Land, vielleicht eine Schweinefarm, auf der die Schweine nicht zu Trockenfleisch verarbeitet wurden und dort glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage leben. Zusammen. Und alles, was davor passiert war, wäre nur noch eine undeutliche Erinnerung, die mit der Zeit immer mehr verblassen würde, wie ein böser Traum.
In der Mine war es kälter, als an der Oberfläche, aber die Arbeit war anstrengend, darum schwitzte man trotzdem. Veronika bemerkte, dass Noonas Augen im Dunkeln leuchteten. Auch die Farbe ihrer Haut änderte sich wieder, zumindest sah es im Schein der Laterne so aus. Sie wurde blassblau, fast weiß, darum war sie im Dunkeln auch so gut zu sehen. Ihre Haut wurde von der Luftfeuchtigkeit wieder etwas schuppiger und glänzte im Schein der Laterne geheimnisvoll.
Veronika war euphorisch. Sie rief: „Ich werde den größten Kristall der Welt für dich finden, Vater! Dann werden wir so reich wie Könige sein und jeder wird uns bewundern!“
Ihr Vater schaute sie an und zurrte das Sicherheitsseil noch etwas fester: „Bitte konzentriere dich auf deine Arbeit, Veronika. Es ist gefährlich. Eine Sekunde Unaufmerksamkeit und du kannst tot sein! Also pass bitte auf, ich will dich nicht schon wieder verlieren. Und höre auf zu träumen. Wenn wir wirklich eines Tages einen so großen Kristall finden würden, dann würden Horden von Gaunern uns für den Rest unseres Lebens jagen und niemand hätte das Geld, ihn uns abzukaufen.“
Veronika schaute traurig und verwundert ihren neuen Vater an. So war es also, jemanden zu haben, der sich wirklich Sorgen um sie machte. Das war ungewohnt. Dinge und Zusammenhänge erklärt zu bekommen. Es war eine ganz neue Erfahrung, die sie erst mal verarbeiten musste.
„Dann finde ich einen kleineren für Dich!“, sagte sie schließlich. Dann drehte sie sich um und goss den ersten Kübel Wasser gegen die Felswand. Noona schaute ihre neue Freundin an und lächelte. Sie verstand, dass Veronika ihrem neuen Vater gefallen wollte. Alle Noonas fühlten so im Hinblick auf ihren mächtigen, lebensspendenden König, denn er hatte sie erschaffen. Und nach allem, was sie über die Menschen wusste, hatte Veronikas Vater sie auch erschaffen. Zusammen mit einer schlechten Frau.
*
Während dessen taumelte Pepe Gunnar alias Veronikas Stiefvater, Rudolf Schauer, verletzt durch den Wald. Irgendwann hatte das Unterbewusstsein des Körpers, in dem er war, die Hütte erreicht. Hier wohnte Rudolfs Frau. Hier vermutete Pepe die Truhe mit dem vielen Gold. Irgendwo neu anfangen, dachte er. Eine echte Zeitmaschine bauen. Das wäre es. Aber er sah auch die Erinnerungen und wusste, dass sie ihn gerade abgrundtief hasste und auf ihn geschossen hatte. Was nun? Er sah sich um. An einer Stelle im Garten unter einem Baum war die Erde aufgewühlt. Die Sonne ging unter. Er würde auf die Dunkelheit der Nacht warten und dann nach der Truhe graben.

Doch sie hatte ihn schon lange gesehen. Aufgebracht kam sie mit einem Gewehr in der Hand nach draußen gerannt und brüllte:
„Du Schuft! Lebst du immer noch? Verschwinde! Ich will dich nicht mehr sehen!“
Und sie zielte auf ihn. Die Kugeln flogen ihm um die Ohren. Mit dem geschienten Bein konnte er schlecht ausweichen. Mit seinen letzten Atemzügen versuchte er noch, den Schatz auszugraben. Dann starb er. Rudolf Schauer starb. Anstatt wieder bei Nuvet Stuts in der Zwischenwelt zu landen, landete Pepe Gunnar in einem sterbenden Tier. Es war ein Wolf, der in einer Falle elendig verrecken musste. Pepe Gunnar hatte noch nie so starke Schmerzen gefühlt, wie dieses Tier. Seine Arthrose war dagegen ein Spaziergang gewesen. Eine Metallstange hatte sich durch die Vorderpfote gebohrt und so sehr er es auch versuchte, er konnte sich nicht befreien. Die Verletzung war nicht groß genug, um schnell zu sterben. Er würde langsam und elendig zu Grunde gehen.
