Uralte Sachen

Meine erste Geschichte hab ich mit der grünen Schreibmaschine geschrieben, die ich von meinem älteren Bruder habe. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie viele Schmerzen an den Fingern dieses Teil mir verursacht hat, wenn ich mal wieder an den Tasten vorbei gerutscht bin. Ich kann das Zehn-Finger-System immer noch nicht. Ich habe mein eigenes. Ich hab die Maschine auch nicht bedient wie ein Klavier, sondern eher mit den Finger die Buchstaben auf das Papier gehackt. Es ging ja mit diesen alten Teilen auch gar nicht anders. Trotzdem habe ich einige Stapel Papier auf diese Weise durchgebracht. Später kaufte ich mir erst mal eine elektrische Schreibmaschine, speicherte alles auf Disketten. Ja, Kinderchen. Früher, als ich jung war, da gab es noch Disketten. Wenn ich darüber nachdenke, wie einfach heute das Schreiben mit dem PC ist, dann war ich schon früher ganz schön hartnäckig.

Jedenfalls, wenn ich mal wieder denke, dass ich in meinem Leben nichts, aber auch so rein gar nichts geschafft habe, dann sollte ich in alten Sachen stöbern. Ich könnte überrascht sein, wie viele Texte ich schon geschrieben habe, ob die nun fertig sind oder nicht, ist ja erst mal ohne Bedeutung. Ich habs wenigstens immer wieder versucht. Jedenfalls als ich jung war. Dann hab ich wie gesagt aufgehört. Ich hab alles beiseite gelegt und höchstens mal Tagebuch geschrieben. Ich hab gearbeitet, hab gedacht, ich sollte vielleicht doch lieber Kunst studieren, hab das dann auch nicht geschafft, bis ich dann Ökotrophologin geworden bin.

Das ist auch ein blöder Job, weil zumindest zu der Zeit keiner wusste, was das ist und auch die Ökotrophologen selbst wissen manchmal nicht, wozu sie eigentlich auf dieser Welt sind. Schließlich gibt es Ernährungsmediziner und Diätassistenten, Diätköche und Psychologen. Mit diesen vier Berufen kann man alles abdecken, was eine Ökotrophologin im Bereich der Ernährungsberatung so tun könnte. Heute übernehmen auch Fitnesstrainer und Mentaltrainer ein Teil dieser Aufgaben. Aber Ökotrophologie ist als Studienfach keinesfalls aus der Mode. Im Gegenteil. Jetzt, wo immer mehr Männer das studieren mit Bachelor und Master, da hat auch endlich mal einer Erfolg damit.

Meine erste Geschichte müsste ich kurz nach meiner Konfirmation geschrieben haben. Ich kann mich noch gut daran erinnern. Heute frage ich mich, wie wir damals so viele Menschen in unser Wohnzimmer bekommen haben. Die Luft hab ich als verraucht in Erinnerung. Meine Eltern haben es Jahrelang nicht geschafft, mal Besuchern das Rauchen zu verbieten. Aber nicht nur meine Eltern. Auch der Regierung war es egal, dass Kinder zu Hause vollgeraucht werden. Das ist ja heute sogar noch so. Jedenfalls kann ich mich nicht mehr daran erinnern, ob einer wirklich geraucht hat, nur die Luft war trüb, das weiß ich noch. Ich hatte einen kurzen schwarzen Rock an, der mir überhaupt nicht stand, eine gelbe Bluse und eine schwarze Jacke mit Bündchen an den Handgelenken, die beim Waschen eingelaufen waren und mir die Pulsadern zuschnürten. Meine Haare, das ist das Witzige an der Geschichte, waren so wie jetzt. Nur damals war es Dauerwelle und heute ist es Chemowelle.

Meine erste Geschichte handelt von der Hausarbeit, die ich damals gehasst habe. Ich habe sie gehasst, weil ich fand, dass es alles ungerecht verteilt war. Selbst heute ist es ja noch so. Frauen sind überwiegend die, die für die Kinder zuständig sind und die putzen und kochen. Und Frauen werden immer noch für ihre Arbeit weniger beachtet, weniger gelobt, weniger bezahlt. Wenn ein Mann das macht, dann wird er in den Himmel gelobt. Bei einer Frau wird nur kritisiert, wie sie es macht. Die Geschichte ist sehr merkwürdig. Ich habe mal versucht, sie zu überarbeiten, es aber nicht geschafft. Ich habe damals Schachtelsätze geschrieben. Wer sie lesen will, kann das hier tun.

