Warum es so schwer ist, mit etwas anzufangen?

Ich habe mich dabei ertappt, wie ich anderen Leuten gute Ratschläge erteile, die ich selbst nicht einhalte.

Zum Beispiel: “Mach doch mal Sport. Es tut gut. Wann willst Du eigentlich anfangen, etwas für Deine Gesundheit zu tun?”

Ich selbst mache derweil nur das aller Nötigste, meine Arbeit und den Rehasport, also nur das, was ich wirklich muss. All die Dinge, die ich mir vorgenommen habe zu tun, liegen auf der langen Bank. Mein(e) Roman(e) zum Beispiel. Ich warte damit immer, bis ich wirklich müde bin und kaum noch etwas hinkriege. Wenn ich an all die Recherche denke, die ich zum Thema Passivrauchen noch machen wollte! Warum kann ich das nicht einfach mal machen, anstatt TV zu schauen oder PC Spiele zu spielen? Das neu eingerichtete Sportzimmer steht leer. Weder ich noch meine Eltern benutzen es. Nur in der ersten Euphorie, als es neu war, habe ich es benutzt. Mit dem Hund bin ich heute wieder nicht gelaufen, obwohl die Sonne schien. Die ganzen Bücher, die ich lesen wollte. Immerhin hab ich es geschafft, meine Wäsche zu waschen.

Warum ist das so? Was ist die Ursache von solch einem Aufschiebeverhalten, auch genannt Prokrastination? Da ich mir vorgenommen habe, mir solche Fragen immer gleich zu beantworten, hilft vielleicht auch hier eine schnelle Internetrecherche. Zu dem Thema finden sich extrem viele Informationen. Ich bin also nicht alleine damit.

Bei Michael Lindner finde ich vier Punkte, basierend auf zwei Studien, warum aufgeschoben wird:

1.) Was ich schon fast gedacht habe: Mangelnde Impulskontrolle. Irgendwie habe ich über die Zeit meine zähneknirschende Selbstkontrolle verloren. Ich hab meine Willenskraft verloren ans Kuchen essen, ans Fernsehen, an PC-Spiele, Online-Schoppen und einfach nur herum gammeln und schlafen. Irgendwann habe ich mal einen klugen Mann gekannt, der mich auch sehr gut kannte. Er sagte mir, dass ich mir all die Aufgaben, die ich meiner Meinung nach nicht erfülle, selbst aussuche. Da ist nichts bei, was ich schaffen muss. Das sind alles Dinge, die ich schaffen will. Warum setze ich mich unter Druck für Dinge, die ich nicht mal tun müsste? Ich erlaube mir keinen Spaß, kein Ausruhen, keine Pause. Meinte er. Wenn ich es doch tue, fühle ich mich dafür schuldig. Damit hatte er recht. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mich schlecht fühle, weil ich wieder mal etwas nicht durchhalten kann, was ich mir vorgenommen habe. Es geht für mich darum, dass Eigeninitiative mich aus der Passivität herausholt. Früher hatte ich sehr starke Depressionen. Das drückte sich in Passivität aus. Ich konnte nichts tun. Ich saß oder lag stundenlang herum und starrte an die Decke, grübelte oder schaute Fernsehen. Es ist für mich also ein Schritt zurück, wenn ich merke, dass ich Dinge, die ich tun will, nicht tue. Ich erlaube mir aber auch darum keine Pausen, weil diese dann immer zu lang werden. Ich kann Dinge ausdauernd tun und alles andere vergessen. Die Zeit läuft. Als Kind saß ich einmal den ganzen Tag im Garten und beobachtete Ameisen. Ich dachte, es wären nur zehn Minuten gewesen. Es waren mehrere Stunden. Wer immer nur das tut, was er tun muss, aber nichts für sich selbst, nichts was die eigenen Ziele betrifft, der kann sich auch nicht seine Träume und Wünsche erfüllen. Der nette Mann, den ich früher kannte war fest davon überzeugt, dass ich Zeit genug für beides habe. Computerspiele und Roman schreiben. Was für ein verrückter, netter Kerl.