*
Inzwischen war Zenobius in das Dorf unterwegs. Doch bald schon irritierte ihn etwas. Die Wölfin fing an, etwas zu wittern, und schaute sich ständig ängstlich um. Das machte auch ihn unruhig, denn Tiere können Feinde immer früher entdecken, als Menschen. Dann ging alles sehr schnell. Eine Gruppe Männer kreiste ihn ein. Es waren Bergmenschen. Es waren genau die Männer, die Katharina das angetan hatten! Und nun konnte er nicht mehr wegrennen. Er musste sich ihnen stellen. Er entschied sich, keine Angst zu zeigen. Mit geradem Rücken und fester Stimme fragte er den, den er für den Anführer hielt:
„Was wollt ihr von mir? Ich bin ein Reisender Händler und auf dem Weg in die Stadt. Ich habe keine Zeit.“
„So, so, ein reisender Händler. Schau an.“
Offenbar lag Zenobius mit seiner Vermutung richtig, dass der angesprochene der Anführer war. Die anderen trauten sich nicht, etwas zu sagen und gaben ihm in allem Recht. Wenn er sprach, nickten sie nur blöd. Menschen. Können sie überhaupt selbständig denken, ertappte Zenobius sich dabei, die zu kritisieren, zu denen er vor einiger Zeit noch hatte gehören wollen.
„Wo sind denn deine Waren?“, fragte der Anführer.
„Nun, das meiste habe ich in der Stadt. Ich habe dort etwas zu erledigen, baue aber gerne meinen Marktstand auf, wenn ich damit fertig bin, dann verkaufe ich euch, was immer ihr euch leisten könnt.“
Die letzte Bemerkung empfand der Gauner als Beleidigung. Etwas in seinen Augen wurde wild und er holte eine spitze Eisenstange hervor, mit der er anfing, wild herumzufuchteln.
„Ich kann mir alles leisten, was ich will, weißt Du warum?“
Zenobius schluckte. Langsam wurde er nervös. Er sah auf die Wölfin herunter. Als das Wildschwein kam, hatte sie ihn gerettet. Aber nun kauerte sie da wie ein Häufchen Elend und zitterte vor Angst. Der Gauner redete weiter, als Zenobius in nur anstarrte.
„Weil, wenn ich es mir nicht leisten kann, dann nehme ich es mir einfach!“
Die anderen lachten gierig und man konnte das Böse in ihren Augen sehen. Da war ein Verlangen, andere zu quälen und ihnen Schmerzen zuzufügen.
„Wie gesagt, ich habe nichts dabei“, antwortete Zenobius so ruhig wie möglich.
Der Gauner fuchtelte immer noch mit seiner Eisenstange herum. Dann starrte die Wölfin eindringlich an, die unter seinem scharfen Blick noch mehr in sich zusammen sank und leise zu wimmern anfing.
„Was willst du mit dem Wolf? Warum lebt er noch?“ Fragte er feindselig, „Ich glaube, ich werde dir das kostbare Fell abkaufen. Wo es doch das Einzige von Wert ist, was du dabei hast. Und ich bezahle dafür, … sagen wir mal …, nichts. Und die Arbeit, das schlachten, das ausnehmen, zerlegen und häuten, alles das wirst du auch noch für mich erledigen. Trockenfleisch aus Wolf, ist nämlich mein Leibgericht“, kündigte er feindselig an.
Zenobius überlegte, ob er die Wölfin opfern sollte, um selbst davon zu kommen. Aber das hatte er schon einmal gemacht, mit Katharina, seiner Schutzbefohlenen. Dieses Mal würde er standhaft bleiben. Wenn er bloß ein paar Zaubersprüche beherrschen würde, aus den Büchern der alten Seherin. Wenn sie bloß hier wäre mit ihrer verdammten Harpyie. Aber er war allein. Jetzt begriff er, dass er ohne sein Volk, ohne Frauen und ohne Gemeinschaft, nur ein armer Tropf war. Er war hilflos und schutzlos. Er war unvorbereitet, dabei kannte er diese Kerle schon. Er musste Zeit gewinnen. Er musste seine Elfenkräfte einsetzen. Er hatte einen Punkt erreicht, an dem er kein Mensch mehr sein wollte.
„Ihr könnt die Wölfin nicht haben“, sagte er ruhig und bestimmt, „sie ist ein Geschenk für eine Freundin, die Tiere über alles liebt. Sie ist krank. Sie liegt vielleicht im Sterben, weil eine Gruppe Halunken, so wie ihr es seid, sie überfallen und fast bei lebendigem Leib verbrannt haben.“
Die Gauner wurden eine Sekunde unsicher und schauten einander an. Dann starrten alle zu dem Anführer und warteten auf seine Reaktion. Zenobius begriff, dass er etwas gegen diesen Kerl unternehmen musste, denn er war der Anführer. Ohne ihn waren sie anderen nur feige Hühner und würden sich verziehen.