Erste Geschichte

Auch meine zweite Aufgabe hab ich erfüllt. Das zweite Bild. Diesmal habe ich “automatische Korrektur” gemacht. Dadurch, dass der Kontrast dadurch größer wird, verfälschen die Farben etwas, aber egal. Darauf kommt es nicht an. Es kommt darauf an, was das Bild für mich bedeutet.

Einfach nur ein Gesicht, ein Kopf oder was? Ich habe leichte Kopfschmerzen. Es ist so ein Ziehen. Meine Nasennebenhöhlen sind mal wieder etwas entzündet. Etwas Halsschmerzen habe ich seit ein paar Wochen. Ich hatte mir auch den Halsmuskel irgendwie verrenkt. Das Blaue ist mein Gehirn, das Kuhscheißgrüne sind meine Nebenhöhlen und das Grüne unten ist mein Hals. Eine Schmerzlandkarte. Die Lippen sind zusammengepresst. Der Kopf ist Körperlos und scheint wie ein Ballon durch die Gegend zu fliegen. Der Blick ist starr nach vorne. Irgendwie unbeteiligt. Leer.

Was das bedeutet? Es geht mir mal wieder nicht so gut, nach einer ultra kurzen Pause. Ich hab den Sport seit zwei Wochen vernachlässigt, mache nur noch den Rehasport, also das, was ich muss. Einmal war ich mit dem Hund los. Wenn es öfter war, dann ist es so lange her, dass ich es inzwischen vergessen habe. Es wird kalt und ungemütlich draußen. Kleine Zweige mit Blättern waren vom Ahornbaum abgerissen worden und lagen auf dem Hof. Bei so einem Wetter arbeiten zu müssen oder überhaupt aus dem Haus zu müssen, ist schrecklich. Der Wind ist kalt und kräftig und pustet einen durch die Gegend. Der Wind macht in einigen Wohnungen, die wir putzen auch ganz merkwürdige Geräusche. Wie in diesen Billigfilmen von Naturkatastrophen. In solchen Wohnungen haben die vermutlich ihren Sound aufgenommen.

Vor einiger Zeit hab ich mir Achtsamkeitskarten gekauft. Jetzt liegt eine vor mir, die ich mir ausgesucht habe. “Do less with more focus” steht darauf. Also weniger machen, aber sich dafür richtig darauf konzentrieren. Da ich zur Zeit in einer emotionalen Krise zu stecken scheine (mal wieder, wen wundert es), werde ich mich wohl die nächste Zeit mit dem Expressiven Schreiben über Wasser halten. Ich hab das Buch zu wenig verwendet. Dabei ist es wichtig, eine “kohärente Geschichte zu schreiben”, steht dort. Das bedeutet, dass nur ich allein entscheide, ob meine Geschichte sinnvoll und schlüssig ist. Sie muss für mich sinnvoll und schlüssig sein, nicht für andere Leute. Die Teilnehmer

“mussten das Gefühl haben, dass sie mit dem Schreiben eine gewisse Ordnung in ihre traumatischen Erlebnisse brachten, die sie zunächst meist als sinnloses oder chaotisches Ereignis empfunden hatten.”

Leute suchen den Sinn in ihrem Trauma. Warum ihnen das passiert ist. Das tun sie automatisch, weil sie denken, wenn sie es nur genau verstehen können, warum das passiert sei, dann könnten sie es in Zukunft vielleicht vermeiden.

Es wird weiter erklärt, dass man nach dem Schreiben für ein bis zwei Stunden betroffen, traurig und erschüttert sein kann. Ich kann das bestätigen, sonst hätte ich das in der Vergangenheit wohl öfter mal gemacht. Direkt nach dem Ereignis ist man so verwirrt, dass man nicht darüber schreiben kann / sollte.

Allerdings führt die Bearbeitung eines alten Traumas langfristig durch expressives Schreiben zu einem Gefühl der Erleichterung. Man fühlt sich freier, kann besser Denken, Reden und Zuhören und sich besser konzentrieren und die Laune ist auch besser. Das Ausdrücken der eigenen Gefühle ist dabei ausschlaggebend. Also wenn einige Leute sagen, dass man beim bearbeiten eines Traumas keine Kraftausdrücke verwenden sollte, dann grenzt das den Ausdruck der Gefühle schon wieder ein. Wut äußert sich hauptsächlich durch Kraftausdrücke. Wobei Wut noch das Leichteste ist, was man fühlen kann.

Aber gefährlich ist es auch, sich damit zu beschäftigen:

“Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass die Konfrontation mit dem Trauma zu einem Kontrollverlust und im schlimmsten Fall zu einer Psychose führt.”