2.) Der zweite Punkt hat mit Selbstwirksamkeit zu tun. Wenn ich nicht daran glaube, dass ich es schaffe, warum soll ich dann erst anfangen? Beim Sport ist das egal. Jeder Tag, an dem ich Sport mache, ist ein guter Tag für meine Gesundheit. Ganz egal, ob ich es jeden Tag mache oder nicht. Ich könnte vielleicht einen Roman zu Ende schreiben, aber wäre der dann wirklich gut? Würde ich es überhaupt schaffen, einen ganzen Roman immer wieder zu überarbeiten, bis er gut ist, ohne den Überblick zu verlieren. Während andere Leute nur Schreibblockaden haben, kann ich viel schreiben, ohne etwas wirklich zu Ende zu bringen oder zum Erfolg zu führen. Das weiß ich, das war schon öfter so. Darum ist es schwer, noch daran zu glauben, dass ich es drauf habe.

3.) Der dritte Punkt setzt sich aus drei Unterpunkten zusammen. Die Aufgabe ist aus irgendeinem Grund unangenehm. Zum Beispiel, wenn man sich dazu gezwungen fühlt. Bei mir entsteht der Zwang zum einen dadurch, dass ich damit Geld verdienen möchte. Ich will zum Teil damit meine Existenzangst besänftigen und dafür eignet sich Schreiben leider nicht besonders. Außerdem: über Zielgruppen, Marketing und Trends nachzudenken, das ist einfach nur bescheuert. Wo bleibt denn da noch meine Geschichte, die ich schreiben will? Die geht völlig in marktwirtschaftlichen Interessen unter. Leute, die hinter mir her rennen und sagen, dass ihnen alles gehört, was ich zustande bringe, tragen ebenfalls dazu bei, dass die Euphorie für eine Aufgabe sehr schnell verfliegt. Zusätzlich all die Leute, die mir früher gesagt haben, ich “dürfe” bestimmte Dinge gar nicht machen, aus welchem Grund auch immer. Das kommt zwar nicht mehr oft vor, aber ich erinnere mich ständig daran und habe es im Hinterkopf. Es macht keinen Spaß mehr. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass Schreiben sehr viel Zeit in Anspruch nehmen kann und ich manche Probleme im Text nicht gut bewältigen kann. Es ist zu schwer. Andere Aufgaben, die ich mir vorgenommen habe, mögen dann wiederum zu langweilig sein, da fällt mir nun aber gerade kein Beispiel ein.

4.) Der Letzte der vier Gründe ist die Zeit selbst. Wenn man glaubt, man hat Zeit genug, dann schiebt man erst mal und tut was anderes. Zum Beispiel Fernsehen oder Computerspiele. Auch Selbstüberschätzung kann damit zusammen hängen. ich weiß, dass ich viel schreiben kann, aber ich überschätze meine Fähigkeit, in der Zeit auch das zu schreiben, was ich schreiben möchte. Es ist besser, sich regelmäßig daran zu setzen und wenig zu machen, als auf einmal sehr viel. Diese Texte sind dann selten gut durchdacht und einfach nur Wortsammlungen. Wenn die Anzahl an Worten pro Zeiteinheit zu einen Messwert von Erfolg wird, dann leidet die Geschichte. Wenn ich das merke, dann sehe ich, dass es in eine andere Richtung läuft, als ich möchte und Punkt 2 Mangel an Selbstwirksamkeitsüberzeugung wird wirksam.

In einem zweiten Artikel auf der Seite persönlich-wachsen.de werden 17 Gründe genannt, warum man Dinge aufschiebt:

1.) Angst, es nicht zu schaffen oder dass es nicht gut genug wird. Eine Lösung wäre, die Erwartungen einfach etwas herunter zu schrauben.