„Wieso sind Elfen deine Freunde?“, fragte der Anführer nun. Damit hatte er Zenobius das bestätigt, was er ohnehin schon wusste. Sie waren es. Er hatte sie zwar nur aus den Augenwinkeln gesehen, weil er so schnell weggerannt war, aber nun konnte er sich sicher sein. Diesmal würde die Wölfin ihm nicht helfen. Er hatte gleich doppelt eine Schuld zu begleichen. Für die Wölfin, für Katharina.
„Elfin?“, fragte er verwundert, „sieh mal an, das habe ich gar nicht gemerkt!“
„Du hast es nicht gemerkt, hast du nicht ihre Ohren gesehen?“
„Nein, was war damit?“
„Sie waren spitz! Nicht menschlich! Abartig anders!“
„Dann ist es ja gut, dass ihr sie fast getötet habt, oder?“
Stille.
„Ja, sicher“, murmelte der Anführer. Er wusste nicht mehr, was er von Zenobius halten sollte. Er vertraute ihm nicht.
„Also, wenn du auf unserer Seite stehst, dann las uns nun den Wolf schlachten. Du brauchst ihn dann nicht mehr für diese Elfin, denn sie ist nicht mehr deine Freundin, stimmts? Und wir haben echt Hunger!“
„Warum sagt ihr das nicht gleich“, antwortete Zenobius freundlich, „Macht schon mal ein Lagerfeuer. Ich bereite das Essen vor.“
Zufrieden und voller Vorfreude gingen die vier Feuerholz sammeln. Die Wölfin schaute Zenobius mit traurigen Augen an. Das ging so tief in sein Herz, dass er fast weinen musste. Natürlich wollte er sie nicht schlachten. Er hatte schon viele Wölfe getötet, aber diese Wölfin hier, der würde er niemals etwas antun können. Er nahm seinen Proviant aus seiner Tasche, Trockenfleisch vom Schwein, und weichte sie Stücke in einem Topf mit Wasser ein. Dann brachte er die Wölfin in ein Gebüsch, wo er sie festband. Sie musste aus dem Weg.
Er beugte sich zu ihr herunter und schaute ihr in die traurigen Augen. „Du musst jetzt ganz still sein, sonst klappt mein Plan nicht. Keine Angst, ich werde dich nicht im Stich lassen, wie damals Katharina. Diesmal werden diese Kerle nicht davon kommen.“
Nun suchte er hastig in den verbliebenen Zauberbüchern nach dem passenden Zauberspruch.
„Fleisch und Blut, das schmeckt gut“, las er. Und augenblicklich wurde aus dem Trockenfleisch mehrere große Batzen rohes Fleisch, das insgesamt wie geschlachteter Wolf aussah. Es fehlte noch das Fell.
„Dunkel und Hell, her mit dem Fell!“
Das war es. Das gezauberte Fell sah sogar noch wertvoller aus, als das Original. Nun noch einen Spruch, um sie unschädlich zu machen. Doch da kamen sie schon aus dem Wald zurück mit einem Haufen Reisig und bereiteten alles für ein Lagerfeuer vor.
Eine halbe Stunde später saßen sie zufrieden am Feuer, als wären sie alte Freunde. Zenobius sah zufrieden zu, wie sie das verzauberte Fleisch aßen. Unbemerkt hatte er noch eine geheime Zutat hinzugefügt. Dafür hatte er noch nicht mal Zauberei gebraucht. Es war etwas, was er immer in seinem Rucksack dabei hatte. Ein Pfeilgift.
Zenobius wollte nun Zeit gewinnen. Er musste nur warten, bis das Gift wirkte.
„Wenn ich es mir recht überlege“, sagte er, „habe ich doch noch etwas, was ich euch verkaufen kann“.
Er kramte eines der Zauberbücher hervor.
„Wir machen uns nichts aus Büchern“, sagte der Anführer und die anderen lachten wild.
Einer von ihnen wurde übermütig und traute sich zu sagen: „Er kann nicht mal lesen!“ und deutete auf ihren Anführer, der unbeirrt weiter an seinem vergifteten Zauberfleisch aß.
„Das habe ich mir schon gedacht. Aber das sind besondere Bücher. Es sind Zauberbücher.“
Er sah an ihren Gesichtern, dass sie gar nicht wussten, was Zauberei eigentlich ist.