Darum sollte man jemanden, der sein eigenes Trauma vergessen hat, auch nicht einfach so daran erinnern oder ihn zwingen, sich damit zu konfrontieren. Vergessen ist ein Selbstschutz, damit man normal weiter leben kann. Natürlich ist es manchmal wichtig, sich zu erinnern. Weiß man nicht, woher die Gefahr kommt, weil man alles vergessen hat, dann kann man sich auch nicht schützen. Man könnte ahnungslos wieder in die gleiche Gefahr laufen. Aber expressives Schreiben verhindert das. Und normalerweise die Menschen, mit denen man zusammenlebt.

Dazu braucht man keine Leute, die einen chaotisch anbrüllen, die Lügen und Wahrheit durcheinander brüllen und einen beschwören, man möge das doch glauben. Nein, so etwas braucht man nicht. Manchmal sind (gut gemeinte?) Hilfestellungen eben auch schädlich. Es gibt bestimmt Techniken, wie man Vergessenes auf Biegen und Brechen wieder an die Oberfläche bekommt, aber es ist ohnehin nicht mehr im Originalzustand. Das Gehirn kann Sachen nur abspeichern, in dem es die einzelnen Elemente mit schon vorhandenen Gedächtnisinhalten verknüpft. Jedenfalls wenn jemand Lügen brüllt, während sich jemand anders gerade versucht zu erinnern, dann ist das nicht besonders hilfreich und vielleicht auch gar nicht so gemeint.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass der Vorgang des Erinnerns wie ein erlerntes Programm funktionieren kann, das einen psychisch fertig machen kann. Warum? Man erlebt das Ganze emotional noch einmal, fühlt sich genauso, erwartet ängstlich, dass jederzeit das Gleiche noch einmal passieren kann. Erinnern als Gehirnwäsche. Wenn alles zu belastend wird, kann es sein, dass man es wieder vergisst. Dann beginnt alles von vorne, weil man spürt, dass man etwas vergessen hat und man versucht sich wieder zum erinnern zu zwingen. Das hat alles keinen Sinn. Es ist schädlich. Man muss sich davon lösen können.

Die eigene Seele ist kein Kriminalstück oder Schlachtfeld, auf dem es den Täter zu finden oder einen Krieg zu gewinnen gibt. Man muss loslassen können. Man kann nicht jedes Rätsel lösen, nicht jeden Kampf gewinnen und nicht immer muss man alles bis zum letzten Akt durchspielen. Auch ohne Erinnerungen oder mit kaputten Erinnerungen kann man sich auf die Gegenwart konzentrieren und schauen, wer es gut mit einem meint und wer nicht. Die Leute können vielleicht Deine Erinnerungen verändern, aber in den allermeisten Fällen bleiben es immer die gleichen Scheißkerle/ Schlampen, weil sie nur gelernt haben, andere zu manipulieren, aber nicht, wie sie endlich mal etwas bei sich selbst in Ordnung bringen können.

Erinnerungen sind unser Leben. Wenn dieser Moment vorbei ist, dann bleibt nur die Erinnerung. Und davon gibt es so viele, dass es unmöglich ist, sich an alles gleichzeitig zu erinnern. Man erinnert sich falsch. Manchmal irrt man sich, Dinge sind falsch abgespeichert oder kommen falsch wieder heraus. Man baut die Inhalte manchmal so um, dass sie einem besser gefallen. Man erinnert sich an Lügen anderer Leute oder Dinge, die man nur gehört, aber gar nicht selbst erlebt hat. Man lässt Inhalte unter den Teppich fallen, weil man sie zu schmerzhaft findet und sich davor schützen will.

Erinnerungen sind ein großes Meer voller wilder Wellen. Darauf schwimmt ein Boot. Das ist unser Bewusstsein. Das Bewusstsein sieht immer nur einen winzigen Teil unserer Erinnerungen. Das Gehirn ist ein Wunderwerk der Natur, dessen Funktion niemand in Frage stellen sollte. Alles funktioniert so, wie es soll. Besser, als jeder Computer. Man kann nicht alles kontrollieren und das muss man auch nicht.

Es bedeutet nicht, dass alles falsch ist oder dass es keine Wahrheit mehr gibt. Es bedeutet auch nicht, dass es egal ist, was früher passiert ist. Es gibt Fakten. Auch wenn einiges falsch abgespeichert wurde, so kann man es anhand dieser Fakten wieder rekonstruieren, wenn man muss. Anderes bleibt für immer verborgen. Aber ich glaube, dass man sich immer an das erinnert, was man ertragen kann und auch an die Inhalte, die man gerade benötigt. Wenn man es laufen lässt und nichts forciert wird. Wasser muss fließen können. Genauso Erinnerungen.

 

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