2.) Zeitdruck als Motivation. Unser Wert als Mensch misst sich heute daran, was wir alles in einer bestimmten Zeitspanne schaffen können. “Gut Ding will Weile haben” – das gilt heute nicht mehr. Heute gilt: “Zeit ist Geld!”. Außerdem sind wir es schon von der Schule so gewohnt, dass wir die Menge an Stoff nur flüchtig in unser Gehirn dreschen können, um es nach der Prüfung gleich wieder alles zu vergessen. “Lernen” bedeutet heute, Prüfungen zu schaffen, aber nicht, Dinge wirklich zu meistern oder zu verstehen. Natürlich machen wir so weiter, wenn wir uns persönliche Ziele setzen. Schneller, höher, weiter. Aber da kommt manchmal dann eben auch nur Mist dabei heraus. Mit diesem Mist leben wir heute. Wir sind Produkte gewohnt, die schnell und billig produziert wurden und schnell wieder kaputt gehen.

3.) Nicht Nein sagen können. Manche Menschen können gut ihre eigenen Pflichten auf andere delegieren. Und andere Menschen können nicht Nein sagen. Das trifft auf mich nicht zu. Wenn ich weniger arbeite, verdiene ich weniger Geld. So einfach ist das. es würde genug Zeit bleiben, meine eigenen Projekte zu bewältigen. Aber vielleicht neige ich auch dazu, mich selbst damit zu überladen. In meinem Hirn baut sich immer so ein Turm unerledigter Projekte auf. Ich bedauere die Zeit, die ich insgesamt in meinem Leben vor der Glotze saß und nicht an meinen Projekten gearbeitet habe und ich begreife dann, dass ich die meisten dieser Dinge womöglich niemals erledigen werde. Der Krebs macht es auch nicht besser, weil man ja von niemandem eine Bescheinigung darüber bekommt, dass man nun wirklich geheilt sei, nach der Therapie. Im Gegenteil. Es gibt diese Aufspaltung. Nach zwei Jahren ohne Rückkehr des Krebses kann man zum ersten Mal aufatmen. Nach fünf Jahren erst kann man zum zweiten Mal aufatmen. Und dann gibt es noch die dritte Hürde nach zehn Jahren. Aber auch danach ist ein Rückfall noch möglich. Wenn ich vorher Angst hatte, ich könnte mich im Alter langweilen, allein oder verarmt sein, muss ich mich heute fragen, ob ich das Alter an sich überhaupt noch erlebe.

4.) Zu viel vorgenommen und den Überblick verloren. Das dürfte unter anderem voll auf mich zutreffen. Ich sehe manchmal vor meinem geistigen Auge nur ein riesiges, langes Stück Text. Dann fange ich an zu schreiben und weiß an einer Stelle nicht weiter. Ich lege den Text weg und warte auf Eingebungen. Manchmal kommen die auch, aber das hat bisher leider nicht dazu geführt, dass ich etwas zu Ende schreibe. Ich sollte dann vielleicht einfach mit dem nächsten Kapitel weiter machen. Es ist später sicher einfacher, die passenden Übergänge zu finden und Löcher im Text zu stopfen, als so lange zu warten, bis alle anderen Ideen zu der Geschichte sich in Luft aufgelöst haben oder nicht mehr so weiter geschrieben werden kann wie geplant, weil man am Anfang zu viel geändert hatte, um ein Problem beim Schreiben zu lösen, was vielleicht für die Geschichte, die man ursprünglich schreiben wollte, gar nicht wichtig war.

5.) Stress bewältigen. Wenn ich nicht weiter komme, weil ich Stress habe und mich das blockiert, dann sollte ich bewusst etwas anderes machen, was mir gut tut. Also nicht unbedingt Fernsehen oder PC-Spiele spielen. Nur wenn es genau das ist, was ich in dem Moment brauche. Manchmal hilft es, sich vor der Glotze zu entspannen, manchmal nervt es. Auch PC-Spiele können frustrierend sein. Dann lieber mit dem Hund laufen oder Gymnastikübungen machen. Einfach nur aufschieben führt nur dazu, dass der Haufen immer größer wird. Viele Pausen halten auch die Motivation und die Konzentration aufrecht. Das habe ich vorher schon einmal irgendwo gelesen. Ich arbeite gerne lange an einem Stück, weil ich Probleme habe, mit einer Sache anzufangen, wenn ich es mir vorgenommen habe.