„Wisst ihr, was das ist?“
Wie erwartet schüttelten sie alle schmatzend mit dem Kopf. Der Anführer schaute einen Augenblick auf, löste sich von seiner saftigen Keule und sagte schmatzend: „Ich habe schon viele deswegen umgebracht, aber was es ist, weiß ich nicht genau. Es ist unmenschlich, es ist nicht normal. Eines steht fest: Elfen tun es andauernd und dafür müssen sie sterben. Ihr Fleisch schmeckt fast genauso lecker wie Wolfsfleisch, vermutlich weil sie Tiere sind!“
Die anderen lachten daraufhin so heftig, dass sie sich verschluckten. Fleischbrocken flogen in das Feuer.
Als Zenobius sie ansah und hörte, was sie sagten, wurde ihm übel. Man konnte nicht mal sagen, dass diese Rüpel wie wilde Tiere waren, denn das stimmte nicht. Tiere verhielten sich nicht so. Sie hatten Spaß am Töten und daran, Lebewesen Schmerzen zuzufügen. Und er hatte Katharina mit ihnen allein gelassen. Es war ein Wunder, dass sie überhaupt noch lebte.
Der Anführer gähnte bald darauf. Das Gift fing an zu wirken. Zenobius machte sich bereit. Er holte ein Seil aus dem Rucksack. Die Vier Gauner saßen kurz darauf mit offenen Mündern da und konnte nicht mehr kauen. Das Gift hatte sie gelähmt. Einer von ihnen drohte an dem Fleisch zu ersticken, also schlug Zenobius ihm heftig auf den Hinterkopf, so dass das Stück Fleisch heraus fiel. Dann fesselte er sie aneinander. Der Anführer starrte ihn erschrocken mit weit aufgerissenen Augen an.
„Weißt du, was passiert ist?“, fragte Zenobius ihn. Er konnte gerade noch leicht mit dem Kopf schütteln, dann war er vollständig gelähmt.
„Ich erzähle euch jetzt eine Geschichte. Es war einmal ein junger Elfenmann. Er fürchtete sich vor seiner eigene Kultur und rannte von zu Hause weg, weil er sich mit seinem Vater gestritten hatte. Um sich in der Welt der Menschen besser verstecken zu können, schnitt er sich die Spitzen seiner Ohren ab.“
Zenobius machte eine Pause und nahm seine Mütze ab. Er zeigte den Vieren seine Narben. Dann sprach er weiter.
„Weil er wusste, dass er viel länger leben würde, als das Volk, bei dem er sich versteckte, wanderte er zwischen den Orten hin und her, sodass niemand Verdacht schöpfte. Der junge Mann wurde also Jäger und Händler und sammelte einen bescheidenen Reichtum an. Aber nie soviel, dass er zufrieden war. Nie soviel, dass es reichte, um mit dem Töten aufzuhören oder nach Hause zurück zu gehen. Bis er irgendwann begriff, dass er sich in etwas verwandelt hatte, was er noch mehr fürchten musste, als seine eigene Kultur. Er hatte sich in etwas wie euch verwandelt.“
Der Anführer versuchte, etwas zu sagen, aber Zenobius verstand es nicht und es war ihm auch egal.
„Ich bin selber nicht ohne Schuld“, erklärte er weiter, „aber besser als ihr bin ich trotzdem. Denn ihr seit sogar zwischen den schlechtesten aller Menschen noch der absolute Abschaum.“
Wütend spazierte er um die vier Gauner herum und schaute sie zornig an. Insgeheim wollte er sie alle samt ins Feuer werfen, denn das hatten sie verdient. Aber das war sein neues Ich und darum konnte er es einfach nicht. Er konnte nicht sein neues Leben mit einem Mord beginnen! Er hatte Tiere getötet, aber Menschen töten war noch einmal etwas anderes, auch wenn es um diese vier wirklich nicht schade war.
„Keine Angst, ich werde euch nicht töten. Ich werde jetzt in meinem Zauberbuch herumblättern und solange suchen, bis ich die richtige Strafe für euch gefunden habe. Übrigens, mein Wolf liegt da drüben im Gebüsch. Dann dürft ihr euch mal fragen, was ihr gegessen habt!“
Einer der Gauner fing nun an, das Essen wieder hoch zu würgen.
„Wie undankbar“, spottete Zenobius und schlug ihm ebenfalls heftig auf den Hinterkopf, so dass die halb zerkauten Fleischstücke herausfielen. Dann setzte er sich wieder und suchte weiter nach dem passenden Zauberspruch. Die Wölfin war aus ihrem Versteck gekommen und setzte sich zu ihm. Hatte er vergessen, sie anzubinden? Warum war sie nicht einfach fortgelaufen? Dann endlich fand er einen passenden Zauberspruch, verwandelte sie vier in winzig kleine Mistkäfer und machte sich wieder auf den Weg. Diesmal lief die Wölfin freiwillig hinter ihm her.