6.) Taten statt Worte. Das habe ich schon oft erlebt. Je mehr ich über ein Projekt rede, desto mehr fühle ich mich, als sei ich schon sehr weit, auch wenn ich erst fünf Seiten geschrieben habe. Im Kopf bin ich immer schon etwas weiter. Offenbar ist es so, dass man sich einen Teil der Belohnung dadurch holt, in dem man über seine Projekte redet. Es gibt einen Grund, warum wir den Lohn erst am Ende des Monats bekommen und nicht schon am Anfang. Wie schwer würde es uns fallen, nachdem wir das Geld kassiert haben, noch den ganzen Monat motiviert zu bleiben? Da würde so manch einer schneller merken, dass er seinen Job eigentlich gar nicht mag. Das trifft voll auf mich zu. Ich hätte auch keine Chemo mehr geschafft, wenn man mir ganz am Anfang schon die Brust amputiert hätte. Allerdings hilft mir das Reden über meine Projekte auch dabei, meine Ideen zu überprüfen. Zum Beispiel, wenn ich mit meinem Bruder Themen aus meinem Roman bespreche. Andere Menschen erkennen Fehler und Lösungen, für die ich schon lange blind geworden bin.

7.) Hyperbolische Diskontierung? Ich denke, das hat wieder sehr viel mit mangelnder Impulskontrolle zu tun. Aber auch damit, dass Belohnungen bei einem langfristigen Projekt eben in sehr weiter Ferne liegen. Menschen tun das ständig. Sie essen lieber heute ungesund, anstatt langfristig einen gesunden Lebensstil zu etablieren. Ich habe das Glück, dass mir gesunde Sachen schmecken. Und auch wenn ich inzwischen auf Kuchen (bis auf einmal im Monat) verzichte, kann ich doch nicht ganz ohne Süßigkeiten auskommen. Das bricht immer mal wieder durch. Es ist die schnelle Befriedigung, die wir der langfristigen Belohnung, weit in der Zukunft liegend, vorziehen. Selbst wenn das genau das ist, was uns später das Leben versaut durch Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Übergewicht, schlechte Blutfette und alle möglichen Krankheiten, die damit zusammen hängen. Raucher machen das auch. Ich habe schon öfter Raucher sagen hören, dass sie lieber hier und jetzt ihr Leben genießen (als ob es etwas mit Genuss zu tun hätte, süchtig zu sein). Ihre Gesundheit und alles andere ist ihnen in dem Moment egal. Manchmal selbst dann noch, wenn sie schon lange Krebs haben! In meinem Fall auf das Schreiben bezogen, wäre die langfristige Belohnung zwar, endlich mal ein Projekt fertig bekommen zu haben. Aber was, wenn es dann nur in der Schublade liegt? Ein Erfolg wäre eher, damit Geld zu verdienen und ich weiß sehr genau, wie schwer das heutzutage ist. Ich sollte mich darum lieber ganz darauf konzentrieren, wie das Schreiben selbst mit gut tut. Nach dem Motto: Achtsamkeitsübung Roman schreiben oder “der Weg ist das Ziel”. Ich schreibe gerne.

8.) Kein Selbstwertgefühl. Wenn ich wertlos bin und mir das von manchen Subjekten immer wieder zu verstehen gegeben wird, dann ist auch das, was ich schreibe wertlos. Warum soll ich dann überhaupt was schreiben? Leute könnten die Sachen dazu benutzen, mir noch besser zu beweisen, wie wertlos ich bin. Sie könnten es dazu benutzen, mich zu demütigen und alles gegen mich zu verwenden. Oder jemand kommt und sagt, das sei ja alles gar nicht mein Verdienst. Dinge, die andere Leute gesagt oder für die Zukunft angekündigt haben, wirken in mir unbewusst und bewusst weiter. Selbst wenn ich weiß, was für jämmerliche Gestalten das sind. Wie jämmerlich ist es, nach dem Prinzip zu leben, andere zu erniedrigen, um selbst erhöht zu werden?

9.) Das falsche Ziel. Jahrelang hab ich mich darauf konzentriert, irgendwelchen Leuten zu beweisen, dass ich nicht dumm bin. Ich absolvierte Schule nach Schule, ein Fernstudium nach dem anderen. Ich suchte mir zuerst die Themen danach aus, wie sie zu dem passten, was ich schon gemacht hatte. Ich überlegte, welche Ziele für mich logisch wären, statt mich zu fragen, wofür mein Herz schlägt. Und dann plötzlich schlug das um. Ich konnte nicht mehr so weiter machen. Ich hatte keine Kraft mehr, war ausgelaugt und müde, hatte keinen Bock mehr darauf, anderen Leuten etwas zu beweisen. Warum auch? Ich denke, dass das der Krebs war. Ich träumte davon, ein Vogel zu sein, der über dem Meer in den Horizont fliegt. Freiheit. Meine Theorie ist, dass der Körper merkt, wenn es zu Ende geht. Dann legt sich im Kopf ein Schalter um und man tut mehr von dem, was man eigentlich will. Mein Krebs war ca. 7 cm groß, als er im November 2016 diagnostiziert wurde. Da war ich also schätzungsweise kurz vorm abkratzen. Ungefähr drei Jahre zuvor machte ich plötzlich das, was ich mir vorher nie erlaubt hatte. Ich absolvierte Fernstudien zum Thema Schreiben. Das war das, was ich schon immer wollte. Aber damit kann man ja kein Geld verdienen, darum hab ich mir das nie erlaubt. Ich hab meine kostbare Zeit auf diesem Planeten lieber damit verplempert, das zu tun, wovon ich dachte, dass es andere Menschen zufrieden stellt und dass es meiner Karriere nützt. Eine Karriere, die so in der Form niemals wirklich vorhanden war. Alles wurde immer schwerer und dann hat man keine Kraft mehr, Dinge zu tun, die man gar nicht tun will. Durch den Krebs. Weil der Krebs Dir die Kraft aussaugt, wie ein Vampir.

10.) Sachzwänge. Ich muss arbeiten, um Geld zu verdienen. Ohne Geld sinken meine Handlungsmöglichkeiten. Irgendwann würde ich nur noch im Lumpen herumlaufen. Ich könnte mir mein Müsli und meinen Tee nicht mehr kaufen. Die Ernährung wäre ungesünder. Könnte keine Ersatzteile kaufen, falls mein PC seinen Geist aufgibt und so weiter. Bücher hab ich jedenfalls genug. Ich könnte die nächsten zehn Jahre damit zubringen, nur das zu lesen oder nochmals zu lesen, was ich hier stehen habe. Hinzu kommen eine ganze Menge elektronischer Bücher. Trotzdem gibt es Sachzwänge. Gesundheitliche Probleme, Arzttermine, die Notwendigkeit zu essen und zu schlafen. All das sollte mich jetzt nicht mehr davon abhalten, regelmäßig zu schreiben. ich sollte aber schon mehr auf mich achten und mehr von dem tun, was mir hilft. Bewegung gehört dazu. Es muss eine Balance zwischen Bewegung und Schreiben geben.

11.) Die falsche Überzeugung, dass man es nicht kann. Vielleicht hätte ich mal ein Sachbuch schreiben sollen. Vielleicht hätte mich ja doch irgendjemand ernst genommen. Vielleicht will ich das aber auch gar nicht, weil dann der Leistungsdruck nicht mehr von innen kommt, sondern von außen. Weil die Leute dann von mir erwarten, immerzu klug und irgendwie womöglich sogar allwissend zu sein und jede Frage zu dem Thema beantworten zu können. Ich als Fachfrau? Als Expertin? Mit meinem löchrigen Gehirn? Mit meiner oberflächlichen Art, Informationen zu verarbeiten? Das Problem ist, dass ich mich und meine Probleme zu gut kenne. Ich kann mir darüber einfach keine Illusionen mehr machen. Die Glaubwürdigkeit gehört eben dazu. Das Problem ist, wenn ich ein Sachbuch oder eine entsprechend gleich aufgebaute Internetseite zu den Themen, die damals bei mir aktuell waren, geschrieben hätte, dann hätte ich vielleicht irgendjemandem damit helfen können. Das hab ich aber nun nicht getan, weil ich Angst hatte vor all den anderen, die schlecht über mich denken oder mich nicht ernst nehmen. Und das ist vielleicht auch nur Irgendetwas, was früher mal gewirkt hat, aber schon lange vorbei ist. Bin ich das am Ende selbst, die diesen Zustand aufrecht erhält? Wie blöd. All die Sachen, die ich nie gemacht habe, weil ich dachte, ich bin dafür einfach nicht geeignet, obwohl ich schon konkrete Ideen dazu hatte. Was für eine Verschwendung.

12.) Ablenkung. Das können Computerspiele sein oder Fernsehen. Ich habe auch die Angewohnheit, mir ständig etwas zu essen zu suchen, selbst wenn es noch nicht so lange her ist, dass ich etwas gegessen habe. Damit will ich mich ablenken. Anstatt eine bewusste Pause zu machen, mit dem Hund zu laufen, ein paar Übungen zu machen, ein Bild zu malen oder anderes, lenke ich mich mit Dingen ab, bei denen ich nur kurzfristige Erfolge erreichen kann, aber keine Veränderungen in meinem Leben. Und dann fühle ich mich blöd, als hätte ich mich selbst und mein Leben nicht unter Kontrolle und wie eine Versagerin. Es geht um Dinge, die ich selbst für mich geplant habe. Da ist es wohl unangebracht, dass ich dagegen rebelliere? Es sind Dinge, die ich mir für mich selbst ausgedacht habe. Wenn ich es versuche, hab ich wenigstens die Chance, dass es mir irgendwann mal etwas nützt. Meine Güte. All die anderen Gründe für Aufschieberei machen mich süchtig nach Ablenkung, weil ich in dem Moment dann nicht darüber nachdenken muss.

13.) Unrealistische Vorstellungen. In meinem Leben wird sich ohne mein Zutun, ohne Eigeninitiative vermutlich nichts verbessern. Auf den Lottogewinn warten wir schon zu lange. Ich bin jetzt 46 und hatte Krebs. Was kann da wohl noch kommen? Vielleicht bin ich auch nicht zu unrealistisch, sondern zu realistisch und das verdirbt mir die ganze Freude an Allem, was mir normalerweise Spaß machen würde, weil ich mich immer gezwungen fühle, irgendetwas zu tun, statt mir bewusst zu werden, was ich will und was ich brauche.

14.) Angst vor Erfolg. Künstlich hergestellt durch diese Leute, die mich ständig mit ihrem Mist belästigen. Was darf ich und was darf ich nicht? Aber auch davor saß dieses Konzept ganz tief in mir drin. Ich bin es nicht wert, Erfolg zu haben. Ich weiß gar nicht, was ich damit anfangen soll. Was ist überhaupt Erfolg? Kann ich Erfolg in dem Sinne überhaupt verkraften? Wenn plötzlich jeder meine Meinung wissen will, auch Leute denen ich vorher egal war? Wenn ich plötzlich dadurch ganz viele Termine und viel mehr Arbeit und Stress hätte? Das will ich gar nicht. Darum mache ich das nicht. Ich mache das nur, damit ich mit dem, was ich am besten kann, mein eigenes Geld verdiene. Mit meiner Kreativität. Ich mache das, um positives oder hilfreiches Feedback zu bekommen. Ich mache das, weil ich meine ganze Fantasie endlich mal ausleben will. Ich mache das, weil ich diese Fähigkeit endlich ausleben und nutzen will. Ich mache das, weil es mir gut tut, über Dinge nachzudenken, mich mit Themen zu beschäftigen und mir Lösungen auszudenken. Fremde Welten erschaffen, in andere Realitäten eintauschen. Sätze formulieren, mir Dinge vorstellen. Weg von dem Mist aus der Vergangenheit, den mir andere Menschen aufgezwungen haben. Hin zu meinem eigenen Mist. Mehr ICH, weniger DIE.

15.) Zufriedenheit. Ich hatte immer Angst vor der Zukunft, was im Nachhinein albern war. Es ist die Gegenwart, um die man sich kümmern muss. Die Gegenwart ist der einzige Zeitpunkt, der zählt, denn da kann man Einfluss nehmen. Damit hatte ich immer Probleme, weil durch Grübeln, Passivität und Depression zu viel Zeit verloren ging. Ich musste mir das mühselig beibringen, dass nur Eigeninitiative dazu führt, dass sich etwas verändert. Ich habe trotzdem nicht immer das getan, was ich tun wollte, was mir am meisten Spaß macht oder wodurch sich mein Leben für mich sinnvoll anfühlte. Ich habe das getan, was mir möglich war, was mir logisch oder notwendig erschien. Es war nicht immer genau das, was ich wollte, weil ich an die Sachen nicht heran kam oder es mir nicht wirklich zugetraut habe. Ob ich das wirklich immer für mich getan habe, ist die Frage. Ich denke, ich wollte vor allen Dingen Leuten gefallen oder Leuten etwas beweisen. Ob man nun nichts zusätzlich versucht, weil man zufrieden ist oder ein Leben lang nur Dinge tut, die einem nichts bedeuten, ist egal. Immer bedauert man all die verpassten Chancen, in denen man das Leben in irgendeiner Form hätte genießen können. Alles, was ich versucht habe, hat mich einen Schritt weiter gebracht. Ich denke aber oft genug darüber nach, wie es wäre, wenn ich von Anfang an mehr für meine Träume getan hätte und mehr daran geglaubt hätte.

16.) Ziellosigkeit. Hab ich überhaupt noch das Recht, mir Ziele zu setzen? Mein erstes Ziel wäre Gesundheit, aber das liegt nicht in meiner Hand. Es gibt eben Dinge, die man nicht kontrollieren kann. Ich hab viele Projekte, aber hab ich noch Ziele? Ich hab Dinge, die ich schaffen will, aber hab ich Dinge, die ich erreichen will? Irre ich im Moment etwa ziellos umher, weil ich mir wegen dem Krebs keine Ziele mehr setzen will? Ist es nicht auch albern, gleich nach der Therapie (oder ca. 1 Jahr danach, ca. 2 Jahre nach der Diagnose) gleich wieder an eine Karriere zu denken, sich gleich wieder mit neuen Eindrücken und Stress zu überladen? Oder ist es das Einzige, was man tun sollte? Ich weiß es einfach nicht. Mein Ziel ist, irgendwann glücklich zu werden. Es wäre schön, wenn irgendwann einige meiner Wünsche in Erfüllung gehen. Aber ich wünsch mir auch oft Sachen, die außerhalb meiner Kontrolle, ja sogar außerhalb meines Lebens liegen.

17.) Körper, Geist und Seele müssen im Gleichgewicht sein. Krebs und die Nebenwirkung der Therapie als Ursache für Aufschiebeverhalten? Ich hatte das schon vorher, das Problem. Aber zu wissen, dass ich nun chronisch krank bin und sich die Arthrose laut Internetrecherche eigentlich fast nur noch verschlechtert, das ist nicht gerade hilfreich. Kann ich meinen Körper, meinen Geist und meine Seele jemals wieder ins Gleichgewicht bringen? Der Körper ist durch den Krebs bzw. nun durch die Therapie gestört. Der Geist durch die unliebsamen Erinnerungen an eine Zeit, in der alles schlimm war. Und meine Seele bricht unter der Last unerfüllter Wünsche und Sehnsüchte zusammen.

Und all die Worte, die ich nun zum Thema Prokrastination geschrieben habe, habe ich nicht für meinen Sciencefiction verwendet. Schreiben als Aufschiebegrund fürs Schreiben? Die Welt kann so kompliziert sein.

 

 

 

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